Abstimmung im Plenarsaal des Europäischen Parlaments in Straßburg

Europäisches Parlament in Daten

Männlich, Doktortitel, über 50: So ist das Europaparlament heute

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Maximilian Henning
Simon Jockers
Simon Jockers
Gina La Mela
Gina La Mela
SWR Data Lab
SWR Data Lab

Am 9. Juni können die Deutschen ihre Abgeordneten ins EU-Parlament wählen. Eine Datenanalyse des SWR Data Lab zeigt: Das Europaparlament könnte diverser sein.

Rund 450 Millionen Menschen, 24 Sprachen, ein Parlament: Die EU ist nicht nur vielfältig, was Kultur und Sprachen angeht. Die Bürgerinnen und Bürger der EU unterscheiden sich in Geschlecht, Alter, Bildungsstand und vielen weiteren Merkmalen. Eine Datenauswertung des SWR Data Lab, zusammen mit Partnern des Europäischen Netzwerks für Datenjournalismus (EDJNet), zeigt, wie das bisherige Europaparlament zusammengesetzt ist: 

Weniger Frauen als in der EU-Bevölkerung, aber mehr als im Bundestag 

Insgesamt sind vier von zehn Abgeordneten Frauen. Das entspricht zwar nicht dem Frauenanteil der EU-Bevölkerung, ist aber seit dem ersten EU-Parlament von 1979 deutlich mehr geworden. Damals waren im Plenarsaal weniger als zwei von zehn Abgeordneten Frauen. Auch der Deutsche Bundestag und die Landtage von Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz stehen dem EU-Parlament nach: Dort sind jeweils nur etwa drei von zehn Abgeordneten Frauen.

Das SWR Data Lab hat Daten des EU-Parlaments zum Geschlecht der Parlamentarierinnen und Parlamentarier ausgewertet. Wenn die Abgeordneten ihr Amt antreten, geben sie ihr Geschlecht an. Dabei haben sie vier Optionen: weiblich, männlich, sonstig oder sie antworten nicht. Alle 705 Personen im analysierten Datensatz haben sich den Kategorien weiblich oder männlich zugeordnet.  

Frauenanteil unter den luxemburgischen Abgeordneten am höchsten

Jedes Mitgliedsland hat eine gesicherte Anzahl an Sitzen im Parlament. Die Bürgerinnen und Bürger wählen im jeweiligen Land mit einer Stimme für eine Partei ihre Abgeordneten. Die SWR-Datenanalyse zeigt: Die Geschlechterverteilung der Abgeordneten variiert stark von Land zu Land. 

Weniger Frauen in Fraktionen des rechten Spektrums 

In den Fraktionen zeigen sich starke Unterschiede je nach politischer Ausrichtung: Linke Fraktionen haben einen größeren Frauenanteil als die aus dem Mitte-rechts-Spektrum. 

Ausschüsse sind klischeehaft verteilt

Den Großteil ihrer Zeit verbringen die Abgeordneten allerdings nicht im Plenarsaal, sondern in den insgesamt 22 Ausschüssen. Hier verhandeln sie zu wichtigen Detailfragen wie beispielsweise Abgaswerten, Regeln für den Datenschutz und Subventionen für die Landwirtschaft.

Auch hier ist der Anteil an Männern und Frauen je nach Ausschuss unterschiedlich groß. Die folgende Grafik zeigt eine Auswahl der jeweils vier Ausschüsse mit dem höchsten und dem niedrigsten Frauenanteil.

Mitglieder des EU-Parlaments sind älter als die Bevölkerung 

Das Medianalter aller 705 Parlamentarier beträgt 54 Jahre – wenn sich also alle dem Alter nach in einer Reihe aufreihen würde, stünden die 54-Jährigen genau in der Mitte.

Damit sind die EU-Abgeordneten deutlich älter als die EU-Bürger. Mit einem Medianalter von 44,5 Jahren (Stand: 2023) ist die EU-Bevölkerung im internationalen Vergleich bereits mit am ältesten (USA: 39 Jahre). 

Auch zwischen den EU-Mitgliedstaaten sind große Unterschiede im Hinblick auf das Alter zu erkennen. Die folgende Grafik zeigt, wie stark das Alter der EU-Abgeordneten eines Landes, von dem der Bevölkerung im jeweiligen Land abweicht.

Besonders extrem in Zypern: Knapp 22 Jahre liegen zwischen dem Medianalter der insgesamt sechs Abgeordneten und der zyprischen Bevölkerung. In Malta ist die Differenz am kleinsten – weniger als zwei Jahre liegen zwischen Abgeordneten und Bevölkerung.

