Interview mit Mainzer Handchirurg Prof. Gercek

"Böller-Verletzungen sehen aus wie aus dem Kriegsgebiet"

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Böllern gehört zu Silvester, wie für viele Sekt und Raclette. Von den Feuerwerksknallern geht aber eine große Gefahr aus. Professor Gercek von der Universitätsklinik Mainz berichtet aus dem Chirurgie-Alltag.

Im Interview mit SWR Aktuell erzählt Handchirurg Erol Gercek, Direktor des Zentrums für Orthopädie und Unfallchirurgie der Mainzer Uniklinik, von seiner Arbeit an Silvester. Die Knaller seien für viele schlimme Verletzungen wie Verbrennungen und Absprengungen verantwortlich. Er empfiehlt, das Böllern ganz sein zu lassen.

SWR Aktuell: Was war der schlimmste Unfall wegen Feuerwerk, den sie bisher operieren konnten oder auch nicht?

Erol Gercek: Also die schlimmsten Verletzungen, die wir sehen, sind eigentlich Amputationsverletzungen im Bereich der Finger und der Hand. Da kann man auch oft nicht mehr replantieren, weil zum Beispiel die Extremitäten, die abgeflogen sind, gar nicht mitkommen in die Klinik oder so stark verletzt sind von den Feuerwerkskörpern, dass sie eben nicht mehr repariert und angebracht werden können. Und auch das Replantieren ist in solchen Situationen, weil das ist ja eine Kombination aus Abtrennung und Verbrennung, sehr schwierig. Also ähnlich wie bei Explosionsverletzungen, wie wir es heute ja leider in den Kriegsgebieten sehen.

SWR Aktuell: Wir haben den Eindruck, als habe sich die Knallerei im Laufe der vergangenen Jahre aber ein bisschen verändert, als sei sie weniger geworden. Wie sind denn die Zahlen der Verletzungen bei Ihnen? Haben Sie da eine Veränderung feststellen können, mehr oder weniger?

Gercek: Ich glaube, in den Corona-Jahren hatten wir natürlich ein bisschen weniger. Da gab es ja zum Teil auch Verbote der Knallerei. Aber die Zahlen sind doch wieder ansteigend. Und das eigentlich immer ab dem Zeitpunkt, wo die Knaller verkauft werden. Das ist ja oft das, was vergessen wird. Da geht es bei uns dann schon los. Es sind meist Jugendliche, meist männliche Verletzte, die dann kommen. Die Älteren sieht man eher nicht mit den typischen Verletzungen.

SWR Aktuell: Gibt es denn einen Ausweg aus dem Dilemma für Sie? Einerseits will die Branche mit Silvesterknallerei Geld verdienen und andererseits wollen die Menschen Spaß haben, dabei ist das alles hochgefährlich. Was soll man tun?

Gercek: Also ich würde ganz darauf verzichten wollen. Erstens entlastet es unsere zentralen Notaufnahmen. Wir haben schon genug zu tun - die Leute feiern, trinken, haben Spaß, verletzen sich dabei. Wenn sie dann noch Knaller werfen, die ganzen Folgeverletzungen, die wir dann haben. Beim Werfen kann man ja auch mal umknicken oder sich ein Sprunggelenk brechen. Das wird ja gar nicht alles aufgenommen und statistisch gar nicht aufgearbeitet. Das heißt: Besser darauf verzichten, das Geld für andere Sachen investieren. Das wäre jetzt mein persönlicher Rat.

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SWR Aktuell: Können Sie überschauen, welche Kosten die Verletzungen der Knallerei zu den Jahreswechseln verursachen?

Gercek: Das kann man leider nicht herauskriegen, weil wir unsere Diagnosen verschlüsseln nach dem allgemeinen ICD-Code. Und da ist leider nicht hinterlegt, ob es Feuerwerksverletzungen sind oder ob sie mit Feuerwerksverletzungen assoziiert sind. Deswegen haben wir da keine genauen Zahlen. Und das kriegen wir gar nicht ganz raus. Was wir aber sehen, ist, dass es doch eine immense Anzahl ist, die dann in den Tagen vor und an Silvester und auch am Neujahrstag auftreten.

SWR Aktuell: Die Dunkelziffer, was schätzen Sie, wie hoch wäre die?

Gercek: Ach, ganz schwer zu sagen. Also, da müsste ich jetzt in die Glaskugel schauen. Also kann ich wirklich nicht sagen an der Stelle.

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SWR Aktuell: Und selbst für die, die sich nicht abschrecken lassen - die gibt es ja immer wieder, die knallen dann trotzdem. Können Sie aus Ihrer ärztlichen Sicht einen Tipp geben, wie man knallen sollte, obwohl Sie ja grundsätzlich eher der Meinung sind, dass man es ganz lassen sollte?

Gercek: Das lehne ich ab, an dieser Stelle ganz klipp und klar. Ich mache den Job schon knapp 30 Jahre und habe so viele Verletzungen durch Knaller bisher gesehen, dass ich dringend davon abraten kann und jetzt einen Tipp dazu abzugeben, wie man richtig anzündet oder so, da wäre ich genau der Falsche.

Das Gespräch führte Frank Helbert, SWR Aktuell Rheinland-Pfalz.

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