Menschen, bei denen die Hand gelähmt ist, fällt es schwer, eine Einkaufstasche zu tragen oder in ein Brötchen zu beißen. In Ulm hat ein junges Unternehmen ein Hilfsmittel entwickelt, das ihnen die Kontrolle über ihre Hand zurückgibt.
Mit Unbehagen erinnert sich der Unternehmer Dominik Hepp an seinen Unfall. Der damals 19-Jährige war mit seinem Moped unterwegs, als er in einer engen Kurve von einem Auto übersehen und überrollt wurde. Hepp war so stark verletzt, dass er seine Hände mehrere Monate lang nicht benutzen konnte. Seither hat er viel Verständnis dafür, "wie unangenehm sich das anfühlt, bei einfachsten Dingen auf fremde Hilfe angewiesen zu sein". Beim Essen zum Beispiel, oder beim Waschen - das sei besonders herausfordernd gewesen.

Studierende gründen Firma auf der Ulmer Wilhelmsburg
Diese Erfahrung hat ihn schließlich motiviert, Medizintechnik an der Hochschule Ulm zu studieren. Schon im Bachelorstudium tüftelte er mit Kommilitonen an einem Hilfsmittel. Zunächst an einer Prothese, also einer künstlichen Hand.
Dann kamen sie auf die Orthese. "Das kann man sich ungefähr vorstellen wie einen motorisierten Handschuh für vollständig gelähmte Hände", beschreibt Hepp. Der junge Mann mit wachem Blick sitzt in einem gewölbeartigen Raum in der Ulmer Wilhelmsburg. Hier sitzt inzwischen auch sein Unternehmen HKK Bionics, das aus dem Studium hervorgegangen ist.
Wir brauchen einen Muskel und leiten aus dem die Bewegungsintention ab: Will ich die Hand öffnen, will ich die Hand schließen? Und die Motoren übernehmen dann den Rest.
Dort, in alten Festungsmauern, stellen gut 20 Angestellte futuristisch anmutende Orthesen her. Sie bestehen aus Schienen, die Unterarm und Handgelenk stützen. Daran sind Fingerlinge befestigt, wie bei einem Handschuh. Darüber liegt ein "Exoskelett". Diese Apparatur streckt oder beugt die einzelnen, eigentlich unbeweglichen Finger, angetrieben von Motoren und von künstlichen Sehnen.
Futuristischer Apparat übernimmt die Bewegung
Die Voraussetzung dafür ist, dass der Patient oder die Patientin einen aktiven Muskel im Arm oder am Oberkörper hat. "Daraus leiten wir praktisch die Bewegungsintention ab: Will ich die Hand öffnen, will ich die Hand schließen? Und die Motoren übernehmen dann den Rest", erklärt Geschäftsführer Hepp.

Die Oldenburger Studentin Claire Horsbrugh trägt eine solche Orthese - und jobbt inzwischen sogar aus dem Homeoffice bei der Firma in der Wilhelmsburg. Wegen eines Hirntumors hat die 26-Jährige eine Halbseitenlähmung. Daran hat sich Claire angepasst, auch mit Hilfsmitteln wie einer Beinschiene oder, in schwereren Zeiten, auch einem Rollstuhl.
In der gelähmten Hand mit der Orthese meine Hundeleine halten und mit der anderen Hand telefonieren. Diese Kleinigkeiten im Alltag, das unterschätzt man.
Mit ihrer mechanischen Handorthese in hellblau mit Blumenmuster und Glitzer kann sie vieles wieder alleine machen, sagt sie selbstbewusst: "Selbst ein Glas aufschrauben. Oder in der gelähmten Hand mit der Orthese meine Hundeleine halten und mit der anderen Hand telefonieren. Diese Kleinigkeiten im Alltag, das unterschätzt man."

Ulmer Handorthesen in ganz Deutschland vertrieben
Heute verkaufen Sanitätshäuser die Ulmer Orthesen - an Kundinnen und Kunden aus ganz Deutschland. Viele können ihre Hände nach einem Schlaganfall, wegen eines Schädel-Hirn-Traumas oder einer Querschnittslähmung nicht bewegen. Bei rund 80 Prozent der Interessierten habe die Orthese bisher funktioniert, bilanziert Hepp.
Inzwischen gibt es das Unternehmen seit acht Jahren. Viele der Angestellten verbindet eine gemeinsame Vision, darunter Bianca Zimmerer, die die Orthesen zusammenschraubt: "Es ist schön, dass man anderen Menschen helfen kann, gerade geschädigten Menschen, vorbelasteten Menschen, die Handicaps haben." Damit sie wieder mehr Lebensqualität und ihren Alltag wieder selbst in der Hand haben.