Der "Freiheitsschock" der Ostdeutschen

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Autor/in
Stefan Eich
Stefan Eich steht im Gang eines SWR-Gebäudes.

Geschichtsverklärung, Selbstmitleid und die liberale Demokratie nicht verstanden - viele Menschen in Ostdeutschland stehen unter einem "Freiheitsschock". Das ist die Diagnose des Historikers Ilko-Sascha Kowalczuk. Er hat ein Buch zur Lage Ostdeutschlands und seiner Bewohnerinnen und Bewohner geschrieben, mit genau dem Titel, "Freiheitsschock".

Vier Tage vor den Landtagswahlen in Thüringen und Sachsen ist das Thema relevanter denn je. Denn: Die meisten Ostdeutschen fremdeln mit dem liberalen Staatssystem des Westens, meint Publizist und Historiker Ilko-Sascha Kowalczuk und verweist auf Studien und Umfragen.

"Freiheit setzt auch eine lebendige, breite Zivilgesellschaft voraus - all das gibt es im Osten nicht und das hat historische Gründe".

Als Knackpunkt nennt er die Einführung der D-Mark 1990, als im Osten von einem Tag auf den anderen die komplette Wirtschafts- und Sozialstruktur zusammenbrach. "Viele Menschen hatten sich vorher vielen Täuschungen hingegeben, was ihnen die Einführung der D-Mark bringen würde. Und aus dieser Täuschung ist eine millionenfache Enttäuschung geworden", so Kowalczuk.

Es seien Verlustängste, die die Menschen im Osten in die Arme von Parteien treibe, die auf sehr komplizierte Fragen sehr einfache Antworten hätten. Darunter fallen für Kowalczuk AfD und BSW. Aber auch der Westen trage zur Verunsicherung im Osten bei.

"Der Westen muss aufhören über den Osten so zu reden, als wenn er nicht zu ihm gehört. Da liegt sehr viel Verletzungspotential drin. Der Westen wollte immer, dass der Osten wird, wie der Westen glaubt zu sein – und damit muss Schluss sein."

Gleichzeitig dürfe man dem Antiliberalen, dem Rassistischen, was im Osten in der Mitte der Gesellschaft tief verankert ist, nicht einfach nachgeben, nur weil es eine Mehrheit hat, meint Historiker Ilko-Sascha Kowalczuk im Gespräch mit SWR Aktuell-Moderator Stefan Eich.

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Liane Bednarz, Publizistin
Dr. Ilko-Sascha Kowalczuk, Historiker
Prof. Dr. Dirk Oschmann, Germanist an der Uni Leipzig und Buchautor

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