Es ist frustrierend für den Kardiologen Christian Eick aus Rottenburg und für eine Gruppe kritischer Ärzte und Wissenschaftler aus Tübingen: Seit drei Jahren werde gegen Corona geimpft – gleichzeitig sei über Impfnebenwirkungen und Impfschäden weiter viel zu wenig bekannt. Eick und auch die Tübinger Pandemiebeauftragte Lisa Federle erheben einen alarmierenden Vorwurf: Die Politik habe offenbar kein Interesse daran, die Impfrisiken transparent zu machen. Sie weigere sich, entsprechende Daten zu erheben – obwohl das möglich wäre. Ein Vorwurf, mit dem sie nicht allein sind.
Kardiologe Eick: Impfung wurde als nebenwirkungsfrei verkauft
2021 begann in der Bundesrepublik Deutschland die Corona-Impfkampagne. Sie sollte alles besser machen: Sie sollte vor Ansteckung schützen – und so auch dafür sorgen, dass geimpfte Personen die Krankheit nicht in sensible Bereiche wie Kliniken oder Altenheime einschleppen. Das Ganze angeblich ohne Risiko. So sei es den Leuten vermittelt worden, erinnert sich Christian Eick.
Am Anfang habe er der Corona-Impfung offen gegenübergestanden, sagt der Rottenburger Kardiologe. Doch dann kamen Christian Eick Zweifel: Denn wenige Monate nach Beginn der flächendeckenden Impfungen beobachtete er in seiner Praxis auf einmal komische Fälle: Seltsame Herzbeschwerden bei Menschen, die eigentlich gar nicht ins Profil von Herzkranken passten. Zuerst dachte er sich noch nicht viel dabei, sagt er. Und er fragte auch nicht nach der Corona-Impfung, da er zunächst keinen Zusammenhang vermutete.
Corona Impfen: Das können wir aus der Corona-Pandemie lernen
Ein wichtiger Faktor beim Weg aus der Corona-Pandemie waren die Impfstoffe. Noch nie wurde ein Impfstoff so schnell entwickelt und zugelassen. Dass es bei einer neuen Pandemie wieder so schnell geht, ist alles andere als selbstverständlich. Können wir uns schon heute auf die nächste Pandemie vorbereiten?
Arzt: Booster-Impfung verursacht Probleme
Doch als dann Ende 2021/Anfang 2022 die Booster-Impfungen begannen, war der Kardiologe Eick alarmiert: Seine Praxis sei voll gewesen mit Leuten, die Beschwerden nach der Impfung hatten. Ein auffällig hoher Anteil hatte fassbare Befunde wie zum Beispiel eine unklare Herzschwäche. Zum Teil habe es richtig schwere Fälle gegeben. Eick, der nach eigenen Angaben auch zehn Jahre am Uniklinikum Tübingen gearbeitet hat, sagt, er habe noch nie in seinem Leben so viele Diagnosen wegen Herzschwäche gestellt wie damals. Als die Booster-Impfungen Mitte 2022 zu Ende gingen, seien die Herzprobleme trotz weiter laufenden Wellen von Covid-Infektionen zurück gegangen, so Eick. Gleichzeitig habe es 2021 eine Übersterblichkeit in Deutschland gegeben.
Außerdem fügt Eick hinzu: Die Zulassungsstudie von BioNTech/Pfizer wäre seiner Meinung nach unter normalen Bedingungen - also ohne Pandemie - so nie durchgewunken worden. Denn sie könne die entscheidenden Fragen wie den Schutz vor schweren Verläufen und Tod nicht beantworten. Behindert auch das die Aufarbeitung?
Wissenschaftler streiten über Übersterblichkeit und Ursachen
Woran lag es, dass 2021 und 2022 mehr Menschen gestorben sind als 2020? Diese Frage entzweit Wissenschaftler. Manche sagen, dass die Corona-Impfung der entscheidende Faktor gewesen sei. Andere sehen eine Vielzahl von möglichen Ursachen - etwa, dass das Corona-Virus sich verändert hat, dass die Schutzmaßnahmen gelockert wurden. Für den ärztlichen Direktor der Uniklinik Tübingen, Nisar Malek, ist die Frage nach der Übersterblichkeit berechtigt und wurde bislang nicht beantwortet.
