Pressekonferenz zum Ermittlungsergebnis

Flut im Ahrtal: Staatsanwaltschaft klagt Ex-Landrat Pföhler nicht an

Stand

Von Autor/in Johannes Baumert, Michael Heußler, Maike König

Die Staatsanwaltschaft Koblenz hat die Ermittlungen zur Flutkatastrophe abgeschlossen. Der ehemalige Landrat des Kreises Ahrweiler, Jürgen Pföhler (CDU), wird nicht angeklagt.

Der Leitende Oberstaatsanwalt, Mario Mannweiler, hat in einer Pressekonferenz die Einstellung des Verfahrens bekanntgegeben. Es sei das wahrscheinlich umfangreichste Ermittlungsverfahren, das die Staatsanwaltschaft Koblenz jemals geführt habe, sagte Mannweiler zum Beginn seiner Ausführungen.

Staatsanwaltschaft Koblenz: Kein hinreichender Tatverdacht

Die Staatsanwaltschaft sei bei den Ermittlungen zu dem Ergebnis gekommen, dass nicht erwiesen sei, dass sich der ehemalige Landrat Pföhler und der damalige Leiter der Technischen Einsatzleitung strafbar gemacht hätten. Sie habe das Verfahren eingestellt, weil kein hinreichender Tatverdacht bestehe und eine Verurteilung nicht wahrscheinlich sei.

Der Anfangsverdacht lautete auf fahrlässige Tötung und fahrlässige Körperverletzung durch Unterlassen im Amt. Im Kern ging es bei den Ermittlungen um die Frage, ob die Bevölkerung zu spät und unzureichend vor den Wassermassen gewarnt wurde und ob durch dieses Fehlverhalten Menschen verletzt wurden oder zu Tode gekommen sind. Den Anfangsverdacht konnten die Ermittlungen laut Staatsanwaltschaft aber nicht bestätigen.

Naturkatastrophe im Ahrtal war "außergewöhnliches Ereignis"

Es habe sich um eine außergewöhnliche Naturkatastrophe gehandelt, deren extremes Ausmaß für die Verantwortlichen des Landkreises Ahrweiler nicht konkret vorhersehbar gewesen sei, so Mannweiler. "Die Flut 2021 hat alles, was die Menschen zuvor erlebt haben, weit übertroffen und war für Anwohner, Betroffene, Einsatzkräfte und Einsatzverantwortliche gleichermaßen subjektiv unvorstellbar", so der Oberstaatsanwalt.

Dass zum Beispiel frühere Warnungen oder eine schnelle Evakuierung die Chance auf Rettung von mehr Menschen durchaus erhöht hätte, möge sein, sagte der Behördenleiter. Aber das genüge nach der Rechtssprechung des Bundesgerichtshofs nicht für die Begründung der Strafbarkeit.

Wir wissen nicht, was gewesen wäre, wenn. Wir wissen nicht, was passiert wäre, wenn.

Für eine Anklage müsse sichergestellt werden, dass mit "an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit" tatsächlich mehr Menschen gerettet worden wären, wenn die Beschuldigten anders gehandelt hätten, so Mannweiler. Wenn zum Beispiel die betroffenen Stadtteile von Bad Neuenahr-Ahrweiler und Sinzig an der Unterahr deutlich früher evakuiert worden wären.

Unklar, ob mehr Menschen hätten gerettet werden können

Bei den Ermittlungen konnte laut Staatsanwaltschaft aber nicht nachgewiesen werden, dass ein anderes Vorgehen einige Todesopfer hätte verhindern können: "Das Lagebild ist bis zuletzt unklar gewesen, weil die Flut so unvorstellbar war. Wir wissen nicht, was gewesen wäre, wenn. Wir wissen nicht, was passiert wäre, wenn."

