Initiative "Ländle leben lassen"

Hausbau, Infrastruktur - Naturschutz? Warum der Kampf gegen Flächenfraß in BW so oft scheitert

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Marc-Julien Heinsch
SWR-Redakteur Marc-Julien Heinsch Autor Bild
Autor/in
Annika Jahn

Jeden Tag weichen freie Flächen Straßen oder Siedlungen. Das Land will den Flächenverbrauch bremsen, scheitert aber derzeit häufig an der Umsetzung - nun macht ein Bündnis Druck.  

Fläche ist in Baden-Württemberg ein kostbares und endliches Gut. Rechnerisch verschwindet im Land pro Sekunde ein Quadratmeter Boden unter Beton. Um diesen Flächenfraß einzubremsen, hat sich ein ungewöhnliches Bündnis aus Naturschützerinnen und -schützern, Landwirtinnen und Landwirten formiert.

Unter dem Namen "Ländle leben lassen" will es mit einem Volksantrag dafür sorgen, dass der Flächenverbrauch gesetzlich eingedämmt wird - obwohl dieses Ziel eigentlich schon längst im Koalitionsvertrag festgeschrieben ist. Doch die Umsetzung durch die Landesregierung läuft schleppend.

Bündnis will Flächenverbrauch möglichst halbieren 

2022 wurden täglich 4,6 Hektar Fläche im Land verbraucht. Um Straßen zu bauen, Wohnraum zu schaffen oder Industrie anzusiedeln. Das ist zu viel, findet die Initiative. Sie will den Flächenverbrauch auf maximal 2,5 Hektar pro Tag begrenzen. 

Bis 2035 sollen sich Flächenversiegelung und Entsiegelung völlig ausgleichen. So steht es in dem Volksantrag, den das Bündnis vergangene Woche an die Landtagspräsidentin übergeben hat. Mehr als 50.000 Unterstützerinnen und Unterstützer haben ihn unterschrieben. Jetzt ist der Landtag gezwungen, sich mit dem Thema zu befassen.  

Naturschutz und Landwirtwirtschaft einer Meinung  

Umwelt- und Naturschutzverbände warnen, die ständige Zunahme an Straßen, Wohn- und Gewerbegebieten habe negative Folgen für die Umwelt und das Klima. Lebensräume seltener Tier- und Pflanzenarten gingen verloren. Einzigartige Naturräume und Biotope würden verdrängt, argumentieren sie.  

Bäuerinnen und Bauern schließen sich den Forderungen an. Das ist ungewöhnlich, da die Interessen von Naturschutz und Landwirtschaft in der Vergangenheit oft gegenläufig waren. Die Bäuerinnen und Bauern prangern einen stetigen Rückgang der landwirtschaftlich genutzten Fläche in Baden-Württemberg an.  

Zwar wird der Großteil der Fläche im Land, nämlich fast 45 Prozent, laut statistischem Landesamt immer noch landwirtschaftlich genutzt. Seit Jahren sinkt der Anteil aber stetig. Das gefährde die heimische Lebensmittelproduktion, so die Landwirtschaftsverbände. Die Abhängigkeit von importierten Lebensmitteln steige. Heimische Landwirtschaftsbetriebe sterben mehr und mehr aus, lautet die Kritik.

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Landesregierung will Flächenfraß begrenzen, aber Instrumente fehlen 

Die Landesregierung ist prinzipiell dafür, das Flächenmanagement zu verändern. Im Koalitionsvertrag weist Grün-schwarz die gleichen Ziele aus, die nun das Bündnis "Lände leben lassen" fordert. Doch erst am Dienstag (5.3.) hat Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) einer zeitnahen Reduzierung des Flächenverbrauchs eine Absage erteilt. 

Im Moment fehlen laut Kretschmann noch die passenden Instrumente. Die Landesbauordnung habe das Land schon geändert. Gebäude können jetzt einfacher aufgestockt werden, sodass Siedlungen eher in die Höhe als in die Fläche wachsen.  

Kretschmann gibt jedoch zu: "Das hat leider nicht den Erfolg gebracht, den wir erwartet haben." Eine gewisse Verlangsamung des Flächenverbrauchs habe man immerhin erreicht. Der Blick in die Vergangenheit zeigt außerdem, dass die Tendenz bereits rückläufig ist: Im Jahr 2000 etwa wurden noch 12 Hektar statt der 2022 4,6 Hektar pro Tag verbraucht.

Politik ringt um kommunale Innenentwicklung 

Die Innenentwicklung müsse Vorrang vor der Außenentwicklung haben, so Kretschmann. Das heißt: Bevor neue Flächen als Bauland freigegeben werden, müsste bei bestehenden bebauten Gebieten zunächst geprüft werden, ob diese nicht effektiver genutzt werden können.  

