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Antisemitische Sticker an BW-Unis: "Wir Juden wissen, dass Worten Taten folgen"

Stand
Autor/in
Hannah Vogel
Hannah Vogel ist Teil des Teams von "Zur Sache! Baden-Württemberg".

Die Stimmung bei jüdischen Studierenden in BW ist angespannt. Manche trauen sich nicht mehr zur Vorlesung, verstecken jüdische Symbole oder denken ans Auswandern.

Noch fühlt sich Gideon Ballhorn auf dem Unigelände in Heidelberg sicher. Er ist Jude und stand bisher immer offen dazu. Seit dem Terrorangriff der Hamas auf Israel ist er aber vorsichtiger. "In manchen Kontexten hier auf dem Campus würde ich meine Davidsternkette nicht mehr offen tragen, sondern sie ins Hemd stecken", sagt er. Wenn er zu einer neuen Gruppe stoße oder einen neuen Professor kennenlerne, frage er sich immer: "Wie offen kann ich mit diesem Teil meiner Identität sein?"

Manche Studierende aus Baden-Württemberg trauen sich nicht mehr in die Vorlesung. Andere gehen zwar hin, fühlen sich aber unwohl. "Man kann sich nicht gut konzentrieren, wenn man ständig angefeindet wird oder wenn man Angst haben muss", sagt Lea, die auch in Heidelberg studiert. Sie heißt eigentlich anders, will sich aber nur anonym äußern. In Vorlesungen fragt sie sich oft, wer da eigentlich im Hörsaal neben ihr sitzt.

Antisemitische Sticker und Graffitis an Uni Heidelberg

Immer wieder tauchen in Heidelberg auf dem Campus, in der Mensa oder auf dem Weg dorthin Sticker und Schmierereien auf. Viele davon sind antisemitisch. "Da sind Gewaltaufrufe", sagt Ballhorn, während er uns auf seinem Computer eine Sammlung an Fotos dazu zeigt. "Und wir Jüdinnen und Juden wissen, dass Worten Taten folgen."

Auf einem der Sticker steht in Arabisch "Vom Fluss bis zum Meer". Im Hintergrund ist der Umriss von Israel zu sehen, inklusive Gaza und der Westbank. "Das beinhaltet die Forderung, dass Palästina an die Stelle von Israel tritt", erklärt Nikolas Lelle die Bedeutung. Es gehe darum, Israel von der Landkarte zu löschen. Lelle leitet den Bereich Antisemitismus bei der Amadeu Antonio Stiftung. Im linken unteren Eck des Stickers steht "Gaza 2023/10/07" mit dem Zusatz "Freiheit für Palästina/Palästinenser". An dem Tag hat die Hamas Israel angegriffen. Lelle hat alle uns vorliegenden Fotos von Stickern und Graffitis geprüft. Dieser Sticker ist für ihn "das heftigste Beispiel". Das Zusammenspiel aller Komponenten mache deutlich, dass nicht nur Israel als Land verschwinden solle, sondern auch die Israelis als Volk, sagt Lelle.

Es handelt sich um einen antisemitischen Sticker, den Gideon Ballhorn abgerissen hat.
Bei den Stickern oder Graffitis kommt es oft auf den Kontext an, in dem verschiedene Symbole oder Aussagen wiedergegeben werden. Für Nikolas Lelle von der Amadeu Antonio Stiftung ist dieser Sticker "besonders heftig" und eindeutig antisemitisch.

Gleichstellungsbeauftragte: "Können nicht jedes Klo monitoren"

Manche der antisemitischen Inhalte werden entfernt, andere bleiben Wochen lang. Nicht alles wird gemeldet. Es ist zu viel, sagen Studierende. Das ist eine Krux. "Die Uni kann nur tätig werden, wenn sie weiß: Da ist eine Schmiererei. Wir können nicht als Universität jedes Klo, jeden Pfosten ständig monitoren", sagt Christiane Schwieren. Sie ist Gleichstellungsbeauftragte an der Universität Heidelberg. "Die Idee ist aber natürlich, dass sowie so was gemeldet wird, das entfernt wird."

Christiane Schwieren ist Gleichstellungsbeauftragte an der Universität Heidelberg
"Selbstverständlich positioniert die Uni sich ganz klar gegen Antisemitismus, wie sie sich auch gegen jede andere Art von Diskriminierung positioniert", sagt Schwieren.

