Die Stadt Stuttgart zieht trotz einiger negativer Schlagzeilen im Zusammenhang mit der Fußball-EM eine positive Bilanz der Großveranstaltung. Oberbürgermeister Frank Nopper (CDU) sagte am Montag, man könne zufrieden und dankbar "auf einen märchenhaften europäischen Fußballsommer in Stuttgart zurückblicken".
- Die Stadt Stuttgart ist zufrieden
- BW-Innenminister Strobl: "Sicherheitskonzept ging auf"
- Stadt hofft auf positives Image in der Schweiz
- Das sagen Stuttgarterinnen und Stuttgarter
- Frust unter Gastronomen
- Einzelhandel: EM kein Umsatztreiber, aber Imagebooster
- Marktbeschicker und Händler: Schön wars - gut, dass es vorbei ist!
- Tourismus: Mehr als 200.000 Übernachtungen wegen der EM
Fußball-EM in Stuttgart: Die Stadtspitze ist zufrieden
Die Stadt hatte mit rund einer Million Besucherinnen und Besuchern in den Fan Zones und den Fan Meeting Points gerechnet, letztlich seien rund 900.000 gekommen, teilte die Stadt mit. Für die niedrigere Zahl gebe es vor allem zwei Gründe: das Ausscheiden der deutschen Mannschaft und das schlechte Sommerwetter, teilte die städtische Veranstaltungsgesellschaft in.Stuttgart mit.
Innenminister Strobl über die Fußball-EM: "Sicherheitskonzept ging auf"
Bei der Pressekonferenz am Montag zeigte sich Baden-Württembergs Innenminister Thomas Strobl (CDU) erleichtert: Ihm falle ein Stein vom Herzen, dass die Veranstaltung in Stuttgart insgesamt betrachtet friedlich verlaufen sei. Die Polizei erfasste in der Stadt rund 400 Vorfälle, von denen mehr als 300 mit Diebstahl, Körperverletzung oder Beleidigung zu tun gehabt hätten.
Vor dem Spiel der deutschen Nationalmannschaft gegen Ungarn sei er etwas besorgt gewesen, räumte er am Montag ein. Die UEFA hatte es wegen gewaltbereiter ungarischer Fans zuvor als Hochrisikospiel eingestuft. Doch auch weil sich die Sicherheitskräfte sehr gut vorbereitet hätten, sei es zu keinen Ausschreitungen gekommen, sagte Strobl.
Überschattet werde das Einsatzgeschehen jedoch vom tödlichen Verkehrsunfall an diesem Spieltag, bei dem ein Stuttgarter Polizist ums Leben kam, fügte Strobl hinzu und drückte der Familie, Verwandten und Kolleginnen und Kollegen des Verstorbenen sein Mitgefühl aus. Für den Mann hatte am Freitag ein Trauermarsch sowie eine Trauerfeier stattgefunden, an der neben vielen Polizistinnen und Polizisten auch Strobl teilnahm.
Stadt hofft auf positives Image in der Schweiz
Die Kosten für die EM liegen nach Angaben der Stadt brutto bei rund 38 Millionen Euro, doch ziehe man die Umsatzsteuer ab, seien es letztlich etwa 32 Millionen, hieß es am Montag. Außerdem wurde im Vorfeld die MHP Arena nach UEFA-Vorgaben modernisiert, was mit Kosten von rund 140 Millionen Euro verbunden war. Davon trägt der VfB Stuttgart als Hauptnutzer des Stadions 61 Millionen Euro.
