Ein Polizeiwagen steht vor einer Synagoge in Baden-Württemberg. Das Land hat den Schutz jüdischer Einrichtungen verstärkt.

260 Fälle im ersten Halbjahr

Zahl antisemitischer Straftaten in Baden-Württemberg verdreifacht

Stand

Seit dem Terrorangriff der islamistischen Hamas im Oktober und dem Gaza-Krieg haben die Angriffe auf Jüdinnen und Juden in Baden-Württemberg sehr stark zugenommen. Der Innenminister fordert Konsequenzen.

Feindseligkeiten gegen Jüdinnen und Juden in Baden-Württemberg haben seit dem Hamas-Angriff auf Israel im Oktober 2023 eine neue Dimension erreicht. Allein in den knapp drei Monaten seit dem Terrorangriff bis zum Jahresende sei die Zahl der Taten "geradezu explodiert" und seitdem im Vergleich zum Auftakt des vergangenen Jahres weiter überaus stark gestiegen, sagte Landesinnenminister Thomas Strobl (CDU).

Zuletzt hatte ein vereitelter mutmaßlicher Terroranschlag auf das israelische Generalkonsulat in München für Schlagzeilen und Schockwellen gesorgt. Ermittlerinnen und Ermittler gehen Hinweisen auf ein islamistisches beziehungsweise antisemitisches Motiv des Täters nach. In Heidelberg soll kürzlich ein Mann ein Ehepaar wegen eines T-Shirts attackiert haben. Auf dem Oberteil waren der Davidstern und die englische Aufschrift "Bring them home now" zu sehen - eine Forderung, die am 7. Oktober 2023 von der palästinensischen Terrororganisation Hamas verschleppten israelischen Geiseln zu befreien. 

Dreimal so viele antisemitische Straftaten im ersten Halbjahr

Nach den neuen Zahlen des baden-württembergischen Innenministeriums verdreifachte sich die Zahl antisemitischer Straftaten im Land in den ersten sechs Monaten des laufenden Jahres im Vergleich zum ersten Halbjahr 2023. Zwischen Januar und Ende Juni 2024 wurden demnach insgesamt 260 antisemitisch motivierte Straftaten gezählt - nach 81 Delikten im ersten Halbjahr 2023. Nach Beginn des Gaza-Krieges im Oktober schnellte diese Zahl zunächst bis zum Jahresende auf 668 hoch. "Das war ein neuer, trauriger Zehnjahreshöchstwert", sagte Strobl. Der Trend habe sich nun leider fortgesetzt. Zwischen 2019 und 2022 wurden noch etwa 400 antisemitisch motivierte Straftaten im Land verfolgt.

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Antisemitismus trete neben Rechtsextremismus zunehmend auch in anderen extremistischen Bereichen auf, darunter vor allem in allen islamistischen Strömungen, sagte der Innenminister. In 120 Fällen des ersten Halbjahrs 2024 sei eine antisemitisch motivierte Straftat mutmaßlich aus ausländischer Ideologie heraus begangen worden - im Vergleich zu lediglich zwei Taten in den ersten sechs Monaten im Jahr 2023. Von rechts wurden laut Ministerium 97 antisemitische Delikte im Bereich der politisch motivierten Kriminalität registriert (63 im ersten Halbjahr 2023).

Antisemitismus: BW-Innenminister fordert wachsame Hochschulen

"Die Zahlen sprechen eine wirklich erschreckende Sprache", sagte Landesinnenminister Strobl. "Der Antisemitismus war nie weg, er ist mit seiner hässlichen Fratze wieder voll da, auf deutschen Straßen und Plätzen, in Parlamenten und Universitäten und jeden Tag tausendfach im Netz." Zwar sei die Zahl der Gewalttaten erfreulicherweise noch gering, oft gehe es um Hass und Hetze in Schrift und in Worten. Aber: "Bei Antisemitismus erwarte ich, dass niemand wegschaut oder weghört - da ist einfach jede und jeder gefordert", sagte Strobl.

Die Verrohung unserer Gesellschaft beginnt immer damit - mit dem Wegschauen und dem Weghören.

Verantwortlich für die massive Steigerung in Teilen der Statistik ist nach Strobls Einschätzung unter anderem der Krieg im Gazastreifen. In diesem Zusammenhang rief der Minister unter anderem Universitäten dazu auf, wachsamer zu sein und schneller zu reagieren. Im Fall antisemitischer Äußerungen oder Handlungen an Hochschulen müsse es scharfe Reaktionen der Leitungen geben.

"Von einem Wissenschaftsbetrieb wie einer Universität erwarte ich eine klare und deutliche Haltung", sagte der Minister. "Antisemitismus hat nichts mit Meinungs- oder Glaubensfreiheit und auch nichts mit der Freiheit der Wissenschaft zu tun. Antisemiten haben an unseren Universitäten nichts verloren." Nach Angaben des grün geführten Wissenschaftsministeriums sind im Hochschulgesetz des Landes bereits Ordnungsverstöße definiert. Diese können sanktioniert werden - bis zur Exmatrikulation. Im Frühjahr hatten vor allem propalästinensische Protestaktionen und Besetzungen an Universitäten Streit ausgelöst.

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Strobl: Auch Folgen für Asylverfahren nicht ausschließen

Außerdem sollten nach Ansicht des baden-württembergischen Innenministers bei antisemitisch motivierten Straftaten auch schärfere Konsequenzen für einen Asylstatus nicht ausgeschlossen werden. "Menschen, die antisemitisch auffallen oder die für Terrororganisationen werben, sollten ihr Recht auf Asyl verlieren", fordert der CDU-Politiker. "Das ist inkompatibel."

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