Die Staatsanwaltschaft habe im Ermittlungsverfahren nie die in diesem Punkt nötige Gewissheit erlangt. "Ich weiß, dass das schwer zu verstehen ist, weil Vieles zuerst mal so naheliegend erscheint. Aber im Endeffekt, wenn man dem da näher tritt, kommt man immer an den Punkt, wo es spekulativ wird", sagte Mannweiler.

Nach Ansicht der Staatsanwaltschaft bleibt es zum Beispiel völlig unklar, ob die Menschen in den Orten an der Mittel- und Unterahr angesichts der am Abend noch völlig unauffälligen Lage einer Aufforderung zur Evakuierung überhaupt gefolgt wären und ihre Häuser tatsächlich verlassen hätten.

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Katastrophenschutz war unzureichend organisiert

Die Staatsanwaltschaft ist aber durchaus der Meinung, dass der frühere Landrat Fehler gemacht hat: Der Katastrophenschutz im Landkreis Ahrweiler sei unzureichend organisiert gewesen und das Führungssystem des Katastrophenschutzes habe eine ganze Reihe von Mängeln aufgewiesen. Die Verantwortung dafür trage in erster Linie der politisch und administrativ gesamtverantwortliche ehemalige Landrat, sagte Mannweiler.

Diese "durchaus beachtlichen Mängel", die ein Gutachter festgestellt habe, begründeten aus Sicht der Staatsanwaltschaft aber ebenfalls keine Strafbarkeit. Denn laut Gutachter hätte ein einwandfreies Organisationssystem zwar die Chance auf Rettung von mehr Menschen erhöht, sagte Mannweiler. Das bedeute aber nicht, dass auch mit Sicherheit mehr Menschen gerettet worden wären. Aufgrund der Komplexität des Naturereignisses sei nach Angaben des Sachverständigen eine vernünftige Prognose dafür nicht seriös möglich. Aber genau diese Gewissheit sei nötig, um jemanden in einem späteren Prozess verurteilen zu können, sagte der Leitende Oberstaatsanwalt.

135 Tote und komplexe Ermittlungen

135 Menschen hatten im Sommer 2021 bei der Flutkatastrophe im Ahrtal ihr Leben verloren. Die anschließenden Ermittlungen waren sehr komplex. Die gesammelten Papier-Akten beinhalten mehr als 20.000 Seiten.

Die Staatsanwaltschaft hat nach eigenen Angaben rund 11.000 Notrufe aus der Flutnacht gesichert und ausgewertet. Ermittler haben mehr als 300 Zeugen vernommen. Außerdem hat die Staatsanwaltschaft in den vergangenen Jahren immer wieder auch Gutachten in Auftrag gegeben, die sie auswerten musste.

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Kommentare (7)

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  1. Kommentar von
    chr/christiane
    Verfasst am

    Das Verfahren wurde bezüglich einer Fahrlässigen Tötung durch Unterlassen geführt. Dadurch liegt die Meßlatte sehr hoch. Es gab allerdings sicher auch viele Verletzte. Vielleicht könnte man auch auf Wiederaufnahme der Ermittlungen bezüglich einer Fahrlässigen Körperverletzung (mit und ohne Todesfolge) durch Unterlassen hinwirken. Auch diesbezüglich könnte, sollte die Generalstaatsanwaltschaft das ablehnen, beim Justizministerium mittels Dienstaufsichtsbeschwerde gegen die Staatsanwälte Beschwerde eingelegt werden.

