Die Pläne der ehemaligen Linken-Politikerin Sahra Wagenknecht, eine eigene Partei zu gründen, haben bei Teilen der Linken in Baden-Württemberg zu Unverständnis geführt. Andere Mitglieder zeigen sich erleichtert. Neben Wagenknecht und acht weiteren Bundestagsabgeordneten der Linken ist auch Jessica Tatti aus dem Wahlkreis Reutlingen aus der Partei Die Linke ausgetreten.
Wagenknecht hatte am Montagvormittag ihre Pläne vorgestellt. "Wir haben uns zur Gründung einer neuen Partei entschieden, weil wir überzeugt sind, so wie es derzeit läuft, darf es nicht weitergehen", sagte sie in der Bundespressekonferenz in Berlin. "Denn sonst werden wir unser Land in zehn Jahren wahrscheinlich nicht wiedererkennen." Die Partei soll Anfang 2024 gegründet werden und zur Europawahl im Juni 2024 antreten.
BW-Landesverband: Tatti soll Mandat niederlegen
Nach dem Parteiaustritt von Jessica Tatti fordert der baden-württembergische Landesverband der Linkspartei die Niederlegung ihres Bundestagsmandat. "Aus der Partei auszutreten und gleichzeitig das Bundestagsmandat behalten zu wollen - das ist politisch unlauter und den Beschäftigten in der Bundestagsfraktion gegenüber zutiefst verantwortungslos", sagte Landessprecherin Sahra Mirow einer Mitteilung zufolge. Tatti habe das Mandat mit dem Programm der Linken und der Unterstützung der Parteimitglieder gewonnen. Es nun niederzulegen sei "eine Frage des politischen Anstands und der Fairness", so Mirow.
Riexinger bezeichnet Gründung neuer Partei als "unanständig"
Der Linken-Bundestagsabgeordnete Bernd Riexinger, der über die Landesliste der Linken Baden-Württemberg gewählt wurde, äußerte sich zunächst via X, ehemals Twitter, zu Wagenknechts Schritt. Die Parteigründung "mit einem Bundestagsmandat", das sie über einen Listenplatz der Linken erworben habe, sei "unanständig". Neben Wagenknecht verließ unter anderem auch die bisherige Fraktionsvorsitzende Amira Mohamed Ali die Partei. Noch vorletzte Woche sei diese als Fraktionsvorsitzende der Linken im Bundestag aufgetreten, so Riexinger. "Das dürfte ein in der Parteiengeschichte einmaliger und skurriler Vorgang sein." Gleichzeitig betonte er anschließend im Gespräch mit dem SWR, dass sich die Partei jetzt wieder mit ihren politischen Botschaften an die Wählerinnen und Wähler richten könne.
Die stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Linken, Gesine Lötzsch, erklärte im SWR, dass man eine von Sahra Wagenknecht gegründete Partei nicht als Gegner oder Feind ansehen solle, sondern als Konkurrenz. Man werde sich genau anschauen müssen, wie sich diese Partei entwickele und welche inhaltlichen Positionen sie von den Linken mit aufnehme. "Die eigentliche Gefahr, die ich sehe, ist, dass unser Land immer mehr nach rechts rückt", so Lötzsch. Wenn die Linken-Fraktion im Bundestag nicht mehr existiere, werde es noch schwerer der Ampel entgegenzustehen.
Linken-Abgeordnete Akbulut aus Mannheim spricht von "Befreiung"
Mitglieder der Linkspartei in Baden-Württemberg bedauern die Entscheidung von Sahra Wagenknecht, eine eigene Partei zu gründen, sehen diese zugleich aber auch als Erleichterung. Im Gespräch mit dem SWR sagte die Mannheimer Bundestagsabgeordnete Gökay Akbulut (Linke): "Für uns als Linke, als Partei, ist es auch ein Befreiungsschlag." Die Partei könne sich nun wieder mit dem politischen Gegner auseinandersetzen und müsse sich nicht mehr "ewig mit Frau Wagenknecht beschäftigen".
Reaktionen auf Vorbereitung einer neuen Partei als Abspaltung der "Linken" Bündnis Sahra-Wagenknecht: Mannheimer Linke Akbulut "erleichtert"
Nach der Ankündigung von Sahra Wagenkecht, eine neue Partei zu gründen, hat sich die Mannheimer Linken-Abgeordnete Gökay Akbulut erleichtert gezeigt.
