Ein Beispiel: Der Regionalexpress 4 an einem Montagabend, geplante Abfahrt in Mainz um 18:13 Uhr. Es schneit erstmals etwas mehr in Rheinland-Pfalz, viele Züge des Fern- und Nahverkehrs haben Verspätung. Der RE4 in Richtung Karlsruhe startet verspätet - und im Laufe der Fahrt summiert sich die anfänglich 15-minütige Verspätung auf 35 bis 40 Minuten. In Germersheim, kurz bevor es über den Rhein nach Baden-Württemberg geht, ist plötzlich Schluss.
Aufgrund der hohen Verspätung werde die Fahrt vorzeitig beendet, verkündet die Stimme über die Lautsprecher in den Waggons. Eine S-Bahn zur Weiterfahrt stünde in Germersheim bereit. Irritiert steigen die Fahrgäste aus, stranden in Germersheim - denn die angekündigte S-Bahn steht nicht bereit. So ein Zugausfall ist keine Seltenheit in der Pfalz: Sechs Prozent der Züge fallen derzeit dort aus. Das hat der Zweckverband "Südpfalz mobil" ausgerechnet.
Das ist nur eine von zahllosen Anekdoten, die viele der täglich fast 700.000 Bahnreisenden in Rheinland-Pfalz und Baden-Würtemberg kennen. Nur 58,6 Prozent aller Fernverkehrszüge waren im Oktober pünktlich. Im Nahverkehr waren es 89,4 Prozent. Bei 780.000 Nahverkehrsfahrten bundesweit entspricht das mehr als 80.000 verspäteten Zügen.
Das Problem mit dem veralteten Streckennetz
Dass die Deutsche Bahn massive Probleme hat, streitet sie selbst nicht ab: Im Schienennetz und der dazugehörigen Infrastruktur schiebt sie einen Investitionsstau in Milliardenhöhe vor sich her. Laut dem Bahn-eigenen Netzzustandsbericht aus dem März dieses Jahres sind 26 Prozent aller Weichen, 48 Prozent aller Stellwerke und 42 Prozent aller Bahnübergänge in einem "schlechten, mangelhaften oder ungenügenden" Zustand. Viele Anlagen sind veraltet, einige stammen noch aus der Kaiserzeit, wie rbb24.de im Sommer berichtete. Das gilt bundesweit sowie für die rund 5.000 Kilometer Bahnstrecke in Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg.
Viele Baustellen und Modernisierungen ist die Bahn bereits angegangen. Aktuell behindern gerade diese aber oft den Verkehr, sei es auf der Strecke nördlich von Mainz, auf der Gäubahn oder rund um Stuttgart. Fast drei Viertel aller ICE und IC waren laut Bahn im Oktober von mindestens einer Baustelle betroffen. "Das Netz ist eben ungefähr für die Hälfte der Verspätungen verantwortlich", sagt Bahn-Experte Christian Böttger von der Hochschule für Technik und Wirtschaft in Berlin im Interview mit rbb24. Die andere Hälfte falle auf andere Faktoren wie das Personal und den Zustand der Fahrzeuge.
Der Bahn fehlt Personal fehlt - und viele sind krank
Ist es also in ganz Deutschland problematisch bei der Deutschen Bahn und gar nicht besonders im Südwesten? Ja und Nein. So fehlte es zuletzt in den Stellwerken Ludwigshafen und Frankfurt West aufgrund vieler Krankheitsfälle an so viel Personal, dass die Schichten nicht voll besetzt werden konnten, teilt ein Bahnsprecher mit. Sind die Stellwerke nicht voll besetzt, können die Züge nicht regulär auf den Strecken fahren.
Und da das Personal überall knapp ist, können laut Bahnsprecher auch nicht Mitarbeitende aus anderen Regionen geholt werden. Hinzu komme, dass Strecken, Baureihen und Techniken bei der Bahn nicht einheitlich und standardisiert seien - für bestimmte müssten Mitarbeitende spezifisch ausgebildet und geprüft sein. Auch das sorgt für wenig Flexibilität.
