Unternehmen der "Digital Afterlife Industry" bieten beispielsweise an, mit Daten wie Sprachaufnahmen und Texten einer Person einen Chatbot herzustellen. Mit Hilfe von Künstlicher Intelligenz kommuniziert der dann in ähnlichem Stil. Angehörige können so auch nach dem Tod mit einer Art Nachbildung des Verstorbenen sprechen oder schreiben. Ein weiterer Vorstoß also in Sachen Künstlicher Intelligenz.
Das "Digitale Weiterleben" einer Person als Chatbot funktioniert ähnlich wie bei ChatGPT – nur, dass der Chatbot mit Daten einer Person gefüttert wird. Je mehr Daten eingespeist werden, desto näher kommt Künstliche Intelligenz an den Verstorbenen heran. Manche Firmen arbeiten auch an Avataren, also 3D-Abbildungen, die den Verstorbenen täuschend ähnlich sehen. Auch mit Ihnen kann man kommunizieren.
So könnte die Kommunikation mit einem Avatar aussehen: Im Tatort Ludwigshafen "Avatar" spricht eine Mutter mit dem Avatar ihrer verstorbenen Tochter. (© SWR 2024)
Wiedersehen mit Verstorbenen
Der Stiefvater von Trauerbegleiter Kian Bank ist vor kurzem gestorben. Zu realisieren, dass er nicht mehr da ist und sich auf das Leben ohne ihn einzustellen, ist aufwühlend. Auch, wenn Bank sich mit Trauer auskennt. Er weiß, dass das Abschiednehmen bei jedem anders aussieht und unterschiedlich lang dauert. Doch was, wenn man mit dem Tod gar nicht Abschied nehmen muss, weil man den Verstorbenen noch einmal oder immer wieder treffen kann?
Unter anderem darum ging es bei einer Tagung zum "Digitalen Weiterleben" in Tübingen. Kian Bank ist als Gast einer Podiumsdiskussion dabei. Er ist neugierig, was da mit dem “Digitalen Weiterleben” auf uns zukommt, sagt Bank. Natürlich entwickle sich auch die Trauerarbeit weiter. Er arbeitet mittlerweile per webbasierter Mailberatung bei der Beratung "Via. Trauer neu denken." bei den Maltesern. Manchen Menschen falle es in ihrer Trauer leichter zu schreiben als zu reden. Aber Bank ist auch skeptisch, wenn es um digitalen Kontakt zu Verstorbenen geht.
Alles Täuschung?
Vielleicht, überlegt er, tut es manchen Menschen ja gut, ihrem verstorbenen Großvater noch etwas sagen zu können. Aber letzten Endes sei das eine Täuschung. Denn es sei eben nicht der Großvater und auch nicht dessen Reaktion. Es sei nur ein Avatar, der sich so verhält. Das eigentliche Bedürfnis bleibe unerfüllt: Von einem anderen Menschen verstanden zu werden.
WLAN statt Friedhof
Mit seiner Skepsis ist Bank nicht allein. Matthias Meitzler arbeitet an der Uni Tübingen zum "Digitalen Weiterleben" und stellt seine Forschung bei der Tagung vor. Dafür hat er Trauernde, Trauerbegleiter und Entwickler solcher Angebote interviewt. Auch andere Trauerbegleiterinnen und -begleiter seien eher skeptisch. Sie sorgten sich zum Beispiel, dass der digitale Avatar eines Verstorbenen zu einer Art Sucht werden könnte. Schließlich könnte man den wahrscheinlich immer erreichen. Trauer habe dann nicht mehr unbedingt einen festen Ort, wie etwa das Friedhofsgrab. Es brauche ja nur noch eine WLAN-Verbindung. Eine Vorstellung, die auch Bestattern missfallen könnte.
"Digitales Weiterleben" bei Bestattungsunternehmern noch umstritten
Der Leiter des Bestattungsdienstes Rilling & Partner in Tübingen, Markus Höhn, glaubt nicht, dass Avatare und Chatbots tatsächlich eine Hilfe in der Trauerphase sind. Prizipiell ist er offen für neue Entwicklungen. Sein Unternehmen gibt Menschen mit einem Gedenkportal im Internet beispielsweise Gelegenheit, sich über einen Verstorbenen auszutauschen und an ihn zu erinnern. Aber das sei eben immer noch Kommunikation von Mensch zu Mensch. Er befürchtet, dass es beim Einsatz Künstlicher Intelligenz zu Problemen im Trauerprozess kommen kann. Es sei wichtig, die schwierige Zeit nach dem Tod eines Angehörigen bewusst zu erleben, so Höhn.
Roberto Seifert, Inhaber des Tübinger Bestattungsunternehmens Gommel, sieht das eher pragmatisch. "Man muss die Wege gehen, wo die Nachfrage da ist", sagt er. Bislang bleibe die aber verhalten. Auch bei Technologien, die noch weit von Avataren und Chatbots entfernt sind. Zum Beispiel bei QR-Code auf Grabsteinen, die auf eine persönliche Trauerseite im Internet führen. Für Seifert eine weitere Art, Trauerarbeit leisten zu können. Wenn die Produkte der "Digital Afterlife"-Industrie marktfähig sind, dann will er auch Angebote in dieser Richtung machen.
Nein zum Avatar im Testament
Doch ob die Nachfrage auch kommt, steht noch aus. In den Interwiews von Wissenschaftler Matthias Meitzler reagierten die Trauernden auf die Idee eines Avatars meist ablehnend. Einige planten sogar, in ihr eigenes Testament zu schreiben, dass kein Avatar aus ihren Daten entstehen darf, erzählt Meitzler. Daten seien im Kontext der Trauer besonders sensibel. Bei jeder Interaktion mit einem solchen Avatar könnten neue Daten generiert und gespeichert werden. Und wie auch sonst im Internet, gebe es auch beim "Digitalen Weiterleben" die Gefahr des Hackings. Wie man den Missbrauch der Daten verhindern kann, ist für Meitzler eine wichtige Sicherheitsfrage.
Noch gibt es Zeit, diese Frage zu klären, denn marktreif sind die Angebote der "Digital Afterlife"-Industrie laut Meitzler in Deutschland noch nicht. Die meisten Firmen seien in den USA, Großbritannien und Asien ansässig - auch dort seien die Avatare und Chatbots noch keineswegs massentauglich.
Nie wieder Abschied?
Die Entwickler von "Digital Afterlife"-Angeboten seien in den Interviews ziemlich reserviert gewesen, erzählt Meitzler. Die Visionen, wie digitales Weiterleben aussehen könnte, seien sehr verschieden. Es gebe durchaus Anbieter, die sich fragten, ob und warum man Trauer denn überhaupt brauche. Das Start-Up "You, only virtual" wirbt auf seiner Webseite mit dem Slogan "Never have to say goodbye", also damit, sich niemals verabschieden zu müssen.
Genau das sieht Trauerbegleiter Kian Bank kritisch. Trauer solle nicht einfach weggedrückt oder umgangen werden, denn sie helfe, sich an ein Leben ohne den Verstorbenen anzupassen. Er wünscht sich, dass Menschen wieder offener mit Trauer umgehen und ihr neugierig begegnen.