Wenn im Bundestag über Migration, Flucht, Asylrecht und Abschiebungen debattiert und abgestimmt wird, hören Menschen mit Migrationsgeschichte genau zu. Auch in Mannheim. Welche Gedanken sie in sich tragen und wie sie die Diskussionen verarbeiten, hat SWR-Redakteur Patrick Figaj zusammengefasst.
Die Abstimmung im Bundestag über eine verschärfte Migrationspolitik war nur ein Entschließungsantrag ohne direkte politische Wirkung, aber allein die Tatsache, dass die CDU den Antrag mit Hilfe der AfD durchgebracht hat, sorgt für massive Verunsicherung, da die AfD in Teilen als gesichert rechtsradikal gilt.
Zusammenarbeit mit AfD weckt Befürchtungen
Viele Menschen fühlen sich an dunkle Zeiten in Deutschland erinnert, als der Nationalsozialismus sich breit machte. Das zeigen die vielen Demos im Land. Der Vorstoß der CDU enthält etliche Elemente einer neuen Migrationspolitik, die von einer Mehrheit in Deutschland mitgetragen werden. Die Zusammenarbeit mit der AfD weckt allerdings Befürchtungen, da die Partei grundlegende Änderungen in Deutschland fordert.
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Die Auswirkungen würden viele Menschen mit ausländischen Wurzeln in Deutschland betreffen. Deshalb hat sich SWR Aktuell im multikulturell geprägten Mannheim nach dem aktuellen Lebensgefühl umgehört, wie Menschen mit Migrationshintergrund die politische Lage bewerten. Was sie befürchten und wo sie selbst, Verwandte oder Bekannte betroffen sein könnten.
Nicht alle in einen Topf werfen
Dilek hat türkische Wurzeln und einen sicheren Aufenthaltsstatus.
"Für uns ist leicht reden", sagt sie, "die, die hier leben, hier geboren sind und hier auch einen Aufenthalt haben. Da sagt man halt immer mal gerne draußen bleiben und alles mögliche. Aber man ist ja nicht selbst betroffen, vor allem, wenn es um die Asylpolitik geht.
Aber wenn ich jetzt in deren Situation wäre, dann würde ich sagen: Werft nicht alle in einen Topf, das ist ungerecht. Gerade die, die wirklich aus Krisengebieten kommen, die brauchen ja Hilfe. Auf der anderen Seite verstehe ich auch die Ängste und Sorgen der Bürger hier. Wenn ich sehe, was kürzlich passiert ist mit dem Vorfall auf dem Marktplatz, dann verstehe ich das auch."
Werft nicht alle in einen Topf, das ist ungerecht.
"Dass man sagt, man sollte wirklich an den Grenzen besser kontrollieren und schauen wer kommt rein, das ist auch in Ordnung. Also ich bin ein bisschen zwiegespalten. Beide Seiten haben gute Argumente.
Ich habe mir da auch ein bisschen ein dickes Fell wachsen lassen, sage ich jetzt mal. Aber die jungen Leute eben nicht, wie zum Beispiel mein Sohn, wenn er angegriffen wird, mit - du Scheiß-Ausländer oder du Moslem - oder so, dann kann er anders reagieren. Aggressiver."
Wer Gewalttaten ausübt, sollte abgeschoben werden
Huelya hat türkische Wurzeln, lebt in Mannheim. Die Grenzen dichtmachen?
"Also ich finde es auf jeden Fall richtig, weil es kommen immer mehr. Es kommen immer mehr, also auch Leute, die gewalttätig sind. Aber ich finde auch unfair, dass es auch Menschen gibt, die abgeschoben werden, obwohl sie nichts gemacht haben. Ich finde die Leute, die hier Gewalttaten machen, sollten abgeschoben werden."
Ich finde die Leute, die hier Gewalttaten machen, sollten abgeschoben werden.
