In den baden-württembergischen Kindertagesstätten arbeiten immer weniger Fachkräfte: Um den Betrieb aufrechtzuerhalten, werden nach einer neuen Studie vermehrt Betreuerinnen und Betreuer eingestellt, die die formale pädagogische Voraussetzung nicht besitzen. Zu diesem Ergebnis kommt das "Ländermonitoring Frühkindliche Bildungssysteme" der Bertelsmann Stiftung. Hinzu kommt, dass Kita-Mitarbeitende in steigender Zahl den Job aufgeben und in andere Branchen wechseln.
Durch den Einsatz von Mitarbeitenden ohne formal ausreichende Voraussetzungen werde versucht, den Platz- und Personalmangel in den Kitas aufzufangen, hieß es weiter. "Das darf aber nicht zu einem dauerhaften Absenken der Fachkraft-Quote führen - doch genau diese Tendenz sehen wir momentan in Baden-Württemberg", sagte Kathrin Bock-Famulla, Expertin der Bertelsmann Stiftung für frühkindliche Bildung.
Expertin: Hohe Fachkraft-Quote entscheidend
Eine hohe Fachkraft-Quote in jedem Kita-Team sei ein zentraler Faktor, um kleine Kinder so auszubilden, wie es angemessen sei, ergänzte sie. Eine solche Quote zeichne sich dadurch aus, dass mindestens acht von zehn Pädagogen über einen einschlägigen Fachschulabschluss verfügen. Dies war aber laut Studie in Baden-Württemberg im vergangenen Jahr nur in jedem vierten Kita-Team (26 Prozent) der Fall, im Jahr 2017 noch bei 39 Prozent der Teams. Der Rückgang von 13 Prozentpunkten sei stärker als auf Bundesebene (9 Prozentpunkte).
Der Anteil an Kita-Teams, in denen nur 50 bis unter 70 Prozent des pädagogischen Personals als Fachkraft qualifiziert sind, ist im selben Zeitraum von fast 28 Prozent im Jahr 2017 auf über 37 Prozent im vergangenen Jahr gestiegen. Insgesamt haben laut Bertelsmann-Studie 71 Prozent der Kita-Beschäftigten im Land einen Fachschulabschluss. Demnach liegt Baden-Württemberg damit knapp unter dem Bundesdurchschnitt.
Reaktion auf sinkende Zahl an Erziehern Spanische Fachkräfte verstärken Mannheimer Kitas
Zehn pädagogische Fachkräfte aus Spanien verstärken seit Kurzem die Mannheimer Kitas. Das teilte die Stadt am Dienstag mit. Weitere sollen im kommenden Jahr folgen.
Kita-Personal bundesweit stark überlastet
Allerdings ist das Kita-Personal bundesweit bereits jetzt stark überlastet, wie die Studie der Bertelsmann Stiftung in Kooperation mit der Justus-Liebig-Universität Gießen zeigt. Demnach gibt fast die Hälfte der befragten Kita-Mitarbeitenden an, sich täglich oder fast täglich im beruflichen Alltag überlastet zu fühlen. "Viele Beschäftigte schätzen die Wahrscheinlichkeit, dass sie das Berufsfeld kurz- bis mittelfristig verlassen werden, als sehr hoch ein", teilte die Stiftung mit. Bei rund einem Viertel der Befragten liege diese sogar bei 80 Prozent oder höher.
Dennoch besitzt Baden-Württemberg den bundesweit günstigsten Personalschlüssel. Laut Stiftung werden hier nur 42 Prozent der Kita-Kinder in Gruppen betreut, in denen eine pädagogisch tätige Person für mehr Kinder verantwortlich ist als wissenschaftlich empfohlen. "Das mildert die Belastung der Mitarbeitenden", sagte Bock-Famulla.
ver.di kritisiert Kita-Politik in Baden-Württemberg
Mit Blick auf die Ergebnisse der Studie kritisierte die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di die Kita-Politik in Baden-Württemberg. Die Kita-Verantwortlichen im Land dürften sich nicht hinter den heute veröffentlichten Ranglisten des Ländermonitorings verschanzen, sagte die stellvertretende Landesbezirksleiterin Hanna Binder. "Am wenigsten schlecht heißt auch für sie: ungenügend, nachsitzen. Die sinkende Fachkraftquote gefährdet auch bei uns Kinder und führt zur Flucht aus den Berufen, die junge Menschen nach der Schule aus Überzeugung und mit voller Motivation ergriffen haben."
