Das Jahr 2024 ist vollgepackt mit musikalischen Jubiläen: runde Geburtstage von Anton Bruckner, Luigi Nono und Bedřich Smetana und Todestage von Giacomo Puccini, Gabriel Fauré und Ferruccio Busoni – und das ist nur die Spitze des Eisberges. Gerade Konzertveranstalter und Rundfunksendungen müssen in solchen Fällen einen neuen Blick auf das vermeintlich Alte und Bekannte wagen, findet Albrecht Selge.
Todestage gibt's im Dreierpack
Guten Tag, es ist 2024, die neuen Jubiläen sind eingetroffen. Welche hätten Sie denn gern: 150 Jahre Schönberg vielleicht, oder 200 Jahre Anton Bruckner? Oder hundertste Todestage, die gibt es heuer im günstigen Dreier-Paket: Gabriel Fauré, Giacomo Puccini, Ferruccio Busoni. 1924 war offensichtlich ein gutes Jahr zum Sterben. Also, greifen Sie zu!
Und nun im Ernst: Ja, Jubiläen können ihren Sinn haben. Und zwar, wenn sie aktiv mit Sinn gefüllt werden. Was nicht immer geschieht.
Fauler Ausweg für die Programmplanung
Vor kurzem beklagte Jan Brachmann in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, das vergangene Rachmaninow-Jahr 2023 sei eine Zeit der vertanen Chance gewesen: Man hätte ein Werk, das oft von Klischees verdeckt wird, „in ungewohnte Kontexte stellen und neu bewerten“ können.
Hätte, denn seien wir ehrlich: Oft dienen runde Geburts- und Todestage nur zur billigen Programmfindung. Was haben wir zu sagen, was sollen wir aufführen? Ein Blick in den Kalender genügt: Spielen wir doch den vor 200 Jahren geborenen Bruckner, den wir auch sonst immer spielen.
Spannende Projekte funktionieren auch ohne Jubiläum
Natürlich gibt es immer wieder anspruchsvolle, originelle Versuche, die Musik der Jubilare neu zu denken. Ich erinnere mich an ein Format, wo der Dirigent Robin Ticciati zu Ligetis Hundertstem dessen Werke mit Stücken von Joseph Haydn kreuzte. Da ist es fast schon egal, ob es letztlich funktioniert, sowas ist spannend.
Und wäre es auch ohne hundertsten Geburtstag. Aber wenn das Jubiläum ein Anstoß ist, das Nötige oder das Aufregende zu tun: sehr gern. Nur, zu oft ist es routiniertes Abspielen nach Kalenderzufall. Die runde Zahl selbst hat keinerlei ästhetische oder strukturelle Bedeutung.
Dabei leben wir in Zeiten, in denen staatlich geförderte Musikkultur mehr denn je Relevanz beweisen muss. Dieser oder jener runde Tag ist noch lange nichts, was ein Programm belangvoll oder stringent macht.
Wie sieht's aus mit einer Jubiläenpause?
Deshalb mein Vorschlag: Wie wäre es mal ein Jahr lang mit einem Jubiläums-Moratorium? Einfallslose Programmplaner, die daran verzweifeln, hätten immerhin die letzte Rettungsboje: 2027 ist wieder mal ein Beethovenjahr.
Und falls es kein Moratorium gibt: 2025 haben sowohl Giovanni Pierluigi da Palestrina als auch Johann Strauß Sohn Jubiläum. Wobei, ganz ehrlich: Wenn die beiden mal in einem Konzert zusammenkommen, dann nehm ich alles zurück.