Ein halber Liter Weizenbier, serviert in einem schwarzen Plastikbeutel - das gibt es neuerdings für einige Patientinnen und Patienten auf der Intensivstation der Uniklinik in Basel. Die über eine Magensonde verabreichte Flüssigkeit soll das sogenannte Delir (oder Delirium) verhindern, so die Hoffnung der Ärzte. Dieser Zustand akuter Verwirrtheit tritt häufig bei Intensivpatienten auf.
Der Chefarzt der Intensivstation, Martin Siegemund, vermutet, dass eine weitverbreitete Feierabend-Routine der Grund sein könnte: "Eine mögliche Ursache für ein Delir ist Alkohol, den die Patienten regelmäßig in kleinen Mengen konsumieren, wie etwa ein Glas Wein." Die Abstinenz davon könne dazu beitragen, dass Patienten ein Delir entwickeln, sagt Siegemund. Ein Delir sei nicht nur gefährlich und belastend. Es stelle auch eine große Herausforderung dar, vor allem für das Pflegepersonal oder Angehörige, erklärt er. "Die Patienten sind akut verwirrt. Sie wissen nicht mehr, wo sie sind, glauben, in Paris zu sein oder möchten ihre Kinder sehen, obwohl sie gar keine haben." Auch gutes Zureden könne ein Delir nicht verhindern, so Siegemund.
Sechs Tage lang ein halber Liter Bier
Rund 40 Prozent der Patientinnen und Patienten auf der Intensivstation sind von einem Delir betroffen. Weil es kaum Medikamente zur Behandlung gibt, greift die Basler Uniklinik nun zu der ungewöhnlichen Behandlungsmethode. In der Studie erhalten zufällig ausgewählte Patientinnen und Patienten sechs Tage lang jeden Abend einen halben Liter Weizenbier. Eine Vergleichsgruppe erhält nur Wasser. Bestimmte Personen werden allerdings von der Studie ausgeschlossen, etwa Schwangere oder Personen mit einem Alkoholproblem.
Gesetz erlaubt Forschung an Intensivpatienten
Bleibt die Frage: Ist es nicht problematisch, Patienten, die teilweise nicht bei Bewusstsein sind, jeden Abend einen halben Liter Bier einzuflößen? "Doch", meint Chefarzt Martin Siegemund. Allerdings sei es ein grundsätzliches Problem, dass man ohne Einwilligung der Patienten keine Forschung machen könne. "Weil Intensivpatienten meistens im Notfall bei uns sind, können wir sie nur in seltenen Fällen fragen." Für diesen Fall gebe es im Forschungsgesetz extra einen Paragraphen, sagt er. Dieser erlaube solche Studien an Intensivpatienten.
Basler Studie stößt auf Interesse und Skepsis
Experten verfolgen das Experiment mit Interesse und Skepsis zugleich. Wolfgang Hasemann, der in Basel ein Demenz-Delir-Programm leitet, ist zwar auf die Ergebnisse gespannt und sagt, dass die Studie eine Wissenslücke fülle. Gleichzeitig hat er die Sorge, dass Alkohol ein Delir sogar verstärken könne.
Hasemann hält zudem eine Studie nur mit Patienten, die ein Alkoholproblem haben, für sinnvoller. "Die Ergebnisse werden zeigen, wer recht hat: die Studie oder meine Skepsis", sagt der Delir-Spezialist. Die Basler Bier-Studie soll noch bis 2027 laufen. Erste Ergebnisse sind frühestens in einem Jahr zu erwarten.
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