Aus Sicht von Andrea Gerlach, Stuttgarts wichtigster Marketing-Beauftragten, ist das Geld gut angelegt - langfristig jedenfalls. "Man kann ganz viel Geld in Marketing stecken, das kostet sehr viel Geld. Dagegen sind diese 38 Millionen schon fast wenig, wenn man das jetzt beispielsweise auf die nächsten zehn Jahre hochrechnen würde", sagte sie am Montag nach der EM. "Und wir rechnen wirklich mit einem positiven Imageschub für die Stadt - deshalb lohnt sich diese Ausgabe auf jeden Fall", ist Gerlach überzeugt. Besonders in der Schweiz habe Stuttgart bestimmt Sympathiepunkte dazugewonnen, weil das Schweizer Team hier das Basiscamp hatte - und auch der Ärger über den mangelhaften Trainingsrasen ändere daran wenig.
Stuttgarterinnen und Stuttgarter: Die Party hat sich gelohnt!
Hört man sich bei den Stuttgarterinnen und Stuttgartern um, hadern die wenigsten mit Kosten und Aufwand für die Heim-EM. Überwiegend wird da die super Stimmung gelobt, das Gemeinschaftsgefühl, der nette Austausch mit den internationalen Gästen.
Sogar das Verkehrschaos an den Spieltagen sei es wert gewesen, finden die meisten. Manch einer kritisiert aber auch die hohen Investitionen aus Steuergeldern. Für den Stuttgarter Gerhard Wirth zum Beispiel hat sich der ganze Aufwand nicht gelohnt. "Und für Stuttgart meines Erachtens auch nicht. Das ist ein Verlustgeschäft für die Stadt. Die Millionen sind aus meiner Sicht nicht angemessen", sagt er.
Das einzige, was Adi Fiesel aus Stuttgart beanstandet, ist, dass die Deutschen zu früh rausgeflogen sind. Gelohnt habe es sich ihrer Meinung nach trotzdem. Es seien ja doch viele Leute zum Public Viewing gekommen und die gute Stimmung "hat einfach Deutschland gut getan, glaube ich".
Was zurückbleibt? "Dass Menschen wieder zusammengefunden haben", meint Francesco Palermo. Und das Selbstbewusstsein, "dass Deutschland doch irgendwas kann", lacht Sophia König.
Gastronomie: Freud und Leid liegen nah beieinander
Der Deutsche Hotel- und Gaststättenverband (DEHOGA) teilt mit, insgesamt hätten lediglich 8,1 Prozent der befragten Betriebe in Deutschland wirtschaftlich vom sportlichen Großevent profitiert. Nach Erhebungen des Zahlungsdienstleisters Mastercard stiegen die Gastronomieumsätze in Austragungsorten wie Stuttgart teilweise um das Dreifache an. In Stuttgart zeigt sich deutlich: Es hing von der Art der Betriebe, aber auch von der Lage ab, ob Gastronomen von den vielen Fans profitierten oder nicht.
Vielen sind sie sicher noch gut in Erinnerung: die dänischen und schottischen Fans, die im Freudentaumel über das günstige deutsche Bier hergefallen sind. Der Biergarten im Schlossgarten von Sonja Merz saß zwischenzeitlich sogar auf dem Trockenen, so groß war die Trinkfreude. Und entsprechend gut war auch ihr Umsatz während der EM.
Die rund 2.000 Sitzplätze seien an Spieltagen immer voll belegt gewesen, erzählt die Gastronomin, die vor allem von ihrer Pole-Position mitten im Schlossgarten profitierte, wo sich die Fanlager vor ihren Märschen zum Stadion sammelten.
Fanzonen-Gastronomen beklagen hohe Verluste
Als maßlos ungerecht empfinden das die 15 Gastronomiebetriebe, die die Fanzone wenige Meter weiter am Schlossplatz bespielt haben. Sie hätten vor ihrer Verpflichtung nichts von den Fan Meeting Points in Stadt- und Schlossgarten gewusst, ärgert sich beispielsweise Fanzonen-Gastronom Michael Schmücker. Dort habe es anders als auf dem Schlossplatz auch keine hohen Sicherheitsvorkehrungen wie Taschenkontrollen und Absperrungen gegeben, die wie Barrieren auf Gäste gewirkt hätten, kritisiert er. Wettbewerbsverzerrend sei das gewesen und mangelhaft kommuniziert.
