Wochenrückblick Stuttgart

Warum werden Hagelkörner zackig? Kommen jetzt mehr lokale Unwetter?

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Kerstin Rudat
Kerstin Rudat

Was 10.000 gestrandete Passagiere in Stuttgart mit Hagel zu tun hatten, warum Hagelkörner aussehen können wie ein Coronavirus und was die heftigen, lokalen Unwetter für die Region bedeuten.

Hallo, ich bin Kerstin Rudat und arbeite als Redakteurin im Studio Stuttgart. Hagelkörner so groß wie Golfbälle und gezackt wie das Coronavirus haben in der Region große Schäden angerichtet, vor allem in den Landkreisen Rems-Murr und Ludwigsburg - und das, obwohl die beiden Kreise von dem letzten Unwetter eigentlich nur gestreift wurden. Nicht auszudenken, was noch alles hätte im Raum Stuttgart passieren können, und dabei sind die Flutschäden von Anfang Juni noch gar nicht aufgearbeitet. Aber es gibt doch immer bessere Wettervoraussagen, Hagelflieger und Zusammenarbeit mit Forschung und Wetterradaren. Lernen wir denn nicht, besser mit den Extremwetterlagen umzugehen?

Wie entsteht Hagel, und warum werden Hagelkörner zackig?

Hagel entsteht, wenn aufsteigende warme Luft kondensiert, denn dann kann sie durch die großen Temperaturunterschiede in den Wolken gefrieren. Hagel ist also gefrorener Regen. Man spricht von "Hagel" bei Eiskörnern mit einem Durchmesser von meindestens einem halben Zentimeter. Gibt es zusätzlich starke Aufwinde, dann werden die Eiskörner herumgewirbelt und sammeln so immer mehr Eisanlagerungen an. Durch abwechselndes Gefrieren und Tauen sowie den Zusammenstoß mit Wassertropfen werden die Hagelkörner dann immer größer. Hagel bildet also Schichten und wird dadurch rund. Könnte doch aber auch wie eine Frisbeescheibe mit Rillen aussehen? Oder eben wie ein Coronavirus?

Hagel hat Gewächshaus in Remseck zerstört
Dieses Hagelkorn erinnert mit seinen Ecken und Kanten an ein gefrorenes Coronavirus.

Ich frage Michael Kunz, den "Hagelpapst" des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT). Das KIT betreibt mit einer Arbeitsgruppe Unwetter-Forschung. Ich erreiche Kunz - wie passend - grad beim "Stormchasing". Weil die Winde ruhig sind, hab' ich Glück, und er kann mir meine Fragen direkt beantworten: "Grundsätzlich kann Hagel sehr unterschiedliche Formen annehmen, von rund bis flach, mit Zacken und Ausstülpungen. Die Form hängt von den Wachstumsbedingungen in der Gewitterwolke ab, und dort von der Stärke und Breite des Aufwindes sowie der Temperatur und der Feuchtekonzentration", sagt er. Also ist das zackige Hagelkorn von Remseck gar nicht so ungewöhnlich. Auch nicht in der Größe: "Das größte Hagelkorn in Baden-Württemberg hatte eine Größe von rund 14 Zentimetern und stammte vom Unwetter am 6. August 2013 auf dem Sonnenbühl", so Kunz. 2013 gingen übrigens auch schon mal im großen Stil Gewächshäuser im Kreis Ludwigsburg zu Bruch. Und 2017. Wurden dazwischen große Hagelkörner verhindert?

Wie arbeiten Hagelflieger?

Vorletzte Woche waren mehr als 10.000 Passagiere am Flughafen Stuttgart von Verspätungen und Ausfällen betroffen. Einige mussten sogar auf Feldbetten vor Ort übernachten. Ein Hagelflieger war auf der Landebahn verunglückt. Dabei soll der doch selbst Unglücke vemeiden. Seit 1980 gibt es im Rems-Murr-Kreis die sogenannte Hagelabwehr. Sie startete mit einem Kleinflugzeug und funktioniert bis heute so, dass potentiell hagelgefährdete Wolken vor einem Gewitter von den Fliegern mit Silberiodid "geimpft" werden. Dadurch soll verhindert werden, dass große Hagelkörner entstehen, die schwere Schäden beispielsweise im Obst- und Weinbau oder generell in der Landwirtschaft verursachen können. So wie es beim Unwetter am vergangenen Freitag passiert ist: Da hat es den Raps, der kurz vor der Ernte stand, komplett zerhauen. Und auch bei Obst, Getreide und Feldfrüchten, also diversen Rüben, wird es laut Landratsamt Rems-Murr wohl große Ausfälle bis Totalausfälle im betroffenen Gebiet geben. Natürlich hat es auch große Schäden an Autos, Gebäuden und Solaranlagen gegeben. Hier können die Betroffenen die Schäden ihrer Versicherung melden.

