Frustrierter Teenager, der dem Unterricht nicht folgen kann

Schulabbrecher in Daten

Immer mehr junge Menschen in Rheinland-Pfalz gehen ohne Abschluss von der Schule

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Katharina Forstmair
Katharina Forstmair
SWR Data Lab
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Elena Weidt
Bild von Elena Weidt, Multimedia-Reporterin und Redakteurin SWR Wissen aktuell

Knapp 2.900 Schülerinnen und Schüler haben 2022 in Rheinland-Pfalz die Schule ohne Abschluss verlassen. Eine Datenauswertung des SWR Data Lab zeigt: Das hat Konsequenzen für den weiteren Lebensverlauf.

Mehr Schulabbrecher als vor zehn Jahren

Die Zahl der Schülerinnen und Schüler, die die Schule ohne Abschluss verlassen, steigt - im Vergleich zu anderen Bundesländern in Rheinland-Pfalz besonders stark. 2022 waren es 7,9 Prozent aller Schulabgängerinnen und -abgänger, die keinen Abschluss gemacht haben, zehn Jahre zuvor waren es noch 5,4 Prozent.

Viele Menschen bleiben ohne Schulabschluss

Obwohl es auch nach der Schulzeit noch die Möglichkeit auf einen allgemeinbildenden Abschluss gibt, bleiben viele Menschen ohne. Der Zensus 2022, die aktuelle Bevölkerungszählung, die im Juni veröffentlicht wurde, zeigt erstmals seit 2011 wie viele es wirklich sind.

In Rheinland-Pfalz haben demnach 6,7 Prozent der Menschen über 15 Jahre keinen allgemeinbildenden Schulabschluss. Rheinland-Pfalz liegt damit knapp unter dem bundesweiten Anteil von 6,9 Prozent. Schülerinnen und Schüler, die noch vor ihrem Abschluss stehen, zählen nicht dazu.

Das SWR Data Lab hat die Daten auch regional ausgewertet. In Ludwigshafen, Worms und Frankenthal leben landesweit die meisten Menschen ohne Schulabschluss. Ludwigshafen hat mit 14,1 Prozent bundesweit den sechsthöchsten Anteil. Den kleinsten Anteil in Rheinland-Pfalz haben die Südwestpfalz, Kusel und Trier-Saarburg.

Soziale Stellung oft Grund für Schulabbruch

Warum junge Menschen die Schule abbrechen, kann ganz unterschiedliche Gründe haben. Mal sind es familiäre Schwierigkeiten, mal Krankheiten oder Schicksalsschläge. Auch die soziale Stellung der Familie sei oft ausschlaggebend, sagt Karin Bräu. Sie ist Professorin für Schulpädagogik an der Universität Mainz.

Laut Bräu setze Schule Vorwissen, Sprache und Elternbeteiligung voraus, die sich an einer "bürgerlichen Mitte" ausrichten würden. Dabei sei nicht die Familie das Problem, sondern wie in der Schule mit den familiären Voraussetzungen umgegangen werde.

Geringe Leistungserwartungen führen zu Demotivation und einer Abwertung.

Mögliche Vorurteile der Lehrer, so Bräu, könnten außerdem dazu führen, dass Kinder mit Migrationshintergrund und aus Arbeiterfamilien schwächer gefördert werden: "Angemessene hohe Leistungserwartungen führen auch zu höheren Leistungen. Und umgekehrt geringe Leistungserwartungen führen auch zu Demotivation und einer Abwertung."

Junge Menschen ohne Abschluss haben es später schwerer

Wer im Bildungssystem verliert, kann das später schwer wieder aufholen. Steffen Hillmert ist Professor für Soziologie an der Universität Tübingen und arbeitet unter anderem in der Lebensverlaufsforschung und Bildungssoziologie. Er sagt: "Bildung und Bildungsabschlüsse haben sehr langfristige Konsequenzen, weil sehr vieles darauf aufbaut".

