Seit 1996 setzen sich Mitglieder der Informationsstelle Militarisierung (IMI) in Tübingen für Abrüstung ein und betreiben Friedensforschung. Der gemeinnützige Verein sammelt Informationen aus den Bereichen Militär und Geopolitik, analysiert militärische Entwicklungen, veranstaltet Tagungen und gibt eine Internet-Zeitschrift heraus. Und er ruft zu Protesten gegen die Aufrüstung auf - wie jetzt, kurz vor der Abstimmung zur Lockerung der Schuldenbremse im Bundestag.
Verein hat Wurzeln in der Friedensbewegung
Beobachtet man Reza Schwarz und Tobias Pflüger bei ihrer Arbeit im Tübinger IMI-Büro, dann sieht man sie häufig in dicken Ordnern und Stapeln von Zeitschriften blättern, lesen und suchen. Bis 1994 reichen die Aufzeichnungen zurück. Gespickt mit Bildern von Kampfgeräten zur Panzerabwehr, Lenkflugkörpern und tragbaren Granatwerfern. Seit fast 30 Jahren setzt sich IMI-Gründungsmitglied Tobias Pflüger für Abrüstung ein. Dass jetzt die Schuldenbremse gelockert wird, um Milliarden Euro in die Bundeswehr zu investieren, bezeichnet er als politischen Wahnsinn.
Ich halte das für einen politischen Wahnsinn, der hier betrieben wird. Die Entwicklung, die wir gerade haben, zu einer unbeschränkten Militarisierung ist tatsächlich ein völlig neuer Punkt.
IMI ist Teil der kritischen Friedensforschung
Der Tübinger Verein sammelt Militärinformationen und versucht, Kritikpunkte und Entwicklungen an die Öffentlichkeit zu bringen. Seitdem Union und SPD über die Reform der Schuldenbremse für militärische Ausgaben verhandeln, habe der Verein mehr Anfragen bekommen als sonst - und neue Mitglieder, erklärt Pflügers Kollegin Reza Schwarz.
Sie ist mit 28 Jahren die jüngste Mitarbeiterin der IMI. Angesichts der aktuellen Aufrüstungspläne sei sie "enttäuscht, aber nicht überrascht". Sie bewege allerdings auch die Folgen, die sie angesichts der enormen Summen für das Militär kommen sieht. Denn die künftige Regierung plane aus ihrer Sicht auch einen massiven Sozialabbau. Das stresse sie extrem und mache ihr Angst, sagt Reza Schwarz.
Friedensforscher scheut politische Auseinandersetzung nicht
Tobias Pflüger lebt mit solchen Konflikten schon seit seiner Zeit in der Friedensbewegung in den 1980er-Jahren. Er habe, erzählt der 60-Jährige, den Wehrdienst verweigert, und auch den Zivildienst. Er habe sich gegen NATO-Einsätze im Irak, in Afghanistan und im Kosovo eingesetzt. Und er ist auch bundespolitisch erfahren, saß für die Partei PDS im Europaparlament und für Die Linke im Bundestag. Dass militärisch jetzt genau das Gegenteil von Abrüstung passiert, scheint ihn nicht zu frustrieren, sondern eher anzuspornen.
Wir kriegen jetzt so etwas wie einen Brandbeschleuniger mit diesen Rüstungsprogrammen. Für uns ist das im Grunde genommen ein Auftrag, noch heftiger in die politische Auseinandersetzung zu gehen.
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Revival der Friedensbewegung?
In der Bevölkerung gebe es nicht wenige, die diese Militarisierung in dieser Form nicht wollen, meint Pflüger. Doch er glaubt nicht, dass die Protestwelle mit der in den 1970er- und 1980er-Jahren vergleichbar sein wird. Damals waren Hunderttausende auf die Straße gegangen, um gegen den Rüstungswettlauf zwischen Ost und West zu protestieren. Was er sich vorstellen könne, seien größere Proteste, wenn wegen der Finanzierung der Ausgaben im Sozialbereich gekürzt werde. "Da haben sich Merz und Klingbeil geschnitten, wenn sie glauben, das können sie so einfach durchziehen", sagt Pflüger im Gespräch mit dem SWR. Da gebe es dann durchaus Widerstand und Protest.
Friedensinitiativen rufen in Tübingen zu Protest auf
In Tübingen rufen mehrere Friedensinitiativen unter dem Motto "Keine Grundgesetzänderung für Hochrüstung und Kriegstüchtigkeit" zu einer Kundgebung am Montagabend auf dem Holzmarkt. Damit wollen sie sich am Vorabend der Entscheidung im Bundestag an die Tübinger Noch-Abgeordneten wenden. Zu den Veranstaltern der Kundgebung gehören unter anderem das Friedensplenum/Antikriegsbündnis Tübingen, die Gesellschaft Kultur des Friedens, die Informationsstelle Militarisierung, pax christi Rottenburg-Stuttgart und die Friedensmahnwache Tübingen.