Bäuerinnen und Bauern haben am Montag in Baden-Württemberg zahlreiche Straßen und Autobahnauffahrten blockiert. Auch am Dienstag ging es mancherorts nur langsam oder gar nicht mehr vorwärts - ähnlich wie bei Protesten der "Letzten Generation", bei der sich Aktivistinnen und Aktivisten auf die Straße kleben. Diese trafen in den vergangenen Monaten bei vielen Politikerinnen und Politikern im Land auf wenig Verständnis, teilweise wurde Kritik am Vorgehen der "Letzten Generation" laut.
Bei den Bauernprotesten im Land hielt sich die politische Empörung bisher aber in Grenzen. Denn diese sind - im Gegensatz zu den Aktionen der "Letzten Generation" - bei den Behörden angemeldet. Am Montag stellte die Polizei mancherorts aber auch unangemeldete Versammlungen fest und leitete Strafverfahren gegen Unbekannt wegen mutmaßlicher Verstöße gegen das Versammlungsgesetz ein. Wird hier von der Politik mit zweierlei Maß gemessen?
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Kretschmann: Ziele der "Letzten Generation" legitim
Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) nahm dazu am Dienstag Stellung. "Also es kann jetzt keine Rede davon sein, dass ich mit den Leuten nicht rede oder die anders behandele wie die Bauern", sagte er in Bezug auf die "Letzte Generation" und verwies auf gemeinsame Gespräche mit den Aktivistinnen und Aktivisten.
Dass die "Letzte Generation" dafür demonstriere, dass der Klimaschutz schneller erfolge, sei völlig legitim und nachvollziehbar, so Kretschmann. Nur bezweifele er, dass ihre Mittel erfolgreich seien. Im Hinblick auf die Proteste der Bauern verwies Kretschmann darauf, dass die Bundesregierung bereits Kompromisse eingegangen und von ihren ursprünglichen Plänen abgerückt sei.
CDU-Fraktionschef: Man muss sich an die Regeln halten
Der CDU-Fraktionsvorsitzende Manuel Hagel kritisierte die Bundesregierung im Zuge der Bauernproteste hingegen scharf. "Die Ampel hat auf ganzer Linie völlig versagt", teilte er auf SWR-Anfrage mit. "Solche für unsere bäuerlichen Familienbetriebe existenziellen Entscheidungen quasi über Nacht zu beschließen, ohne die Beteiligten auch nur zu hören, das geht einfach gar nicht."
Generell verwies Hagel auf das Demonstrationsrecht. Das gelte für Bäuerinnen und Bauern, für Klimaprotestler und auch für jeden anderen, so der CDU-Fraktionsvorsitzende weiter. "Aber es gibt dabei eben auch Regeln. Und an die muss man sich halten." Hier beantworte sich dann auch die Frage, ob einzelne Aktionen legal oder ein Fall für die Gerichte seien. "Was etwa gar nicht geht, ist die Gefährdung von Menschen durch Straftaten", so Hagel weiter.
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Auch der baden-württembergische Landwirtschaftsminister Peter Hauk (CDU) machte klar: Proteste müssten sich immer im Rahmen des Legalen bewegen, friedlich und demokratisch sein. Einzelne sollten nicht die Anliegen der meisten Bauern, die friedlich auf ihre Lage aufmerksam machten, überreizen, so Hauk. "Jegliche Form von Gewalt, Bedrohung, Nötigung, illegale und nicht angemeldete Straßenblockaden oder andere strafrechtlich relevante Aktionen haben in einem demokratischen Protest nichts verloren." Das gelte für Klebeaktionen wie für alle anderen Proteste, erklärte Hauk weiter.
FDP: Keine Hierarchie politischer Anliegen
Ähnlich sieht es der FDP-Fraktionsvorsitzende Hans-Ulrich Rülke. "Niemand - weder die sogenannte 'Letzte Generation' noch die Bauern - haben das Recht, Unbeteiligte zu nötigen", teilte er mit. Dementsprechend gebe es für ihn keine Hierarchie politischer Anliegen und auch keine Hierarchie, was die Einhaltung von Gesetzen anlange.
Auch der Grünen-Fraktionsvorsitzende Andreas Schwarz will nicht bewerten, ob der Protest der Bauern oder der der Klimaaktivisten der "Letzten Generation" legitimer sei. "Das Gute an einer Demokratie ist, dass jeder seine Meinung sagen und für seine Anliegen eintreten kann - vorausgesetzt die hier geltenden Regeln werden eingehalten und der gegenseitige Respekt bleibt gewahrt."
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AfD: Nur die Bauernproteste sind legitim
Für AfD-Fraktionschef Anton Baron sind hingegen nur die Bauernproteste legitim. "Den Bauern geht es um ein reales Anliegen. Sie kämpfen um ihre nackte Existenz und gegen eine Regierung, die sie systematisch vernichten will", teilte er mit. Dennoch kündigten sie ihre Proteste im Vorhinein an. Das täten die "Klimakleber" nicht. "Sie greifen willkürlich in den Straßenverkehr ein, brechen das Gesetz und entnerven die Bevölkerung", so Baron weiter.
Aus Sicht der SPD-Fraktion darf bei den Protesten nicht mit zweierlei Maß gemessen werden. "Wir nehmen allerdings wahr, dass Vertreter anderer politischer Parteien hier offensichtlich in der Deutung dieser Aktionsformen deutliche Unterschiede machen", teilte die SPD-Fraktion mit. Diese Art von Doppelzüngigkeit halte man für unglaubwürdig und letztlich auch mit der Autorität des Rechtsstaats für nicht vereinbar.
Wem stehen die Protestierenden nahe?
Für den Politikwissenschaftler Ulrich Eith von der Universität Freiburg ist die Art und Weise, wie Politiker sich zu den Protesten äußern, auch strategisch. Es gehe darum, wer die Träger des Protests seien und welcher Partei sie nahe stünden, sagte Eith dem SWR. "Da beispielsweise bei den Bauern ein hoher Anteil die Union wählt, machen CDU/CSU das Thema der Bauernproteste auch zu ihrem Thema." Anders sehe es bei den Klimaprotesten der "Letzten Generation" aus, die zudem anderen Parteien inhaltlich näherstünden.
Außerdem geht es laut Eith darum, ob eine Partei den Protest für die eigenen Zwecke nutzen kann. Er erinnerte an die vielen Proteste von "Fridays for Future" vor der letzten Landtagswahl. "Als Reaktion darauf hatten die Grünen dann in der Klimapolitik entschiedenere Positionen", sagte Eith. Die Bauernproteste könne hingegen die Opposition für sich nutzen und mit der Botschaft verknüpfen: Die Regierung treffe die falschen Entscheidungen und bekomme dafür Gegenwind.