Tübinger Pandemiebeauftragte Federle: Impfrisiken nicht abschätzbar
Die Tübinger Pandemiebeauftragte Lisa Federle ist sich sicher: Am Anfang der Pandemie war es richtig, gegen Corona zu impfen, denn das Virus war zunächst sehr aggressiv. In den Altersheimen seien reihenweise Menschen gestorben. Doch das Virus habe sich verändert. Federle befürchtet schon länger, dass der Nutzen der Impfung inzwischen nicht mehr gegeben ist. Sie bemängelt: Die Bundesregierung habe bis heute keine Daten vorgelegt, anhand derer man Nutzen und Risiko einer Impfung tatsächlich abschätzen könne. Dabei wäre das aus ihrer Sicht längst möglich gewesen.
Paul-Ehrlich-Institut in der Kritik
Das dem Gesundheitsministerium unterstellte Paul-Ehrlich-Institut ist für Nebenwirkungen von Impfungen oder Medikamenten zuständig. Ärzte und auch Betroffene können Nebenwirkungen oder mutmaßliche Nebenwirkungen an das Institut melden. Doch nach Angaben von Federle, Eick und vielen anderen ist längst bekannt: Die Meldekette funktioniert nicht. Der Grund ist einfach: Das Ausfüllen der entsprechenden Formulare dauere so lange, dass die meisten Ärzte weder Zeit noch Lust hätten. Etwa 20 Minuten müsse man rechnen, meint Christian Eick, der nach eigenen Angaben selbst viele Meldungen gemacht hat.
Der Tübinger Journalist Volker Rekittke berichtet dem SWR, dass er beim Paul-Ehrlich-Institut mehrere Anfragen gestellt habe. Er hakte nach, warum nicht anhand von Krankenkassendaten erhoben werde, ob nach Einführung der Corona-Impfung bestimmte Erkrankungen gehäuft auftraten. Außerdem wollte er wissen, wie das Paul-Ehrlich-Institut einen Impfstoff empfehlen könne, wenn klar sei, dass die schädlichen Nebenwirkungen gar nicht gemeldet werden. Die Antworten: An die Krankenkassendaten käme man aus Datenschutzgründen nicht heran. Und: Die europäische Zulassungsbehörde EMA habe den Impfstoff als sicher eingestuft.
Paul-Ehrlich-Institut: Meldesystem funktioniert gut
Auf SWR-Anfrage bestätigt das Paul-Ehrlich-Institut diese Infos. Außerdem: Das Meldesystem funktioniere sehr gut.
Die Pressestelle des Paul-Ehrlich-Instituts teilt weiter mit: Man habe versucht, mit den großen Krankenkassen zusammenzuarbeiten, um mögliche Impf-Nebenwirkungen zu entdecken. Die Kassen hätten jedoch keine Zustimmung gegeben. Eine Krankenkasse habe sich dann im vergangenen Jahr doch zur Zusammenarbeit bereit erklärt. Man hoffe, dass weitere folgen werden. Die Studie laufe noch.
Außerdem habe das Paul-Ehrlich-Institut mit Beginn der Impfkampagne die Studie SafeVac gestartet. Sie diene dazu, mögliche Nebenwirkungen der Corona-Impfung aufzudecken. Die Studie sei teilweise ausgewertet, aber noch nicht komplett abgeschlossen.
STIKO empfiehlt Impfung weiterhin
Lisa Federle empfiehlt ihren Patienten in der Regel längst keine Corona-Impfung mehr. Das würden auch die meisten ihrer Kollegen so handhaben. Es gebe ja inzwischen sowieso so gut wie keine schweren Verläufe mehr.
Die Ständige Impfkommission in Deutschland (STIKO) dagegen empfiehlt weiterhin eine Basisimmunität bestehend aus mindestens zwei Impfungen für alle Personen über 18, außerdem jährliche Auffrischungs-Impfungen für Menschen über 60 und Impfungen für Menschen, die etwa in Altenheimen oder Krankenhäusern arbeiten.