GDL: Ausfälle sind Ergebnis von Fehlplanung
Die Lokführergewerkschaft GDL sieht das Problem weniger im Krankenstand in der Belegschaft, sondern in der Fehlplanung der Bahn. Dass im Herbst viele Leute krank würden, sei schließlich keine Überraschung. "Sowas müsste eigentlich in die Personalplanung einfließen", sagt Danny Grosshans von der GDL Südwest. Die Personalplanung vor allem in Berufen mit Schichtdiensten wie die Zugverkehrssteuerung (vormals Fahrdienstleitung) hätten auf einem System von Überstunden und Mehrarbeit beruht, so Grosshans. Und dieses System sei in sich zusammengefallen.
Neben den "deutlich erhöhten" Krankenständen spüre die Bahn - wie wohl alle anderen Branchen in Deutschland auch - die allgemeine Entwicklung des Arbeitsmarkts. In den kommenden Jahren gehen fast doppelt so viele Menschen aus dem Arbeitsmarkt heraus wie nachkommen. Das führe dazu, "dass es schwieriger wird und mitunter länger dauert, neue Mitarbeitende zu finden", so ein Bahnsprecher. Je nach Beruf und Region gebe es erhebliche Unterschiede, regional angespannte Personalsituationen seien möglich.
Warum die Schweizer Bahn pünktlicher ist als die DB, erläuterte der Chef des Schweizer Bundesamts für Verkehr in SWR1 Leute.
Tausende Menschen neu eingestellt - doch reicht das?
Und auch wenn die Bahn nach eigenen Angaben daran arbeitet und 2023 neues Personal im fünfstelligen Bereich einstellen will, werden fehlende Mitarbeitende und Phasen mit hohen Krankenständen für Bahnreisende spürbar bleiben. Zumal selbst Neueinstellungen von 25.000 Menschen laut Danny Grosshans von der GDL bei Weitem nicht ausreichen: "Netto sind wir trotzdem bei 1.000 Leuten weniger als im Vorjahr."
Der Bahn gelinge es nicht, sich als attraktiver Arbeitgeber zu positionieren. "Klar kann man für Lokführer oder Fahrdienstleiter keine 4-Tage-Woche und Homeoffice anbieten", sagt Grosshans. Aber unter den derzeitigen Bedingungen mit Schichtdienst, Bereitschaft, mit unregelmäßigen Schichtplänen und ohne Planungssicherheit "möchte das keiner mehr machen". Daher fordere die GDL auch die 35-Stunden-Woche und höhere Bezahlung in dem Maße, wie sie es im derzeitigen Arbeitskampf tut.
Streiks, Winter, Sturm und Hochwasser
Was uns zu den Streiks bringt: Auch die sorgen bei vielen Bahnreisen für Zugausfälle und Verspätungen bei den verbliebenen Zugverbindungen. Wer Zug fährt, muss sich auf weitere Arbeitsniederlegungen einstellen, die GDL hat die Verhandlungen mit der Bahn vorerst für gescheitert erklärt.
Außerdem ist das gesamte Netz der Bahn sehr anfällig für Wind und Wetter. Extremwetterlagen mit Starkregen, Sturm oder auch Hitze und in Folge Bränden in Wäldern und auf Feldern werden zunehmen - und damit auch ihre Auswirkungen auf den Bahnverkehr.
Die Aussichten: nicht gerade pünktlicher
Im kommenden Jahr wird es vor allem für Bahnreisende, die am Rhein entlang fahren wollen, sowie im gesamten Rhein-Main-Gebiet nicht besser. Die Strecke der Riedbahn zwischen Frankfurt am Main und Mannheim wird saniert und dafür monatelang gesperrt. Sie ist eine der meistbefahrenen Strecken Deutschlands. Zahlreiche Züge werden umgeleitet - auf ohnehin schon volle benachbarte Strecken, wie die des RE4 zwischen Mainz und Karlsruhe.