Abgeordnete der Grünen-Fraktion am jüngsten 

Ob ein Mitgliedsstaat eher ältere oder jüngere Abgeordnete entsendet, hängt mit den Wahlergebnissen der Parteien im jeweiligen Land zusammen. Die Auswertung zeigt: Abgeordnete rechts der Mitte sind tendenziell älter als Mitglieder der linken Fraktionen. Die Fraktion der Grünen ist mit einem Medianalter von 48 Jahren am jüngsten, die der Konservativen mit 58 am ältesten.

Akademiker unter sich

Neben dem Alter unterscheiden sich auch die Werdegänge der Mitglieder des EU-Parlaments. Das zeigen die Lebensläufe, die viele Abgeordnete auf der Webseite des Parlaments angeben. Diese Angaben sind freiwillig und können unvollständig sein. Das SWR Data Lab hat sie deshalb mit Informationen von Wikidata kombiniert und so Daten für 330 von 705 Abgeordneten ausgewertet. 

Der hohe Bildungsstand der EU-Parlamentarier zeigt sich auch in der Anzahl an Doktortiteln: In 105 der 330 analysierten Lebensläufe steht ein Doktortitel. Das sind bereits knapp 15 Prozent der 705 Abgeordneten. Zum Vergleich: In Deutschland hatten im Jahr 2019 gerade einmal etwas mehr als ein Prozent der Bevölkerung einen Doktortitel.

Wissenschaftler prägen das Parlament

In den Lebensläufen und auf Wikidata sind auch Angaben über die berufliche Laufbahn der Abgeordneten zu finden. Anhand dieser Informationen hat das SWR Data Lab grobe Kategorien definiert, um einen Überblick über die Karrieren der Abgeordneten vor und während ihres Mandats zu bekommen. In der folgenden Grafik sind die am häufigsten angegebenen Berufsfelder zu sehen.

Datenlage zu weiteren Diversitätskriterien ist dünn

In anderen Bereichen ist es schwer, Abgeordnete mit der EU-Bevölkerung zu vergleichen. Dazu zählen beispielsweise die religiöse Identität, sexuelle Orientierung, Ethnizität und ob jemand mit einer Behinderung lebt. Sowohl für die Abgeordneten als auch für die EU-Bevölkerung fehlen teilweise Daten dazu. 

Daten zur ethnischen Identität werden in vielen Mitgliedstaaten nicht erhoben, sagt Tina Magazzini. Sie ist Teil eines Forschungsteams, das im Auftrag des Europäischen Netzwerks gegen Rassismus untersucht hat, wie divers das Europaparlament ist. Ihr Team hat eine Umfrage unter den Abgeordneten durchgeführt, laut der sich 4,3 Prozent als nicht-weiß verstehen. Nach Schätzung des Teams liegt der Anteil in der Bevölkerung aber mindestens bei zehn Prozent. Genaue Zahlen gibt es aber weder für das Parlament noch für die Bevölkerung. 

Das ist auch in Deutschland so. Ein Sprecher der Antidiskriminierungsstelle des Bundes betonte auf Anfrage des SWR Data Labs, dass man sich dafür ausspreche, dass in repräsentativen Wiederholungsbefragungen wie dem Sozioökonomischen Panel die ethnische Zugehörigkeit und sexuelle Orientierung miterhoben werde. Damit könnten strukturelle Nachteile erfasst werden. Die Befragten müssten dabei jedoch freiwillig teilnehmen und sich selbst in Kategorien einordnen, so der Sprecher.

Muss ein Parlament ein Spiegelbild der Bevölkerung sein?

Die Daten zeigen: Die Abgeordneten des Europäischen Parlaments sind im Hinblick auf Geschlecht, Alter, Bildung und Beruf nicht völlig repräsentativ für die Bevölkerung der EU. Aus demokratietheoretischer Sicht müssten sie das auch gar nicht sein, sagt Gabriele Abels. Sie ist Professorin für Vergleichende Politikwissenschaft und Europäische Integration an der Universität Tübingen. Das Statut für Europaabgeordnete von 2005 lege fest, dass Abgeordnete nicht als „Vertreter von Gruppeninteressen konzipiert“ seien, sagt Abels.

Aber: “Es gibt Beispiele dafür, dass ein höherer Frauenanteil im Parlament sich positiv auswirkt auf bestimmte Themen. Sozialpolitische Fragen wie Kinderbetreuung, Gewalt gegen Frauen oder Lohndiskriminierung werden beispielsweise stärker eingebracht”, sagt die Politikwissenschaftlerin. 

Gerade das Parlament der zu Ende gehenden Legislaturperiode habe sehr viele Maßnahmen im Bereich der Gleichstellung und Antidiskriminierung verabschiedet. “Das Gefühl der Betroffenheit ist in Bezug auf viele Fragen zwischen den Geschlechtern unterschiedlich. Und Betroffenheit ist ein wichtiger Motor für politischen Aktivismus”, sagt Gabriele Abels. Wie das neue Europaparlament zusammengesetzt sein wird, entscheiden die Bürgerinnen und Bürger bei der kommenden Europawahl.

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