Das bisherige Meldesystem an der Universität Heidelberg sieht Lelle kritisch. "Es gehört zur Verantwortung einer Universität, dafür zu sorgen, dass ihre jüdischen Studierenden angstfrei studieren können", sagt er. "Wenn das bedeutet, dass ein Hausmeister oder eine Putzperson einmal täglich die Klos auf antisemitische Sticker oder Graffitis überprüfen muss, würde ich sagen, ist das halt im Moment so." Es könne auf gar keinen Fall sein, dass Jüdinnen und Juden den ganzen Tag damit beschäftigt seien, den Universitäten zu melden, was alles weg müsse.

Neue Handreichung zu antisemitischer Symbolik

Das stellt die Uni aber vor ein weiteres Problem. "Manche der Sticker oder Schmierereien werden von Mitarbeitern gar nicht als antisemitisch wahrgenommen", sagt Schwieren. Nicht alle seien mit der Symbolik vertraut und verstünden die Hintergründe. Das soll eine Handreichung der Uni nun ändern, die gerade ausgearbeitet wird. "Wir müssen das in der Breite bekannt machen, damit die Sachen dann auch gemeldet werden", sagt die Gleichstellungsbeauftragte.

Abgeänderte "Nazi"-Parole auf Uniklo in Freiburg

Nicht nur in Heidelberg gibt es auf dem Campus antisemitische Sticker und Schmierereien. Auch andere Städte sind betroffen. Aus Freiburg hat uns Emily, die eigentlich anders heißt, ein Foto zugeschickt, das dort im Juni in einer Unitoilette aufgenommen wurde. Mit roter Farbe steht dort an der Wand: "Die Juden sind euer Unglück." Der Spruch ist nicht neu, nur leicht abgewandelt. "Die Nazis haben den Satz 'Die Juden sind unser Unglück' auf der Titelseite des Stürmers sozusagen als Motto zitiert, er ist aber noch älter", sagt Lelle. Die Wochenzeitung "Der Stürmer" war ein antisemitisches Hetzblatt.

Auf einer Toilettenkabine steht: "Die Juden sind euer Unglück."
Dieses Foto wurde von Studierenden der Uni Freiburg in einer Unitoilette aufgenommen. Dort stand im Juni der antisemitische Spruch "Die Juden sind euer Unglück".

"Das ist schon sehr krass", sagt Emily über den Spruch. Sie frage sich, wer ihn auf die Wand geschrieben habe und was sich so eine Person dabei denke. Besonders viele Schmierereien sind Emily in den Toiletten der Unibibliothek aufgefallen. "Die Wände dort wurden schon mehrmals neu gestrichen, es kommt aber immer wieder."

Uni Freiburg hat Meldestelle eingerichtet

Die Universität Freiburg bestätigt auf SWR-Anfrage, dass auf ihrem Campus die Zahl "solcher Vorfälle" zugenommen hat. Sie hat eine Meldestelle eingerichtet. "Diese prüft umgehend alle Meldungen, dokumentiert sie und veranlasst die Entfernung von Schriftzügen", teilt die Uni mit. Zudem würden Mitglieder der Universität sensibilisiert und dazu aufgerufen, sich für einen diskriminierungsfreien Campus einzusetzen, wachsam zu bleiben und mit denjenigen solidarisch zu sein, die Bedrohung oder Anfeindungen erleben.

Emily gibt sich auch auf dem Unigelände in Freiburg nicht immer offen als Jüdin zu erkennen. "Ich lese zum Beispiel nicht unbedingt hebräische Posts auf Instagram oder lasse israelische Musik laufen", sagt sie. Sie habe Angst, dass andere das mitbekommen könnten. "Ich gehe nicht davon aus, dass was passiert. Aber ich fühle mich einfach nicht wohl dabei."

Antisemitismusbeauftragter: Manche schaffen Masterarbeit nicht

Michael Blume kennt viele der Geschichten. Er ist Beauftragter gegen Antisemitismus des Landes. "Für jüdische Studierende ist die Situation teilweise unerträglich", sagt er. "Ich habe jetzt die ersten Fälle, bei denen Leute mir sagen: 'Ich schaffe meine Masterarbeit nicht mehr, es ist zu viel'." Sie gingen quasi unter dem Dauerdruck in die Knie.