Menschen ohne Schulabschluss bekommen beispielsweise schwerer einen Ausbildungsplatz. Das zeigen Daten der Bundesagentur für Arbeit. Im Ausbildungsjahr 2022/2023 haben in Rheinland-Pfalz 13,5 Prozent der Bewerberinnen und Bewerber ohne Abschluss keine Ausbildung oder Weiterbildung begonnen. Für die Menschen mit Haupt-, Realschulabschlüssen und Hochschulreife sind die Chancen deutlich besser.

Fast ein Dritter der Rheinland-Pfälzer (noch) ohne beruflichen Abschluss

Insgesamt haben 29,2 Prozent der Menschen über 15 Jahre in Rheinland-Pfalz laut dem Zensus 2022 (noch) keinen beruflichen Abschluss. Menschen, die sich in der Ausbildung, sei es Schule, Betrieb oder Universität, befinden, zählen dazu. In Ludwigshafen, Pirmasens und Worms leben landesweit die meisten Menschen ohne beruflichen Abschluss. Ludwigshafen hat mit 39,8 Prozent bundesweit den vierthöchsten Anteil. Den kleinsten Anteil haben in Rheinland-Pfalz Alzey-Worms, Neustadt an der Weinstraße und Mainz-Bingen.

Ohne beruflichen Abschluss kein Job

"Wenn Sie keinen Schulabschluss haben, ist das die schlechteste Voraussetzung dafür, an eine Ausbildung zu kommen. Die ist dann wiederum zentral dafür, ob sie in den Arbeitsmarkt einsteigen können oder nicht", sagt Bildungssoziologe Hillmert. Das bestätigen auch die Daten: Wer keinen beruflichen Abschluss macht, wir später eher arbeitslos.

Menschen ohne Berufsausbildung machten in Rheinland-Pfalz 2021 mit 55,4 Prozent den größten Teil der Arbeitslosen aus. Die Arbeitslosenquote ist bei Menschen ohne abgeschlossene Berufsausbildung viel höher (16 Prozent) als bei Menschen mit abgeschlossener Berufsausbildung (2,5 Prozent).

Außerdem ist das Risiko auf Langzeitarbeitslosigkeit in dieser Gruppe höher. 39,6 Prozent der Arbeitslosen ohne beruflichen Abschluss waren 2021 länger als 12 Monate arbeitslos. Bei den Arbeitslosen, die einen beruflichen Abschluss haben, waren es 32,7 Prozent.

Bildung beeinflusst gesellschaftliche Teilhabe

Hillmert weiß: Abschlüsse haben nicht nur Auswirkungen auf das Berufsleben. Fast alles hänge mit Bildung zusammen, "sei es der Gesundheitszustand, die Lebenserwartung, wie Menschen ihre Freizeit verbringen, wen sie heiraten." Dieser Effekt habe sich über die Zeit sogar verstärkt.

Ein nennenswerter Teil der Schülerinnen und Schüler erreiche nicht das elementarste Kompetenzniveau beim Lesen, Schreiben und Rechnen. Das habe die neuste Pisa-Studie gezeigt, so Hillmert. "Das ist natürlich fatal. Da geht es nicht nur um Jobs, was ja schwerwiegend genug ist, sondern da geht es auch um gesellschaftliche Teilhabe."

Projekt "Keiner ohne Abschluss": Zweite Chance für Schulabbrecher

Bildung legt also den Grundstein für das ganze Leben. Beispielsweise das Projekt "Keiner ohne Abschluss" (KoA) soll deshalb verhindern, dass junge Menschen in Rheinland-Pfalz ohne Abschluss von der Schule gehen. Schülerinnen und Schüler, die innerhalb von neun Jahren keinen Abschluss gemacht haben, werden in einer KoA-Klasse aufgefangen und bekommen dort mehr Zeit und individuelle Betreuung. Und das mit Erfolg: Mehr als 80 Prozent der Schülerinnen und Schüler dieser Klassen schaffen so doch noch ihren Abschluss.