Bei rund 50.000 Euro Standgebühren habe er erwartet, dass Veranstalter und Stadt mehr dafür tun, dass die Gastronomen das Geld auch wieder reinbekommen, indem sich das Fangeschehen stärker auf den Schlossplatz konzentriere. Schmücker hätte sich beispielsweise prominentere Acts auf der Bühne abseits des Fußballs gewünscht, die dann auch sichtbarer hätten beworben werden müssen. Auch wäre es zu Randzeiten ja denkbar gewesen, so Schmücker, Eingangskontrollen zu lockern, um Gästen den Zugang zum Schlossplatz zu erleichtern. Der habe wie eine hermetisch abgeriegelte Festung gewirkt, da hätte er sich als Gast auch nicht gerne aufgehalten.
Das Ende vom Lied für Michael Schmücker: Er habe Verluste im fünfstelligen Bereich verzeichnet. Die Pachtvorstellungen des Veranstalters in.Stuttgart seien vor diesem Hintergrund nicht gerechtfertigt. Die Gastronomen fordern von der Stadt, dass nachträglich noch einmal verhandelt wird.
Die städtische Veranstaltungsgesellschaft verteidigt sich gegen die Vorwürfe: Die Fanzonen seien eingerichtet worden, um Sicherheitsaspekte zu berücksichtigen. "Einer der Sicherheitsaspekte war auch, dass es sogenannte Fan Meeting Points gibt, an denen sich die Fans treffen und um von dort den sogenannten Fan-Walk zum Stadion zu machen. Das war bekannt", sagt in.Stuttgart-Geschäftsführer Andreas Kroll. "Der zweite Fan Meeting Point im Stadtgarten war auch deswegen erforderlich, weil wir teilweise rivalisierende Fangruppen erwartet hatten, weswegen man das getrennt hat."
Schon vor der EM seien Verträge mit Gastronomen nachverhandelt worden. Und während sich manche gegen einen Platz bei der EM entschieden und deshalb nicht unterschrieben hätten, seien andere hingegen das unternehmerische Risiko eingegangen, gibt Kroll zu bedenken. Es fänden nun Gespräche statt und man suche eine Lösung, mit der "zum Schluss dann alle einigermaßen zufrieden sind", sagt Kroll.
Kritik an UEFA-Vorgaben
Fanzonen-Wirt Schmücker wünscht sich zudem ein Nachspiel, was die strengen Auflagen seitens der UEFA betrifft. Es sei bedenklich, welchen Druck der europäische Fußballverband im Vorfeld auf Veranstalter, auf die Stadt als auch auf Gastronomen ausgeübt habe. Durch das Branding-Verbot hätten sie sich als Unternehmen überhaupt nicht präsentieren können. Am Ende habe keiner der Gäste innerhalb der Fanzonen gewusst, wo Essen oder Getränke eigentlich herkämen. Das sei bedenklich, klagt Schmücker.
Eigentlich hätte der Wirt gerne regionales Bier ausgeschenkt, doch das sei nicht erlaubt gewesen. Im Einkauf sei er durch die Vorgaben so beschränkt gewesen, dass die Kosten explodiert seien. Das habe auch zu den überhöhten Getränke- und Essenspreisen auf dem Schlossplatz geführt, die sich nicht jeder Gast leisten wollte oder konnte.
Auf SWR-Anfrage weist die UEFA die Vorwürfe zurück: "Diesbezügliche Regelungen waren alle im Vorhinein vertraglich festgelegt und mit allen Partnern auf Grundlage der Host-City-Vereinbarungen und 'Sideletters' [also Ergänzungen zu den Verträgen, Anm. SWR] für die Fanzone abgestimmt. Druck wurde dabei zu keiner Zeit ausgeübt."