Die ver.di-Landesfachgruppen-Vorstandsvorsitzend Sabine Leber-Hoischen sagte, die Gewerkschaft beobachte seit langem eine "gefährliche Entwicklung" in den Tageseinrichtungen für Kinder auch in Baden-Württemberg. Es kämen immer weniger Fachkräfte zum Einsatz, die Qualitätsvorgaben beim Fachkraftgebot und der Fachkraft-Kind-Relation sowie der Gruppengröße würden anhaltend ausgehöhlt. All das führe zu einer weiteren Flucht von Fachkräften aus dem Berufsfeld, die weitreichende Konsequenzen für Qualität und Verlässlichkeit der Bildungs-, Erziehungs-, und Betreuungsangebote habe.
GEW: Elternproteste für gute Kitas in BW
Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) sieht die Kita-Träger, das Land und den Bund in der Pflicht, den Status Quo zu verbessern - und erwartet Elternproteste. Die Gewerkschaft ruft dazu auf, zu den Infoständen der Parteien für die Bundestagswahl, in Gemeinderatssitzungen der Kommunen und vor den Landtag in Stuttgart zu gehen. Die Landesregierung könne die Rahmenbedingungen wie Standards für Gruppengrößen verbessern und den Kita-Trägern dafür mehr Geld zur Verfügung stellen, teilte Monika Stein, Landesvorsitzende der GEW, am Mittwoch mit. Darüber hinaus sollten die Ausbildungskapazitäten weiter erhöht werden, so Stein.
Kultusministerium: BW Vorreiter bei neuen Ausbildungsformen
In Baden-Württemberg fordern FDP und SPD, dass die Zahl der Ausbildungsplätze in Kindertagesstätten erhöht wird. Außerdem müssten Erzieherinnen und Erzieher durch Hauswirtschafts- und Verwaltungskräfte entlastet werden. Die AfD bezeichnet die Ergebnisse als wenig überraschend. Sie sieht die Gründe in der hohen Zuwanderung von Kindern und in der Abwanderung von Fachkräften wegen Überforderung.
Laut baden-württembergischem Kultusministerium wurden die Ausbildungskapazitäten in den vergangenen Jahren massiv gesteigert. Außerdem sei man Vorreiter bei neuen, verkürzten Ausbildungsformen.
Wer sind Personen ohne formale pädagogische Voraussetzungen?
Einen einschlägigen Hochschul- oder Fachschulabschluss und damit die formale pädagogische Qualifikation hätten Erzieherinnen, Sozialpädagogen, Sozialarbeiter, Heilpädagogen oder auch Kindheitspädagogen, sagte Studien-Mitautorin Bock-Famulla. Kinderpflegerinnen oder Sozialassistentinnen mit lediglich zweijähriger Ausbildung würden nicht dazugezählt.
Je nach Bundesland seien die Regelungen, wer ohne pädagogische formale Voraussetzungen in den Kitas arbeiten dürfe, sehr unterschiedlich. Beispiele: In Baden-Württemberg dürften auch Hebammen oder Logopädinnen einfach so in die Kita-Arbeit einsteigen. In Niedersachsen können unter bestimmten Bedingungen auch Eltern oder Rentner tätig sein, so Bock-Famulla. In Bremen gebe es den Vorschlag, dass Personen ohne jegliche pädagogische Qualifikation für zwei Stunden pro Tag eingesetzt werden dürften. In Bayern brauche eine Kitaleitung keine pädagogische Qualifizierung mehr.