"Affront gegenüber den Menschen im ländlichen Raum"

Stuttgarter Tatort vom Lautertal: Münsinger kritisieren Darstellung des Landlebens

Stand
Autor/in
Judith Hüwelmeier
Judith Hüwelmeier ist Reporterin für Hörfunk, Online und Fernsehen beim SWR im Studio Tübingen.

Die Tote im Stuttgarter Tatort kam von der Schwäbischen Alb. Es wird in Münsingen ermittelt. Doch wie das Landleben im Film gezeigt wird, hat die Menschen vor Ort geärgert.

Mit Spannung haben die Münsinger die Ausstrahlung des Stuttgarter Tatorts "Lass sie gehen" erwartet. Im März 2023 wurde im kleinen Dorf Bichishausen gedreht, das zu Münsingen (Kreis Reutlingen) gehört. Doch was sie dann am vergangenen Sonntag im Ersten gesehen haben, hat sie geärgert. Es gibt Kritik aus dem Ort.

Der Film sei ein "Affront gegenüber den Menschen im ländlichen Raum und insbesondere auf der Schwäbischen Alb", schreibt Jochen Schuster, Vorsitzender des Tennisvereins, an den SWR. Rund 130 Mitglieder und Freunde seines Vereins spielten als Komparsen in einer kurzen Szene des Films mit.

Szenenbild aus dem Tatort aus Stuttgart am 17.11. Emma Riedle ist die Schwester des Opfers. Sie steht im Vordergrund. Dahinter stehen Kommissare Thorsten Lannert und Sebastian Bootz
Auch Emma Riedle (Irene Böhm) war wegen des Wegzugs ihrer Schwester tief verletzt und fühlte sich im Stich gelassen. Mit Thorsten Lannert (Richy Müller,l.) und Sebastian Bootz (Felix Klare) will sie am liebsten gar nicht reden.

Kritik: Gebete und Besäufnisse unter dem Hirschgeweih

Viele hätten am Sonntag gespannt vor dem Fernseher gesessen und seien größtenteils empört, so Schuster gegenüber dem SWR. Manche hätten frühzeitig abgeschaltet. Der Politikwissenschaftler, der selbst in Münsingen lebt, findet: "Die Art und Weise, wie das dörfliche Leben dargestellt wird, entspricht nicht der Lebensrealität des Jahres 2024."

Schuster nennt einige Beispiele: Die Menschen im fiktiven "Waldingen" fahren mit veralteten Geländewagen, beten viel und essen oft Schweinsbraten mit Knödeln. Es herrsche eine feindliche Stimmung gegenüber der Polizei und Fremden im Ort. Mit der klischeehaften Darstellung würde der Film die Spaltung zwischen Stadt und Land nur verschärfen, so Schusters Kritik.

Kritik auf Social Media: "Schwäbisches Bauerntheater"

Auch auf Facebook, Twitter und in den SWR3-Kommentarspalten häufen sich kritische Kommentare, die in eine ähnliche Richtung gehen. So bezeichnet ein User den Film als "schwäbisches Bauerntheater". Eine andere Userin schreibt: "Habe mich sehr über die diffamierende und stereotype Darstellung des "Dorflebens" geärgert". Eine andere: "Unglaublich, wie klischeehaft dieser Tatort daher kommt".

Darum geht es im Stuttgarter Tatort

Im Stuttgarter Tatort "Lass sie gehen" suchen die Kommissare Lannert und Bootz nach dem Mörder einer jungen Frau, die in Stuttgart ein neues Leben als Tischlerin beginnen wollte. Ihre Eltern, den Verlobten und den Familienbetrieb im Dorf hat sie zurückgelassen. Schnell fällt der Verdacht auf den Ex-Verlobten. Doch auch andere Charaktere aus dem Dorf sind verdächtig.