Dafür, dass die Wagenknecht-Verbündeten zwar aus der Partei austreten, aber in der Fraktion verbleiben wollen, hat Akbulut indes kein Verständnis. Wer für die Partei Die Linke gewählt wurde, solle nun das Mandat abgeben und "nicht auf Kosten der Partei und der Fraktion und mit deren Ressourcen ein Konkurrenzprojekt aufbauen". Über den Umgang mit den Wagenknecht-Verbündeten werde in den nächsten Fraktionssitzungen entschieden.
Verein mit Sitz in Karlsruhe gegründet
Wagenknecht spricht bereits seit Monaten über eine mögliche Parteigründung. Vor einigen Wochen hatten ihre Unterstützer den Verein "Bündnis Sahra Wagenknecht - Für Vernunft und Gerechtigkeit" mit Sitz in Karlsruhe beim Amtsgericht Mannheim registrieren lassen. Dieser soll die Parteigründung nun vorbereiten und Spenden einsammeln. Vorsitzende ist die bisherige Fraktionsvorsitzende der Linken, Amira Mohamed Ali. Geschäftsführer ist Lukas Schön, Ex-Geschäftsführer der Linken in NRW, Schatzmeister der Karlsruher Millionär Ralph Suikat. Suikat hatte sich für die Initiative "Taxmenow" (übersetzt: Besteuert mich) eingesetzt, die für Vermögenssteuern von Millionen- und Milliardenvermögen eintritt.
Gemeinsam mit Wagenknecht, Mohamed Ali und Tatti traten folgende Bundestagsabgeordnete aus der Partei aus: Ali Al-Dailami, Sevim Dagdelen, Klaus Ernst, Andrej Hunko, Zaklin Nastic, Christian Leye und Alexander Ulrich.
Wagenknecht bestätigt Pläne für Parteigründung Keimzelle von neuer Sahra-Wagenknecht-Partei in Mannheim?
Im Vereinsregister des Mannheimer Amtsgerichts steht seit 26. September ein Verein, der die Keimzelle einer neuen Sahra-Wagenknecht-Partei sein könnte. Warum ausgerechnet Mannheim?
Der Kreisvorstand der Linkspartei in Karlsruhe zeigt sich derweil "erleichtert, dass sich das Kapitel Wagenknecht nun endlich schließt". Darin liege eine "große Chance" für die Linke, die Partei wieder zukunftsfähig aufzustellen. Der Kreisvorstand fordert in einer Pressemitteilung alle Mandatsträgerinnen und -träger, die die Linke verlassen haben, auf, ihr Mandat zurückzugeben. "Wir haben in Karlsruhe einen intensiven, leidenschaftlichen Wahlkampf geführt - für die Linke und nicht für eine nach rechts schielende Formation aus Personenkult und Egomanentum", so die Kreissprecherin Christina Zacharias. Mit den Mitgliedern, die sich "frustriert" zurückgezogen hätten oder gar ausgetreten seien, wolle man aber ins Gespräch kommen, so der Kreisvorstand der Linken in Karlsruhe.
Neueintritte und mehr Interessierte bei den Stuttgarter Linken
Dennis Klora vom Stuttgarter Kreisvorstand sagt auf Anfrage, die politische Arbeit der Partei in Stuttgart wurde und werde von der Debatte um Wagenknecht gar nicht so stark beeinflusst. Im Gegenteil: "Erst einmal zeigt die Richtung, was hier passiert, dass es einen Neustart bedeutet. Wir hatten seit gestern (23. Oktober) drei Neueintritte in Stuttgart und gar keinen Austritt. Wir hatten auch viele Neueintritte in den letzten Wochen, weil sich abgezeichnet hat, wohin die Richtung geht", so der Kommunalpolitiker.
Klora denkt, die Linke kann mit ihrer Arbeit und Beratung zu sozialen Themen vor Ort überzeugen. "Ich denke, es ist für uns wieder viel einfacher. Es gibt keine Fremdzuschreibung mehr. Also, Frau Wagenknecht sagt ja immer, die Linke habe die soziale Frage vernachlässigt, arbeite nicht an den konkreten Problemen. Da kann ich nur sagen, das entspricht bei uns nicht der Realität. Jetzt kann die Partei wieder mit einer Stimme sprechen."