Mit verschiedenen Förderprogrammen hatte die Politik genau das schon versucht. Dazu zählt, Anreize zu schaffen, Baulücken zu schließen oder die Sanierung oder Wiedernutzung von leerstehenden Gebäuden voranzutreiben.  

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Zielkonflikt: Flächenerhalt konkurriert mit Wohnungsnot 

Flächen freizulassen, konkurriert in der Realität mit dem Druck, neuen Wohnraum zu schaffen, attraktive Standorte für Industrieunternehmen anzubieten oder auch erneuerbare Energieträger auszubauen.  

Beispiele sind Windräder oder große Flächen für Photovoltaikanlagen, die laut Koalitionsvertrag immerhin auf zwei Prozent der Landesfläche Platz finden sollen. 

Für Johannes Enssle, den Landesvorsitzenden vom Naturschutzbund NABU, hadern Politiker beim Thema Flächenfraß mit solchen Zielkonflikten. "Im Zweifel sticht Ober Unter und weniger populäre Ziele weichen konkreten Bedürfnissen, die teilweise auch sehr lautstark formuliert werden." Das könne der Neubau von Straßen sein, aber auch der akute Wohnungsmangel.

Die Not schnell neue Wohnungen zu bauen, lastet aber besonders schwer auf den Schultern der Gemeinden. Wenn sie die Wahl haben, freie Flächen unkompliziert neu zu bebauen oder bestehende Baulücken bürokratisch aufwendig in Wohnraum umzurüsten, falle die Wahl derzeit häufig noch auf die einfachere Lösung, so der Vorwurf von Enssle. Ein System mit festen Obergrenzen beim Flächenverbrauch könne Gemeinden so einen Riegel vorschieben. 

Johannes Enssle, Landesvorstizender des Umweltverbandes Nabu in Baden-Württemberg, steht während eines gemeinsamen Interviewtermins mit der Umweltorganisation Bund in der Nabu-Geschäftsstelle.
Der NABU-Landesvorsitzende Johannes Enssle sieht die Landesregierung in der Pflicht, die Zielkonflikte rund um Flächennutzung aufzulösen.  

Obergrenzen: Landwirtschaftsminister warnt vor Bremswirkung  

Für Landwirtschaftsminister Peter Hauk von der CDU hätte das wiederum negative Folgen für Baden-Württemberg als Wirtschafts- und Ansiedlungsstandort. "Wenn wir wirtschaftliche Entwicklung wollen, wenn wir Wohnentwicklung auch in den ländlichen Räumen wollen, werden wir nicht auf weitere Flächenversiegelungen gänzlich verzichten können, das ist vollkommen klar", so Hauk. 

Gegen den Vorwurf, Kommunen würden zu viel Freifläche bebauen wehrte sich Gemeindetags-Präsident Steffen Jäger schon im Herbst. Kommunen würden häufig gerne mehr Innenentwicklung betreiben. Dazu fehlten in der Realität aber meistens die Instrumente. Eines sei zum Beispiel das Vorkaufsrecht in Siedlungsbereichen. 

Die Kommunen argumentieren auch, die Zahlen spiegelten die tatsächliche Versiegelung nicht wider. "Heute wird jeder überplante Hektar als sogenannter Flächenverbrauch kategorisiert. Dabei ist der größere Teil der statistisch erfassten Flächennutzung nicht versiegelt", erklärt Jäger.  

Landesentwicklungsplan soll Flächenfraß eindämmen 

Hier soll nachgeschärft werden - so sieht es der Landesentwicklungsplan vor, den das CDU-geführte Ministerium für Landesentwicklung und Bauen derzeit überarbeitet. Die Vorgängerversion stammt aus dem Jahr 2002. Im Landesentwicklungsplan wird festgelegt, welcher Quadratmeter wo, wie, von wem genutzt werden soll. 

Den Flächenverbrauch zu reduzieren, wird im neuen Entwurf als klares Ziel benannt. Es handle sich um eine "Querschnittsaufgabe […], für die es Anstrengungen auf allen politischen und fachlichen Ebenen bedarf", heißt es darin. Bisher wurden lediglich Ideen formuliert.  

Den Flächenverbrauch bis 2035 auf Netto-Null zu senken, hält das Ministerium für Landesentwicklung und Wohnen wegen der derzeitigen Zuwanderung für illusorisch. Mit den Initiatoren des Volksbegehrens "Ländle leben lassen" sei man dennoch in konstruktiven Gesprächen und wolle in den nächsten Wochen eine Stellungnahme zum Volksantrag erarbeiten.  

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