Michael Blume, der Antisemitismusbeauftragter der baden-württembergischen Landesregierung, klagt gegen Twitter. (Archivfoto)
Michael Blume berät als Beauftragter gegen Antisemitismus derzeit auch viele Unis im Land zu dem Thema.

Dafür verantwortlich sind nicht ausschließlich Sticker und Graffitis. Sie sind aber Teil des Problems. "Man kriegt dadurch einen ganz guten Eindruck davon, wie desaströs die Lage an den Universitäten grade ist und wie schlimm es sein muss, als jüdischer Studierender oder auch als antisemitismus-kritischer Studierender an solchen Orten zu studieren", sagt Lelle. Das Thema Juden- und Israelhass sei allgegenwärtig.

Experte: Sticker schaffen Gelegenheitsstrukturen für Übergriffe

"Außerdem muss man sich klarmachen: Es geht hier nicht einfach um eine harmlose Debatte an der Hauswand oder auf der Toilette", sagt Lelle. Was da stehe, schaffe Gelegenheitsstrukturen für Übergriffe auf Studierende. Der Experte führt einen Fall aus Berlin an, wo ein Student im Februar einen jüdischen Kommilitonen krankenhausreif geprügelt hatte. Hintergrund war ein Streit über den Nahost-Konflikt.

Lea aus Heidelberg ist inzwischen sehr vorsichtig. "Ich schaue immer, ob mir jemand folgt, wenn ich nach Hause laufe. Ich bin sehr sensibilisiert, wie viele andere auch", sagt sie. Dafür gibt es auch einen Grund. "Im Winter wurde ich auf der Straße von einem vorbeifahrenden Motorrad aus angespuckt", erzählt sie. "Das war vermutlich, weil ich eine Tasche trug, auf der stand: 'What are we without Jewish history?' (auf Deutsch: 'Was sind wir ohne die Jüdische Geschichte?')".

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Letzte Option: Auswandern nach Israel?

Viele jüdische Studierende überlegen, nach Israel zu gehen. Auch Gideon Ballhorn hat darüber schon nachgedacht. "Meine Familie hatte das Glück, dass sie letztes Mal ein ganz gutes Gespür dafür hatte und schon 1933 aus Berlin und Frankfurt ausgewandert ist", sagt Ballhorn. Er selbst möchte nicht an diesen Punkt kommen. "Ich möchte alles tun, um das zu verhindern. Aber ich glaube, irgendwann spürt man es. Irgendwann ist es dann so weit." "Irgendwann" bedeutet für Ballhorn, wenn er nicht mehr ohne Angst das Haus verlassen kann.

Antisemitismusbeauftragter fordert mehr Ansprechpartner

Michael Blume setzt sich für mehr Ansprechpartnerinnen und Ansprechpartner vor Ort ein. "Damit, wenn etwas passiert, die Leute eine Telefonnummer haben, jemanden, an den sie sich wenden können", sagt Blume. "Ich mache das so gut ich kann, aber Baden-Württemberg ist riesengroß." Mit Kolleginnen und Kollegen vor Ort könne man auch schneller einschreiten, wenn eine Situation außer Kontrolle gerate. Darüber will er nun mit den Bürgermeisterinnen und Bürgermeistern größerer Städte sprechen.

Die Universität Heidelberg hält das für eine gute Idee und hofft, dass es auch bald in ihrer Stadt eine entsprechende Anlaufstelle gibt. Schon jetzt ist auf dem Campus eine Antidiskriminierungsstelle angesiedelt. "Aber viele jüdische Studierende sagen, sie fühlen sich nicht wohl in einer so generellen Beratung", sagt Schwieren. Sie würden lieber mit jemandem sprechen, der auf Antisemitismus spezialisiert ist.

"Wir tun wirklich alles Menschenmögliche, damit sich hier alle wohl und sicher fühlen", versichert Schwieren. Der Zweck einer Universität sei schließlich, dass Menschen lernen, studieren, forschen. "Das geht nicht, wenn ich mich nicht sicher fühle, wenn ich Angst haben muss, was ich sage oder wem ich über den Weg laufe."

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