Auch bei den "Schnupper-Treffen" kämen viele Menschen, Austritte oder Austrittsgedanken sieht der Kreisvorstand bei Stuttgarter Mitgliedern nicht. "Ich glaube, viele suchen gerade jetzt in diesen Zeiten eine politische Heimat: Der Geldbeutel wird leerer, die Klimakatastrophe, die Welt brennt, die Rechte wird stärker... Leute überlegen, politisch aktiv zu werden." Jetzt gebe es eine Klarheit, für was die Linke stehe. Deswegen blicke er, der jetzt schon fünf Jahre dabei ist, eher positiv in die Zukunft.
In der neuen Partei sieht Klora keine Konkurrenz. Er habe die Pressekonferenz verfolgt und sähe da nicht klassisch linke Positionen. Das könne der Linken gerade eher helfen.
Linken-Politiker in Heilbronn bedauern Wagenknecht-Entscheidung
Bei der Linken-Basis in Heilbronn löst das Unverständnis und Bedauern aus. Besonders bedauerlich sei der lange Trennungsprozess, sagte Kreisrat Florian Vollert dem SWR. Dieser habe der Partei stark geschadet. Die Spaltung komme ja nicht plötzlich, sondern habe sich Monate hingezogen. Bei allen Differenzen hätte er sich gewünscht, dass man Probleme innerparteilich besprochen und zu einer gemeinsamen Linie gefunden hätte.
Sorge um ein Abwandern der Mitglieder zu Wagenknechts neuer Partei macht sich der Heilbronner Kreisrat aber nicht. Der hiesige Kreisvorstand habe einstimmig beschlossen: Wir bleiben in der Linken. Insgesamt sieht Vollert in Heilbronn und im Unterland aktuell auch keine Basis für die Neupartei.
Kreisverband Freiburg: "Egozentrik einer Handvoll Menschen"
Der Kreisverband der Linkspartei in Freiburg sprach in einer Pressemitteilung von einem "längst überfälligen Bruch", den Wagenknecht nun vollzogen habe. Es sei an der Zeit, dass die "leidige Abspaltungsfrage " ad acta gelegt werde, so Kreissprecher Gabriel Kotzur. Der Kreisverband bedauere, dass Die Linke wegen der "Egozentrik einer Handvoll Menschen" schweren Schaden genommen habe. Gleichzeitig sei das Ende der Mitgliedschaft von Wagenknecht eine Befreiung. "Wir erwarten uns von ihrem Weggang eine erleichterte Arbeitsweise mit den uns nahestehenden Bewegungen in Freiburg", so Kotzur.
"Bündnis Sahra Wagenknecht" sieht ein Demokratieproblem
Der Bundestagsabgeordnete Christian Leye sagte, Wagenknecht und ihre Unterstützer hätten sich zu der Parteigründung entschlossen, weil "uns politisch keine andere Wahl bleibt". Er sprach von einer undurchdachten Politik, schlechten Schulen und maroden Brücken. "Das Land wurde kaputtgespart, inzwischen bröckelt nicht nur die Fassade", sagte Leye.
Viele Menschen mit geringem Einkommen fühlten sich nicht mehr vertreten. Für sie wolle die neue Partei "den Rücken gerade machen". Viele gingen gar nicht mehr zur Wahl. "Wir haben ein Demokratieproblem", sagte Leye. Die neue Partei strebe einen langsamen Aufbau an und wolle sich langfristig etablieren.
Die Linke droht mit Parteiausschlussverfahren
Einer Insa-Umfrage für "Bild am Sonntag" zufolge könnten sich 27 Prozent der Befragten in Deutschland vorstellen, eine Wagenknecht-Partei zu wählen. Wahlumfragen sind aber generell mit Unsicherheiten behaftet. Die Linke-Parteispitze will gegen die Wagenknecht-Mitstreiter vorgehen. Gegen die Beteiligten des Vereins BSW sollen Parteiausschlussverfahren eingeleitet werden.