Streit um EU-Asylkompromiss bei Parteitag in Kehl

Kretschmann fordert Grüne auf: "Müssen raus aus Komfortzone"

Stand
Autor/in
Henning Otte
SWR-Reporter und -Redakteur Henning Otte, SWR Landespolitik

Die baden-württembergischen Grünen stellen sich beim Landesparteitag in Kehl für die Europawahl im kommenden Jahr auf. Gespalten ist die Partei in Bezug auf den EU-Asylkompromiss.

Ministerpräsident Winfried Kretschmann hat seine Grünen beim Landesparteitag in Kehl (Ortenaukreis) dazu aufgerufen, aus Verantwortung für Europa auch schwierige Kompromisse wie etwa in der Asylfrage mitzutragen. "Wir müssen durch Kompromisse das zusammenhalten, was auseinander geht", sagte Kretschmann. Die Grünen dürften nicht nur an ihre Gesinnung denken, sondern auch die praktischen Folgen von Politik und das große Ganze im Blick haben. "Da wird halt aus Gutgemeint nicht gut." Das Wesen Europas sei der Kompromiss. "Wir müssen auch selbst raus aus der Komfortzone." In der Asylpolitik habe die Frage im Raum gestanden: "Haut es Europa an der Stelle richtig auseinander?" Es gehöre zum "Europa-Spirit" der Grünen zu sagen, dass man auch in schweren Zeiten zusammenhalten wolle. "Ja wir können das, ja, wir wollen das", so Kretschmann.

Grüne Jugend: "Gegen die Grundsätze der Partei"

Nach der EU-Einigung auf verschärfte Asylverfahren hatte es bei den Grünen scharfe Kritik am eigenen Spitzenpersonal in der Ampel gegeben, das dem Kompromiss zugestimmt hatte. Beim Parteitag in Kehl wetterte Aya Krkoutli, Sprecherin der Grünen Jugend in Baden-Württemberg, gegen den Kompromiss. Dieser widerspreche "den Grundsätzen der Grünen und den Idealen Europas". Sie selbst sei aus Syrien geflüchtet und könne sagen: "Flucht ist doch keine Abenteuerreise." Sie zeigte Verständnis für Kommunen, die Aufnahme und Integration von Flüchtlingen organisieren müssten. "Hier müssen Bund und Länder ihrer Verantwortung gerecht werden und endlich Antworten finden."

Krkoutli sagte, der Kompromiss werde von denen angezweifelt, denen man entgegenkommen wollte: Ungarn und Polen. Sie sei froh, dass sich die Grünen mit ihrem Beschluss beim jüngsten Länderrat von dem EU-Kompromiss distanziert haben. "Als Partei müssen wir Stärke und Prinzipientreue zeigen, auch wenn es Gegenwind gibt." Deutschland sei selbstverständlich in der Lage, Menschen Schutz zu gewähren und ihnen eine langfristige Bleibeperspektive zu bieten. Bei der Europawahl im kommenden Jahr würden die Grünen nur erfolgreich sein, wenn sie sich für die "Entrechteten und Verfolgten" einsetzten.

Applaus für Kretschmann und Aya Krkoutli

Nach der Rede Kretschmanns, die sich um Europa, Asyl und Klimaschutz drehte, standen viele Delegierte in der Stadthalle auf und klatschten, die 22-jährige Krkoutli blieb sitzen. Während ihrer Rede, die eine Stunde nach Kretschmanns Auftritt kam und sich ausschließlich der Asylfrage widmete, gab es mehrfach starken Applaus. Am Ende standen etwa 50 der 200 Delegierten auf, um der Landechefin der Grünen Jugend zu applaudieren.

Streit um EU-Asyl-Einigung

Kurz nach der Asyl-Einigung hatte Kretschmann den Kompromiss energisch verteidigt. Arbeitsmigration müsse legalisiert, aber irreguläre Migration eingedämmt werden, hatte der Grünen-Politiker Mitte Juni in der ZDF-Sendung "Markus Lanz" gesagt. Der Kompromiss sei ein sehr guter Anfang. Angesprochen auf die Kritik, dass die Migranten und Migrantinnen an den EU-Außengrenzen wie in Gefängnissen leben sollen, entgegnete er: "Man kann sowas natürlich immer mit solchen Verbalinjurien belegen." Es sei aber keine Haft, sagte Kretschmann. "Die Leute können ja zurück. Das ist doch keine Haft." Das Asylrecht sei aber der Vereinbarung zufolge weiter gewährleistet.

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Grüne Jugend nannte Kretschmann "unsensibel"

Daraufhin hatte die Grüne Jugend Kretschmann vorgeworfen, er bediene "rechte Narrative". Man könne nicht nachvollziehen, wie sich ein Grünen-Ministerpräsident "so unsensibel und fernab aller Tatsachen" äußern könne. "Diese Reform lässt sich nicht verteidigen, auch wenn Kretschmann darum bemüht ist", kritisierten die Sprecherinnen der Jugendorganisation der Grünen, Krkoutli und Elly Reich.

Der Landesvorstand der Partei in Baden-Württemberg versuchte schon vor dem Parteitag die Wogen zu glätten. Durch eine Änderung will die Parteispitze in einem Leitantrag klarstellen, dass auch sie nicht mit dem EU-Asylkompromiss zufrieden ist. Doch gleichzeitig heißt es darin auch: ohne Einwirkung der Grünen wäre der Asylkompromiss noch schlechter ausgefallen.

Der Pragmatismus von Ministerpräsident Winfried Kretschmann und die Prinzipientreue von jüngeren Parteimitgliedern standen sich auf dem Parteitag der Grünen am Samstag in Kehl gegenüber. Das berichtet SWR-Reporter Henning Otte.

Kretschmann lobt Habeck: "Genau solche Leute braucht es"

Kretschmann nahm in seiner Rede zudem Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) in Schutz, der zuletzt im Streit um das Heizungsgesetz der Ampel heftig in die Kritik geraten war. Er lobte, Habeck habe Mut zum Risiko und sei in der Lage, Fehler zu korrigieren. Es könne einer Republik nichts Besseres passieren als solche Politiker. "Genau solche Leute braucht es", sagte Kretschmann unter großem Applaus. Er griff Habecks Kritiker an, die nichts anderes zu bieten hätten als "draufzubatschen". Diese böten keine politischen Alternativen an. "Vor denen hält sich mein Respekt in Grenzen", so Kretschmann.

Kandidatinnen und Kandidaten für Europawahl bestimmt

Die Grünen wählten am Samstagnachmittag ihre Kandidatinnen und Kandidaten für die Liste zur Europawahl im Mai 2024. Die Stuttgarter EU-Abgeordnete Anna Deparnay-Grunenberg erhielt 93,5 Prozent der Stimmen. Ihr Kollege aus dem EU-Parlament, Michael Bloss (Stuttgart), kam sogar auf 95,1 Prozent. Außerdem wurde Anna Peters aus dem Kreisverband Emmendingen mit 82,8 Prozent gewählt sowie Jürgen Kretz aus dem Kreisverband Odenwald-Kraichgau - er bekam 83,3 Prozent der Stimmen.

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