Dunkle Gewitterwolken ziehen über einem Rapsfeld auf.
Dunkle Gewitterwolken hinter einem blühenden Rapsfeld. Im Rems-Murr-Kreis hat das Unwetter vom 12. Juli vor allem die Raps-Ernte stark beeinträchtigt.

Vor dem Unwetter am 12. Juli konnten die Hagelflieger für die Region Stuttgart nicht eingesetzt werden, weil die Winde zu extrem gewesen seien. Können sie aber starten, so sehen Kreise, Kommunen, die Wein- und Obstbauern sowie die beteiligten Flugunternehmen dieses Vorgehen als kosteneffizient und wirksam an. Im Jahr 2023 wurden rund 350.000 Euro in die Hagelflüge investiert. Seit 2007 gibt es ein zweites Flugzeug, und seit ein paar Jahren finanziert die Württembergische Gemeinde-Versicherung (WGV) zwei zusätzliche eigene Hagelflieger. Die Flugzeuge des Rems-Murr-Kreises fliegen im Schutzgebiet der Region Stuttgart Einsätze. Dieses Schutzgebiet umfasst mit rund 2.700 Quadratkilometern den Rems-Murr-Kreis, den Kreis Ludwigsburg, die Stadt Stuttgart sowie Teile der Landkreise Heilbronn, Esslingen und Böblingen. Die Flugzeuge der WGV fliegen in ganz Württemberg.

Gleichzeitig wird die Hagelabwehr durch meteorologische Dienstleister betreut und unterstützt. Dazu werden unter anderem auch die Daten des Wetterradars des KIT genutzt, aber ausgerechnet "Hagelpapst" Michael Kunz ist von der Wirksamkeit der Hagelflieger nicht überzeugt. Generell sind sie sehr umstritten.

Kommen lokale Unwetter jetzt häufiger? Und habt ihr Angst?

Müssen wir uns nun auf mehr Hagelgewitter einstellen? Werden Gewitter lokaler und heftiger? Experte Kunz sagt, dass die Niederschlagssummen zwar zunähmen. Aber speziell die Gewitter betrachtet, "sehen wir in Deutschland - zumindest was die Anzahl der Gewitterzellen anbelangt - keine Änderung in den letzten 20 Jahren. Beim Hagel ist das deutlich schwerer zu sagen, da Hagel nicht direkt gemessen wird. In Radardaten sehen wir keine Änderung der Anzahl der schweren Gewitterzellen mit einem hohen Potential für Hagel", sagt Kunz. Und auch ein Radar könne Hagel nicht eindeutig bestimmen. Auch "wie es mit der Größe der Hagelkörner ist, können wir nicht sagen, da es hier keine direkten Messungen gibt."

Die Lage sei schon ernster durch den Klimawandel, aber Panik wäre jetzt auch fehl am Platz. Aber was kann ich selbst tun? Bei Extremwetterlagen rät Kunz, auf die Warnungen des Deutschen Wetter-Dienstes zu hören und für die eigene Schadensprävention möglichst alles, was sich bewegen lässt, ins Innere zu bringen, zudem: Auto in Garage oder Carport, Rollläden oben lassen (moderne Glasfenster seien gegen Hagel im Gegensatz zu Rollläden stabil). Mittel- und langfristig müsste sich auch beim Bau etwas ändern: Robustere Materialien sollten bevorzugt werden.

Die Abstimmung ist bereits beendet.

Machen euch die heftigen Unwetter Angst?

  • Nein, die hat es schon immer gegeben. Außerdem bin ich gut versichert. 16,0%
  • Ich bin beunruhigt. Aber "Angst" ist jetzt zu viel gesagt. 39,9%
  • Ja, klar. Betrifft uns auch ohne eigenen Hagelschaden alle: Lebensmittel werden teurer, Versicherungen, einfach vieles im Alltag. 36,5%
  • Ja, sehr. Für die kommenden Jahrzehnte habe ich Angst um mein Leben und das Leben meiner Liebsten. 7,6%

Hinweis: Das Abstimmungsergebnis zeigt ein Meinungsbild unserer Nutzer*innen und ist nicht repräsentativ.

Beim letzten Voting wollten wir von euch wissen, was echte Stuttgart-Fans für kein Geld der Welt hergeben würden. Die meisten (59 Prozent) antworteten: "Maultaschen und (echten) Kartoffelsalat - am besten selbstgemacht von Oma."

Über die riesigen Hagelkörner und wie sie die Gärtnerei von Peter Bürkle zerstörten, hat SWR4 Baden-Württemberg am 16.07.2024 berichtet.

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