Szenenbild aus dem Tatort aus Stuttgart am 17.11. Portraitaufnahme von Robert Gmähle. Er war der Verlobte des Opfers.
Robert Gmähle wurde von seiner Verlobten verlassen. Die ermordete Hanna Riedle hatte Eltern, Familienbetrieb, die jüngere Schwester und den Verlobten samt frisch eingerichtetem Neubau im Dorf zurückgelassen, um in Stuttgart ein neues Leben als Tischlerin zu beginnen. Bild in Detailansicht öffnen
Szenenbild aus dem Tatort aus Stuttgart am 17.11. Die Kommissare Thorsten Lannert und Sebastian Bootz von vorne.
Als Hanna Riedle tot aufgefunden wird, ziehen Thorsten Lannert und Sebastian Bootz auch Verdächtige aus ihrem Heimatdorf in Betracht. Bild in Detailansicht öffnen
Szenenbild aus dem Tatort aus Stuttgart am 17.11. Kommissar Thorsten Lannert steht bei Hannas Mutter Luise Riedle im Wohnzimmer.
Kommissar Thorsten Lannert kümmert sich um Hannas Mutter Luise Riedle, die in ihrer Trauer damit hadert, dass ihre Tochter sich für etwas Besseres hielt als sie. Sie hatte kurz vor ihrem Tod einen großen Streit mit ihrer Tochter. Bild in Detailansicht öffnen
Szenenbild aus dem Tatort aus Stuttgart am 17.11. Der Vater des Mordopfers, Hannes Riedle, steht mit schmerzverzerrtem Gesicht in seinem Wohnzimmer.
Seine Tochter ist tot. Der Vater des Mordopfers, Hannes Riedle, ist verzweifelt. Bild in Detailansicht öffnen

Auf der Alb gibt es einen Mob genauso wenig wie tropfende Wasserhähne oder das all-abendliche Besäufnis im einzigen Lokal, in dem auch noch ein Hirschgeweih hängt.

Das sagt der SWR zur Kritik am Tatort

Der SWR reagierte in einem Statement auf die Kritik. Man habe nicht die Erwartung, die Realität 1:1 abzubilden, heißt es. Der Film wolle keine Verallgemeinerung über das Leben in ländlichen Gebieten sein. Drehbuchautor Norbert Baumgarten und Regisseur Andreas Kleinert hätten sich die Freiheit der künstlerischen Zuspitzung genommen.

Dass der Mörder am Ende nicht aus dem Dorf kommt, unterläuft die gezeigten Verhältnisse bewusst.

Der Ortsname "Waldingen" sei fiktiv, um auch auf dieser Ebene zu signalisieren: Konkrete Personen oder ihr Umfeld sind keinesfalls mit dem "Tatort" gemeint. Die Kommissare führten mit ihren geteilten Ermittlungen differenziert durch den Krimiplot, so der SWR.  

Szenenbild aus dem Tatort aus Stuttgart am 17.11. Luise Riedle (Julia Jenkins) sitzt neben ihrem Mann bei der Beerdigung der Tochter.
Luise Riedle (Julia Jenkins) hat feste Vorstellungen, wie etwas zu laufen hat und bringt ihren Mann dazu, sich dem anzupassen. Auch bei der Beerdigung der Tochter.

Premiere des Stuttgarter Tatorts beim SWR-Sommerfestival

Der Tatort "Lass sie gehen" hatte seine Premiere während des SWR-Sommerfestivals auf dem Stuttgarter Schlossplatz im Mai. Die Reaktionen der Zuschauerinnen und Zuschauer fielen damals gemischt aus. Einige Besucherinnen und Besucher freuten sich darüber, einen Film aus ihrer Region zu sehen.

Auch Rezensionen in den Medien zeichnen kein einheitliches Bild. Im SWR3-Ranking bekommt der Film vier von fünf "Elchen". Die Süddeutsche Zeitung findet, der Tatort habe einen "Trommelwirbel" verdient. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung hingegen kritisierte den Inhalt als "Quatsch" und befindet, die "uralten Stadt-Land-Kontraste" soll man nicht ernst nehmen.

Kritiker wünschen sich Doku über "echtes Landleben"

Jochen Schuster, Vorsitzender des Tennisvereins, der die 130 Komparsen für den Dreh auf der Schwäbischen Alb organisiert hat, sagte dem SWR, er stünde gerne für eine Dokumentation über das echte Landleben in Münsingen bereit. Zum Beispiel würde die Münsinger Notfallpraxis im nächsten Jahr dichtmachen. Ansonsten seien die Probleme auf dem Land die gleichen wie in der Stadt.

Mehr zum Tatort

Tatort Stuttgart „Lass sie gehen“ Tatort-Kritik zu „Lass sie gehen“ aus Stuttgart vom 17.11.

Ein tragischer Tatort aus Stuttgart mit Lannert und Bootz. Tatort-Checkerin Linda Molitor ist überzeugt und war auf das Ende nicht vorbereitet. Unsere Kritik zu „Lass sie gehen“.

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