Andreas Brämer ist seit Oktober neuer Leiter der Hochschule für Jüdische Studien in Heidelberg. Der promovierte 60-Jährige Historiker und Judaist hat in Heidelberg studiert. Am Donnerstag ist die feierliche Amtsübergabe. Andreas Brämer ist selbst kein Jude, doch er tritt in unruhigen Zeiten ein schwieriges Amt an. Der Überfall der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 war für viele Juden ein einschneidendes Erlebnis, antisemitische Anfeindungen hat er selbst erlebt.
SWR Aktuell: Sie treten Ihr Amt in einer schwierigen Zeit an. Wie sieht ihre Vision als neuer Leiter der Hochschule für Jüdische Studien in Heidelberg aus?.
Andreas Brämer: Wenn Bildung das Argument ist, um Verbesserungen in der Gesellschaft zu erzielen, dann müssen wir sehen, dass die bisherigen Konzepte uns teilweise auf die Füße gefallen sind. Denn wir haben nicht das erreicht, was wir wollten.
Ein Beispiel: Wir haben ein Gameing-Projekt hier an der Hochschule. Dabei geht es um die Vermittlung jüdischer Geschichte durch Computerspiele. Ein anderes Beispiel findet in Kooperation mit der Islamwissenschaft der Universität Heidelberg statt. Dabei werden Personen beider Religionswissenschaften in Schulen entsandt, um über jüdisches und muslimisches Leben in Nahost zu sprechen.
SWR Aktuell: Die Situation hier an der Hochschule hat sich nach dem 7. Oktober drastisch verändert. Die Sicherheitsmaßnahmen an vielen jüdischen Einrichtungen werden erhöht. Wie denken sie darüber?
Brämer: "Better safe than sorry" - lieber zu viel Sicherheit als zu wenig. Meine Frau und ich habe auch schon Erfahrungen mit diesem Thema gemacht. Zuletzt war ich an der Universität Hamburg und habe dort eine Ringvorlesung zum Thema "aktuelle Formen von Antisemitismus" organisiert. Eine Kollegin und ich wurden massiv mit verbaler Gewalt konfrontiert. Eine kleine Gruppe von Aktivisten hat jede Woche versucht, die Veranstaltung zu stören.
Situation eskaliert
Dann eskalierte die Situation. Meine Frau, die auch dort war, wurde von einer Aktivistin zunächst beleidigt und dann körperlich attackiert. Sie musste daraufhin mehrere Tage im Krankenhaus verbringen. Ich sehe meine Frau als "Ersatz-Opfer" in diesem Konflikt. Jüdische Menschen in Deutschland leben mit dem Gedanken, dass diese Gewalt potenziell auch sie trifft. Das ist eine dramatische Entwicklung.
Die Veranstaltungsreihe, die sich ja inhaltlich mit Antisemitismus beschäftigt hat, habe ich genau deshalb auch bis zum Ende fortgesetzt.
SWR Aktuell: Es kam auch zu verbaler Gewalt?
Brämer: Das war der ständige Vorwurf, dass sich die Referenten nicht mit dem Konflikt in Gaza auseinandergesetzt hätten und sie den sogenannten Völkermord legitimieren. Das äußerte sich dann zum Beispiel so, dass ich als Kindermörder angeschrien wurde.
SWR Aktuell: Seit Oktober sind Sie wieder in ihrer alten Heimat Heidelberg. Wie empfinden sie die Situation hier?
Brämer: Zum einen die Sorge bei den Menschen hier, um die allgemeine Sicherheit in Israel. Ich selbst kann mich in meiner eigenen Biografie kaum an eine Situation erinnern, in der Israel so vielfältigen Bedrohungen ausgesetzt war. Zum anderen sehe ich auch hier die gesellschaftlichen Auswirkungen. Die Verunsicherung vieler Studierender. Sie berichten mir, dass sie sich an der Universität nicht mehr wohlfühlen. Die anti-israelischen Proteste bekämen zu viel Raum. Das ist für viele schwer erträglich.
Das Interview führte Natalie Akbari-Haddad.