Marie*, wir nennen sie so, aus Sicherheitsgründen, lebt seit einem Jahr mit ihren beiden kleinen Kindern im Frauenhaus. Sie flüchtete vor ihrem gewalttätigen Partner, der sie prügelte, demütigte, kontrollierte. "Wenn man dann irgendwann nicht mehr kann, wenn man nur noch eingeschüchtert ist und Angst hat, dann sitzt man nur noch da wie ein Häufchen Elend und sagt dann gar nichts mehr." Im Frauenhaus fand Marie Schutz, Hilfe und wieder zu neuem Selbstbewusstsein.
Erschütternde Statistik
Gewalt prägt das Leben vieler Frauen in Deutschland. Prügel, Drohungen, Misshandlungen gehören für viele zur alltäglichen Erfahrung. Zum diesjährigen Tag zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen am 25.November hat das Bundeskriminalamt (BKA) eine entsprechende Statistik veröffentlicht.
360 Frauen getötet
Danach wurden fast 1.000 Frauen und Mädchen Opfer von Tötungsversuchen, 360 von ihnen starben. Mehr als 52.000 Frauen oder Mädchen wurden Opfer von Sexualstraftaten wie Vergewaltigung, sexueller Belästigung und Nötigung. Das waren rund 3.000 beziehungsweise 6,2 Prozent mehr als im Jahr zuvor. Mehr als die Hälfte der Opfer waren jünger als 18 Jahre. Im Bereich der häuslichen Gewalt wurden mehr als 180.000 weibliche Opfer gezählt, ein Plus von 5,6 Prozent, so das BKA im Lagebild zu "Geschlechtsspezifisch gegen Frauen gerichteten Straftaten".
Als "unfassbar alarmierend" bezeichnet Katja Grieger die aktuellen Zahlen im SWR1-Gespräch. Die Diplompsychologin ist Geschäftsführerin beim Bundesverband der Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe in Deutschland, bff. Man könne nicht mit diesem Thema zu tun haben, ohne absolut betroffen, aber auch empört und wütend zu sein – und zwar über jeden einzelnen Fall, so Grieger weiter. Frauen würden durch die Gewalt und ihre Folgen ihrer gesellschaftlichen Teilhabe beraubt, die psychischen Folgen seien unermesslich.
Nötigung und Stalking – Mehr digitale Gewalt
Besonders stark war der BKA-Statistik zufolge im vergangenen Jahr der Anstieg bei gegen Frauen gerichteter digitaler Gewalt. 17.193 Opfer wurden 2023 registriert, 25 Prozent mehr als im Jahr davor. Unter dem Stichwort "Digitale Gewalt" fasst das Amt Straftaten wie Nötigung, Bedrohung und Stalking zusammen. So würden Männer, die eine Trennung von Seiten ihrer Partnerin nicht akzeptierten, oft mit Stalking reagieren, indem sie zum Beispiel Ortungssysteme auf dem Smartphone nutzten, um Kontrolle über ihre Ex-Partnerin auszuüben, sagt Katja Grieger. Auch das Verbreiten von Fotos oder Videos ohne Zustimmung der Ex-Partnerin gehöre dazu. Das Internet biete, so Grieger, einen perfekten Raum für diese Übergriffe. Grieger spricht von einer "Verrohung des digitalen Raums". Inzwischen sei das Gefühl entstanden, das Internet sei ein rechtsfreier Raum.
Zu wenig Hilfe
Diplompsychologin Grieger weist darauf hin, dass die Hilfen für Frauen, die Opfer von häuslicher Gewalt werden, bei weitem nicht ausreichen, um den Bedarf zu decken. Schätzungen gehen davon aus, dass bundesweit 14.000 Plätze in Frauenhäusern fehlen. Einer seit Jahren zunehmenden Gewalt gegen Frauen und Mädchen stehe ein lückenhaftes und chronisch unterfinanziertes Hilfesystem gegenüber. Darauf weist der Verein Frauenhauskoordinierung e.V. aus Anlass des Tags zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen hin. Täglich müssten schutzsuchende Frauen und Kinder aus Platzmangel abgewiesen werden. Mehr als jede vierte der aufgenommenen Frauen müsse den Schutz anteilig oder ganz selbst finanzieren.
Gewalthilfegesetz soll Finanzierung sichern
Grieger plädiert im SWR1-Gespräch dafür, das geplante so genannte "Gewalthilfegesetz" noch vor der vorgezogenen Bundestagswahl zu beschließen. Das Gesetz würde etwas "Bahnbrechendes" ändern, so Grieger. Es würde erstmals die Existenz von zum Beispiel Frauenhäusern anerkennen und den Staat in die Pflicht nehmen, Hilfen für Betroffene zu finanzieren. Mit dem Gesetz wollen Bund, Länder und Kommunen eine rechtliche und finanzielle Grundlage dafür schaffen, dass diese Unterstützung flächendeckend, niederschwellig und vor allem kostenfrei gewährleistet wird. Nach dem Ende der Ampel-Koalition ist aber fraglich, ob das Gewalthilfegesetz noch verabschiedet wird. Bisher werden Frauenhäuser in sehr unterschiedlichem Ausmaß von Ländern und Kommunen finanziert.
Prävention als gesellschaftliche Aufgabe
Es müsste selbstverständlich sein, dass schon Kinder und Jugendliche über das Thema Gewalt gegen Frauen informiert werden, meint Grieger zudem im SWR1-Gespräch. Wichtiger sei aber, erwachsene Männer durch Sensibilisierungsmaßnahmen und Kampagnen mit dem Thema zu konfrontieren.