Das mit dem Vertrauen ist so eine Sache: ist es erstmal verspielt, dann – ja was dann? Ja, im schlimmsten Fall kommts zum Bruch. Freundschaften gehen auseinander, genauso Geschäftsbeziehungen. 35,7 Prozent der Ehen in Deutschland werden geschieden. Und da sind nur zwei Personen beteiligt. Jetzt nehmen sie mal drei ungleiche Partner. Rot Gelb Grün haben ihre Scheidungspapiere bereits unterschrieben und jetzt steht der Kanzler alleine da und soll die Partei in den Wahlkampf führen, obwohl er weiß, dass auch ihm, selbst in der eigenen Partei nicht mehr alle vertrauen. Aber die Sache ist ausgemacht, die Vertrauensfrage selbst ist dann nur noch scheinheilige Formsache. Aber vielleicht ist das Vertrauen ja gar nicht so wichtig.
Die Kolumne zum Wochenende können Sie sich hier auch anhören:
Vielleicht kommt es ja auf was ganz anderes an. Bei der SPD müssen Hoffnung und Glaube eine wichtige Rolle spielen. Hoffnung und Glaube – das passt super in die Vorweihnachtszeit und in der christlichen Lehre ist Bescheidenheit und Verzicht ja auch elementar. Und da sind wir direkt bei Boris Pistorius. Der seit Wochen mit Abstand beliebteste Politiker. Und er stellt sich hin und verkündet mit knarziger Stimme und festem Blick: nein, ich mache es nicht! Was für ein Auftritt des Verteidigungsministers und Parteisoldaten.
Eigentlich hat er damit sogar einen Coup gelandet. Er wird nicht als derjenige dastehen, der im Frühjahr gegen Friedrich Merz verliert. Für viele wird er der Kanzler der Herzen bleiben, während Friedrich Merz…na ja – müssen wir mal sehen. Außerdem ist es gar nicht so unwahrscheinlich, dass Pistorius in der neuen Regierung weiter eine Rolle spielen wird, während Olaf Scholz…naja…
Und vielleicht hat Pistorius ja den Hype um seinen Parteikollegen Martin Schulz vor Augen. Der langjährige EU-Parlamentspräsident wurde 2017 beim außerordentlichen Bundesparteitag mit 100 Prozent der gültigen Stimmen und dem besten Ergebnis eines SPD-Parteivorsitzenden in der Nachkriegszeit, und zum Kanzlerkandidaten der SPD gewählt. Bei der Bundestagswahl hat er dann mit 20,5 % das schlechteste Ergebnis der Nachkriegsgeschichte eingefahren. Also Verzicht als Strategie? – oder um meine längst verstorbene Großmutter zu zitieren: „Willst du was gelten, mache dich selten“.