  2. Kommentar von
    chr/christiane
    Verfasst am

    Es gibt nicht nur die Möglichkeit des Klageerzwingungsverfahrens. Wenn das Verfahren wie jetzt nach § 170 eingestellt wurde, kann auch die Wiederaufnahme der Ermittlungen erreicht werden. Dann müssten aber neue Beweise vorgebracht werden oder man müsste nachweisen, dass Verfahrensfehler begangen wurden. Dass z.B. Beweise nicht erhoben wurden, wichtige Zeugen nicht befragt wurden--Leitstellendaten evtl. nicht gewürdigt wurden.Auch das müsste bei der Generalstaatsanwaltschaft erfolgen. Weist diese eine Wiederaufnahme zurück-erst dann könnte eine Dienstaufsichtsbeschwerde beim Justizministerium eingereicht werden. Ich hatte mit diesem Weg vor vielen Jahren Erfolg. Das Ermittlungsverfahren musste damals wieder aufgenommen werden. Eine Schuld konnte dann nachgewiesen werden. Eine Anklage gab es danach allerdings auch nicht.Das Verfahren wurde dann nach Zahlung einer Geldstrafe eingestellt.

  3. Kommentar von
    Lehrer Lempel
    Verfasst am

    ... und dann fragen sich "die Politiker" nach der nächsten Wahl, warum denn soviele außerhalb der demokratischen Mitte gewählt haben und warum soviele überhaupt nicht zur Wahl gingen ... Ich werde bei den nächsten Wahlen -Kommunal- und Europawahl- schön zuhause bleiben, das ist die einzige Sprache, die Politiker verstehen.

  4. Kommentar von
    Hans Mayer
    Verfasst am

    Die leute stellen die falschen Fragen ! Eine davon lautet "Herr Mertin, warum haben sie von Ihrer Weisungskompetenz keinen Gebrauch gemacht, und Herrn Mannweiler zur Anklage angewiesen ??" Die richtige Frage wäre, " Herr Mertin haben Sie von Ihrer Weisungskompetenz gebraucht gemacht , und die Anklage untersagt ??"

  5. Kommentar von
    chr/christiane
    Verfasst am

    Familie Orth hatte selbst Strafanzeige erstattet. Der Staatsanwalt erklärte dazu auf der Pressekonferenz, dass den Anzeigenden Familien und Angehörigen eine Erklärung zur Einstellung zu ihrem persönlichen Fall zugestellt würde. Wird Familie Orth--die so schwere Vorwürfe gegen Herrn Pföhler, den Ehrenamtlichen ,die Staatsanwaltschaft und den Justizminister erhebt--dieses Schreiben der Staatsanwaltschaft öffentlich machen?--Oder wird es bei den Beschuldigungen bleiben--ohne dass sich die Öffentlichkeit--die sie selbst gesucht haben--darüber selbst ein Urteil machen können. Ich kann das Vorgehen des Rechtsanwalts von Familie Ort nicht verstehen. Schade--gerade in so einem Fall hätte man so nicht handeln sollen.

  6. Kommentar von
    chr/christiane
    Verfasst am

    Ich traue mich: Ein Mann hatte seine Eltern verloren. Die Mutter ertrank in der Tiefgarage, weil sie ihr E-Fahrrad retten wollte--der Vater hat sein Auto retten wollen.Ist Herr Pfähler schuld--weil die Eltern gamacht haben, was man bei Hochwasser nicht tut? Johannas Eltern hatten in Mallorca über Medien, facebook, Infos, was auf das Ahrtal zukommen könnte.Sie machten sich Sorgen um die Seniorenresidenz und um ihr Haus, das viel höher am Hang liegt.Sie baten Johanna, dort nach dem rechten zu sehen-ob Wasser im Keller steht...Als Johanna aus ihrer Wohnung heraus mit ihren Eltern telefonierte, fuhr die Feuerwehr vorbei und warnte vor Überflutungen, sich im Keller und tieferen Gegenden aufzuhalten. Warum hat Johanna dann nicht im höher gelegene Haus der Eltern übernachtet--warum haben die Eltern Johanna nicht gebeten, in Sicherheit in ihrem Elternhaus zu übernachten? Ist Herr Pföhler schuld?

  7. Kommentar von
    Otmar Lohner
    Verfasst am

    Dieses Urteil ist für mich unfassbar und lässt mir nur einen Schluss zu: "Man tut sich halt nicht weh!" Siehe Urteil zur Duisburger Loveparade.