Huelya ist selbst familiär betroffen. "Meine Schwiegermutter zum Beispiel, die betreut eine kranke, im Bett liegende Frau mit Down-Syndrom, die steht vor der Abschiebung und mein Schwiegervater wurde schon abgeschoben, obwohl die nichts gemacht haben. Die hatten einen Asylantrag gestellt, aber der wurde abgelehnt."
Mein Schwiegervater wurde schon abgeschoben, obwohl der nichts gemacht hat.
Und Huelya sagt konkret: "Bevor man jemandem einen Aufenthalt gibt, sollte man kontrollieren, ob der Straftaten in Ausland hat. Das wäre sehr wichtig, finde ich. Und auch gucken, was es für ein Mensch es ist. Jemand mit Gewalttaten - auf keinen Fall zulassen, weil wir sehen hier: Es wurde ein Polizist und ein Kindergartenkind getötet (Anm. der Redaktion: Bezug auf die Fälle in Mannheim und Aschaffenburg). Es wird immer mehr, und als Frau habe ich auch Angst, auf die Straße zu gehen nachts."
Ein anderer Mannheimer mit knappen Deutschkenntnissen bringt seine Ansicht gut auf den Punkt:
Ja Multikulti, die Leute werden immer besser ökonomisch. Faschismus ist nicht gut.
Grenzen sollten nicht geschlossen werden
Ja, Deutschland sei eigentlich ohne die Ausländer aufgeschmissen, sagt eine Frau aus Mannheim mit kurdischen Wurzeln. Sie heißt Gihan. "Weil wir sind hier diejenigen, die arbeiten und die Steuern zahlen. Ohne Ausländer wäre, glaube ich, Deutschland, aufgeschmissen.
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Das tut mir leid, wenn ich das so sage, ich bin selber als Ausländerin hier aufgewachsen, bin mittlerweile selbständig. Und wir zahlen jede Menge Steuern, und die Steuern werden halt fehlen. Weil das die Steuern sind, die auch an die Flüchtlinge gehen, die unterstützt werden. Und ich bin nicht dafür, dass die Grenze zugemacht werden, auf keinen Fall, weil man muss unter die Arme der armen Menschen greifen."
Deutschland ist eigentlich ohne die Ausländer aufgeschmissen.
"Deutschland lebt von den Ausländern hier in Mannheim, die Inhaber eines Geschäftes sind, eines Restaurants, eines Einzelhandels. Also wir sind in den 90er Jahren als Flüchtlinge nach Deutschland gekommen. Da haben wir auch unsere Gründe gehabt. Und ich kann ich nur sagen: Das war nicht zum Vergnügen."
Man muss armen Menschen einfach unter die Arme greifen.
Gihan überträgt die Debatte, die vielen Diskussionen, auf ihre persönliche Lebenssituation. Sie vergleicht. "Wir sind zehn Kinder, und alle haben studiert. Und mittlerweile sind wir fast alle selbständig. Jeder hat eine Firma, wir sind alle Steuerzahler. Zehn Leute, die Steuerzahler sind, finde ich ja schon viel. Einfach mal auch in der Heimat nachrecherchieren, ist das ein Verbrecher, ist es ein Mörder? Hat dieser Mensch jemanden umgebracht? Das kann man ja alles heutzutage digital einsehen."
Recht und Gerechtigkeit in Fragen von Arbeitserlaubnis
Weiter sagt Gihan: "Ich finde es ist auch ungerecht, dass viele Flüchtlinge, die nach Deutschland kommen und auch arbeiten wollen und auch Steuern zahlen, keine Arbeitserlaubnis vom deutschen Staat bekommen."
Es ist ein Ausschnitt aus einer multikulturell geprägten Stadt. Aber es wird deutlich: Die Debatte beschäftigt viele Menschen mit Migrationsgeschichte. Die Perspektiven auf Migration und Flucht sind aber auch hier komplex - und alles andere als einfach.