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Bei der Fußball-Europameisterschaft zeigte der Sport wieder seine friedensstiftende Wirkung. Das war nicht selbstverständlich, meint Martin Rupps.
Einzelhandel: EM kein Umsatztreiber, aber Imagebooster
Mehr Umsatz hat die EM nicht gebracht, so lautet das allgemeine Feedback vom Handel, teilt die City Initiative Stuttgart mit. Die Stimmung sei eher verhalten. Wer Souvenirs verkauft habe, der habe natürlich profitiert, erläutert Citymanager Holger Siegle. Doch der normale Einzelhandel und insbesondere das Luxussegment habe wegen des "Remmidemmi" in der Stadt eher Verluste eingefahren.
Die vielen Fans hätten die übliche Kundschaft abgeschreckt, ebenso die Sicherheitsvorkehrungen, Absperrungen, die Dixie-Klos nahe der Ladentür und Parkeinschränkungen. Und wer für den Fußball kam, sei nicht zum Einkaufen gekommen - wohl auch, weil Fans Taschen und Tüten größer als DIN A4 Gweder in Fanzonen noch ins Stadion mitnehmen durften.
Viele Einzelhändler wie das Kaufhaus Mitte hatten ihr Sortiment daher um Bier und Souvenirs erweitert. Damit sei man gut gefahren, sagt Geschäftsführer Daniel Brunner. Obwohl die Stammkundschaft ausblieb und es hier und da zu Diebstählen und Überfüllung kam, konnte er von der Laufkundschaft rund um das Public Viewing profitieren.
Marktbeschicker und Händler: Schön wars - gut, dass es vorbei ist!
Besonders von Einschränkungen betroffen waren die Märkte Stuttgart. Die Beschicker der Wochenmärkte mussten wegen der Fanzonen vom Markt- und Schillerplatz auf die Königstraße ausweichen, wo sich Anlieferung und Stromversorgung problematisch gestalteten. Auch der Flohmarkt wurde vom Karls- auf den Rotebühlplatz verlegt.
Auch für die Stuttgarter Markthalle seien es nicht die umsatzstärksten Wochen gewesen, bestätigt Thomas Lehmann, der Geschäftsführer der Märkte Stuttgart. Durch beschränkte Zugangsmöglichkeiten und die Sperrung der Parkplätze sei die Logistik enorm erschwert worden.
Antonio Fattizzo verkauft in der Markthalle italienische Feinkost und berichtet, ihn habe die Fußball-EM die Hälfte seines Umsatzes gekostet.
Der allgemeine Tenor im Handel lautet: Dem Image der Stadt hat die EM sicherlich gut getan. Und vielleicht, so die Hoffnung, kämen Schotten, Dänen und Co. ja einfach so mal wieder zu Besuch in die Stadt - auch zum Einkaufen.
Tourismus: "Wir haben uns als Gastgeber gut präsentiert"
Schon ein halbes Jahr vorher waren für den Zeitraum der EM in beiden Stuttgarter Herbergen alle 466 Betten ausgebucht, sagt Jugendherbergsbetreiber Helge Dörr. An den Auslosungstagen sei das Buchungsverhalten durch die Decke gegangen.
Mehr Übernachtungsgäste als üblich habe er zwar nicht gehabt, weil im Juni und Juli immer viele zu Besuch kämen - aber dafür sei es nun ein bunteres, internationaleres Publikum gewesen.
"No Scotland, no Party", das habe auch für seine Herbergen gegolten. Das schottische Fanlager habe eine tolle Stimmung ins Haus gebracht, auch Dänen und Deutsche waren gut vertreten. Nach den Spielen hätten abends unterschiedliche Fans friedlich zusammen weitergefeiert.
Helge Dörr freut sich, dass er und die ganze Stadt sich als Gastgeber so gut präsentieren konnten. Viele Fans hätten sich persönlich bedankt und in den Bewertungen im Netz lese er immer wieder, dass sie gerne wiederkommen würden.