Die Landtagspräsidentin von Baden-Württemberg, Muhterem Aras (Grüne), hatte am Donnerstag im Landtag in Stuttgart zu einer Diskussion über den Umgang mit Menschen mit Behinderung eingeladen. Nach ihren Worten will sie Benachteiligung, Ausgrenzung und Diskriminierung verhindern.
SWR-Gespräch mit der Landesarbeitsgemeinschaft Selbsthilfe
Auch Bärbel Kehl-Maurer von der Landesarbeitsgemeinschaft Selbsthilfe Baden-Württemberg war Teilnehmerin der Diskussion und erklärte, es liege noch ein weiter Weg vor dem Land. Die Dachorganisation von derzeit 62 Selbsthilfeverbänden behinderter und chronisch kranker Menschen sowie von deren Angehörigen sieht gerade im Bereich Bildung Rück- statt Fortschritte. Warum das so ist, erklärt Kehl-Maurer, Erste Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft, im Gespräch mit SWR Aktuell.
SWR Aktuell: Frau Aras schreibt auf der Homepage des Landtags, dass Menschen mit Behinderung in unserem Land noch an vielen Stellen benachteiligt werden. An welchen Stellen sehen Sie den größten Nachholbedarf?
Bärbel Kehl-Maurer: Da ist leider die Zeit für unser Interview zu kurz. Ein großer Bereich, den wir auch im Landtag besprechen werden, ist die Bildung. Durch die Corona-Pandemie haben sich die inklusiven Bildungsangebote einfach nicht weiterentwickelt, sondern bei sehr vielen Eltern ist der Eindruck entstanden, dass die Inklusion Rückschritte macht: Es fehlt an Schulbegleitungen, da gibt es große Hürden, dass überhaupt Schulbegleitung genehmigt wird. Die berufliche Bildung für junge Menschen mit Beeinträchtigung – auch da gehört noch einiges nachgebessert und natürlich steht der Lehrer und Fachkräftemangel über allem. Inklusive Bindung kann gar nicht umgesetzt werden, wenn nicht genügend Lehrer und Fachkräfte da sind. Für uns ist auch die Inklusion in der Schule sehr wichtig, weil in die Schule muss jeder gehen. Damit die Inklusion dann später in den anderen Bereichen auch gelingt, muss hier wirklich eine gute Startposition für alle geschaffen werden.
SWR Aktuell: Das Motto des Tages im Landtag ist: "Gemeinsam Politik gestalten. Menschen mit Behinderungen auf Augenhöhe mit der Politik". Sie haben schon geschildert, dass es da doch viele Probleme gibt, gerade im Bildungsbereich. Haben Sie denn den Eindruck, dass die baden-württembergische Landesregierung zwar große Pläne hat, aber letzten Endes das Ganze eigentlich gar nicht umgesetzt wird?
Kehl-Maurer: Es gibt Programme, die aufgelegt werden, aber es geht nicht so voran, wie man sich das vorstellt. Es gibt guten Willen, aber bis es dann in die Umsetzung kommt, dauert es einfach leider zu lange. Das führt dazu, dass die Menschen mit Beeinträchtigung, deren Eltern, deren Familien genau das kritisieren. Wir sind ja froh darüber, dass dieser Tag der behinderten Menschen im Landtag stattfindet, weil wir dann im Dialog mit maßgeblichen Politikern und Vertretern der Ministerien sein können, aber es dauert einfach zu lange. Natürlich ist das Kompetenzzentrum für Barrierefreiheit eingerichtet worden. Es wird auch der Landesaktionsplan weiterentwickelt, es gibt eine große Beteiligung der Menschen mit Behinderung und von deren Familien - das ist auch der richtige Weg - aber wir wollen einfach auch mal Resultate sehen.
SWR Aktuell: Lassen Sie uns noch mal auf die positiven Seiten schauen. An welchen Stellen funktioniert Inklusion denn inzwischen richtig gut?
Kehl-Maurer: Was erfreulich ist, dass sich in Richtung Arbeit einiges tut, dass Menschen mit Beeinträchtigung früher einen Arbeitsplatz bekommen. Da denke ich aber auch, dass der öffentliche Arbeitgeber Vorbild sein muss - er erfüllt seine Schwerbehindertenquote weiterhin nicht. Man bemüht sich auch, wenn es um die Gesundheit geht. In Kliniken ist ein Aufnahme-Entlass-Management eingeführt worden, aber das sind alles zarte Pflänzchen, von denen wir möchten, dass sie schneller wachsen. Barrierefreiheit ist inzwischen schon beim ÖPNV angekommen, aber vor Ort, wo die Menschen mit Behinderung und ihre Familien leben, gibt es noch immer gravierende Mängel an Bahnhöfen und an öffentlichen Gebäuden, wo nachgebessert werden muss.