Federle: Kritik prallt an Lauterbach ab
Weil ihr im Laufe der Impfkampagne massive Zweifel gekommen waren, hatte Lisa Federle bereits im Dezember 2021 Gesundheitsminister Lauterbach darauf hingewiesen, dass die Impfung möglicherweis Thrombosen verursachen könnte – und dass es seit Einführung der Impfung eine Übersterblichkeit gab – auch unter jüngeren Menschen. Federle forderte Lauterbach auf, Daten zu dem Problem zur Verfügung zu stellen. Lauterbach habe ihr am Telefon versprochen, mit dem Paul-Ehrlich-Institut über diese Möglichkeit zu reden, sagt Federle. Passiert sei jedoch nichts.
Tübinger Chemieprofessor: Offene Fragen systematisch nicht beantwortet
Offene Fragen zur Corona-Impfung würden systematisch nicht beantwortet, findet auch der Tübinger Chemieprofessor Andreas Schnepf. Ihm als Chemiker und einigen seiner Kollegen fielen beim BioNTech/Pfizer-Impfstoff früh Dinge auf, die ihnen nicht stimmig vorkamen, erzählt er dem SWR. Anfangs habe er sich nicht viel dabei gedacht. Mit ihren Anfragen ans Paul-Ehrlich-Institut hätten er und seine Kollegen eher helfen als kritisieren wollen. Doch als ihre Bedenken komplett abgeblockt worden seien und sich für sie immer neue Fragen und Probleme auftaten, seien sie skeptisch geworden.
Andreas Schnepf: Wirkstoff in den Impfstoffchargen schwankt immens
Von Anfang an sei klar gewesen, dass der Wirkstoff je nach Charge unterschiedlich schwere Nebenwirkungen habe, so Schnepf. Und da gehe es nicht um die Rötungen an der Einstichstelle, sondern um teilweise lebensbedrohliche Zustände. Versuche, vom Paul-Ehrlich-Institut Auskunft über die Inhaltsstoffe der jeweiligen Chargen zu bekommen und über die Schwankungen des darin enthaltenen Impfstoffes, liefen ins Leere. Er und seine Kollegen bekam nutzlose, quasi komplett geschwärzte Zettel zugeschickt.
Paul-Ehrlich-Institut: Keine chargenabhängigen Schwankungen
Das Paul-Ehrlich-Institut widerspricht erneut und bleibt in einem Schreiben an den SWR dabei: Der Impfstoff sei sicher und zugelassen und die Wirksamkeit nachgewiesen. Außerdem habe eine Teilauswertung der aktuell laufenden SafeVac-Studie bezüglich des mit Abstand am meisten verimpften COVID-19-Impfstoffs, Comirnaty, ergeben, dass keine chargenabhängige Häufung von Verdachtsfallmeldungen - also von Impfnebenwirkungen oder Impfschäden -zu beobachten war.
Uniklinik Tübingen: Impfung hat schwere Verläufe verhindert
Auch der ärztliche Direktor an der Uniklinik Tübingen Nisar Malek sieht bei der Corona-Impfung noch offene Fragen. So müsse der Staat klären, warum es 2021 und 2022 eine Übersterblichkeit gab. Trotzdem ist für ihn klar: Die Impfung hat geholfen, die Pandemie zu bewältigen. Sie habe schwere Krankheitsverläufe nach der zweiten Impfung zu 95 Prozent verhindert. Das hätten internationale Daten gezeigt. Und diese Daten seien auch unwidersprochen.
Warten auf Studie des Paul-Ehrlich-Instituts
Was Impfschäden oder Impfnebenwirkungen angeht, ist Malek sich anhand von internationalen Daten ziemlich sicher, dass der Nutzen der Impfung größer war als der Schaden. Trotzdem wartet auch er gespannt auf die Studie SafeVac des Paul-Ehrlich-Instituts. Sie startete zu Beginn der Impfungen 2020 und lief bis Ende 2023. Menschen konnten per App über mehrere Monate melden, wie es ihnen nach der Impfung ging. Laut Paul-Ehrlich-Institut haben das mehr als 730.000 Menschen getan. Die Ergebnisse sollen laut Malek bis zum Ende des Jahres vorliegen.