Landratsamt Tübingen prüft Verkehrssicherheit

Umtausch des Führerscheins: Werden Menschen mit Behinderung diskriminiert?

Stand

Von Autor/in Ingemar Koerner

Rund 43 Millionen Menschen in Deutschland müssen bis 2033 ihre alten Führerscheine umtauschen. Das soll ganz einfach gehen. Doch nicht für manche Menschen mit Behinderung.

Bis 2033 müssen bis zu 43 Millionen Menschen in Deutschland ihre "alten Lappen" umtauschen. Sie sollen die neuen Führerscheine im Kartenformat bekommen. Viele Landratsämter schreiben, dass das ganz einfach geht. Doch für manche Menschen mit Behinderung ist das Thema kompliziert.

Teilweise Gutachten für Führerschein notwendig

Ein 54-jähriger Mann mit Behinderung hat sich beim SWR gemeldet und von seinem Fall am Landratsamt Tübingen berichtet. Er trägt eine Beinprothese und hat dadurch einen speziellen Führerschein. Über zwei Monate nach seinem Antrag auf Umtausch seines Führerscheins bekam er Post. Das Landratsamt benötige "ein Gutachten eines amtlich anerkannten Sachverständigen oder Prüfers für den Kraftfahrzeugverkehr (Fahrprobe)." Der gehbehinderte Mann ist überrascht. Er fühlt sich benachteiligt.

Für den Umtausch ist laut der Webseite des Landratsamtes "die Vorlage des alten Führerscheins, eines gültigen Ausweisdokuments sowie ein aktuelles biometrisches Lichtbild erforderlich". Von einem Gutachten keine Rede. Auch das Landratsamt Sigmaringen schreibt in einer Mitteilung: "Eine Gesundheits‐ oder sonstige Prüfung ist mit dem Pflichtumtausch nicht verbunden: Es handelt sich lediglich um einen verwaltungstechnischen Umtausch."

Fahrlehrer Uwe Thiele: Umtausch ist für Menschen mit Behinderung schwierig

Für Fahrlehrer Uwe Thiele ist das ganz klar Diskriminierung. Er habe solche Fälle schon oft erlebt, erzählt er dem SWR. Thiele betreibt eine Fahrschule und Beratungsstelle für Menschen mit Handicap in Enzklösterle (Kreis Calw). Überall werde gesagt, dass der Umtausch einfach sei, doch für viele Menschen mit Behinderung stimme das nicht.

Kosten: statt unter 30 Euro über 500 Euro

Zu dem bürokratischen Aufwand kommen noch die Kosten. Thiele rechnet vor: Ein Gutachten beim TÜV, ein medizinisches Gutachten, plus die Kosten für die Fahrschule - da kämen schnell mal 500 Euro und mehr zusammen. Das Landratsamt Tübingen schreibt: Nur der Umtausch in einen Kartenführerschein kostet 26,50 Euro. Ein Unterschied von mehreren hundert Euro.

Landratsamt Tübingen: Fälle dieser Art selten

Das Landratsamt Tübingen antwortete auf Anfrage des SWR, dass Fälle dieser Art selten seien. Für den "reinen Umtausch müssen auch Menschen mit beispielsweise körperlichen Beeinträchtigungen grundsätzlich keine erneuten Gutachten oder sonstigen Nachweise vorlegen". Schließlich seien sie schon in der Fahrschule überprüft worden. In Einzelfällen werden jedoch Auflagen und Beschränkungen angeordnet. Diese werden in die neuen Kartenführerscheine übernommen.

Um diese Auflagen auf die modernen EU-Kartenführerscheine übernehmen zu können, sei in manchen Fällen eine Überprüfung des TÜVs nötig. Dagegen habe es bislang kaum Beschwerden von Menschen mit Behinderung gegeben, so das Tübinger Landratsamt.

Landratsämter müssen Verkehrssicherheit gewährleisten

Jutta Pagel-Steidl ist Geschäftsführerin beim Landesverband für Menschen mit Körper- und Mehrfachbehinderung Baden-Württemberg. Sie ist selbst sehbehindert und empfindet die Überprüfungen nicht als Skandal. Schließlich müsse das Amt die Verkehrssicherheit gewährleisten. Es gebe Fälle, in denen würden sich Erkrankungen oder Behinderungen verändern. Zum Beispiel bei Erkrankungen der Augen, die sich mit dem Alter verschlechtern.

In den alten Führerscheinen seien bei manche Menschen mit Behinderung bestimmte Begrenzungen eingetragen, erklärt Pagel-Steidl. Zum Beispiel, dass sie eine bestimmte Maximalgeschwindigkeit nicht überschreiten dürfen oder mit Handgas fahren müssten. Diese Einschränkungen würden beim Umtausch geprüft und in den neuen Führerschein eingetragen.

Bei Umtausch: Prüfungen wegen Alter, Sehen oder Hören?

Dass auch Menschen ohne Behinderung im Alter schlechter sehen, hören und langsamer reagieren, ist aber hinlänglich bekannt. Doch Menschen ohne Behinderung "laufen unterm Radar", sagt Pagel-Steidl. Sie werden meist nicht überprüft. Allerdings findet sie auch: "Wir Menschen mit Behinderung haben schon immer die Arschkarte gezogen."

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Dass Menschen für ihren Führerschein Gutachten vorlegen müssen, gebe es schon immer - das sei unabhängig vom Umtausch, erklärt Jost Kärger. Er ist Jurist beim ADAC. Autofahrerinnen und Autofahrer mit Erkrankungen, wie Formen von Diabetes oder Multipler Sklerose, bräuchten alle paar Jahre ein Gutachten. Ihre Erkrankungen würden sich mit der Zeit verändern, so Kärger. Deswegen wird regelmäßig geschaut, wie fahrtüchtig sie noch sind.

Hilfe bei Wohlfahrtsverbänden, Anwälten oder der Rentenversicherung

Betroffene könnten sich zum Beispiel an Wohlfahrtsverbände wenden, so Kärger. Sie könnten bei der Suche nach Fahrschulen oder bei der Organisation von Fahrprüfungen helfen. Helfen könnten auch Fachanwälte für Verkehrsrecht, insbesondere mit der Spezialisierung für Fahreignungs- oder Fahrerlaubnisrecht.

Fahrlehrer Thiele hat noch einen Tipp: Betroffene können bei der Rentenversicherung einen Antrag auf Kfz-Hilfe stellen. Wer für die Arbeit einen Führerschein benötige, könne dort unter Umständen finanzielle Unterstützung bekommen.

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