Glauben

Endlich frei! - Steiniger Weg aus der häuslichen Gewalt

Stand
Autor/in
Susanne Babila

Häusliche Gewalt findet meist im Vorborgenen statt. Frauen und Kinder trauen sich nicht darüber zu sprechen, aus Scham. Wo finden sie Hilfe und den Glauben an ihre eigene Kraft.

Prügel, Drohungen, Misshandlung - Gewalt prägt den Alltag vieler Frauen in Deutschland. Nach Daten des Bundeskriminalamts nahmen Fälle häuslicher Gewalt auch in 2023 weiter dramatisch zu und verzeichnete 155 Femizide. Ein Rekordwert. Die Opfer sind meist Frauen, die Täter ihre Partner oder Ex-Partner.


Marie*, wir nennen sie so, aus Sicherheitsgründen, lebt seit einem Jahr mit ihren beiden kleinen Kindern im Frauenhaus. Sie flüchtete vor ihrem gewalttätigen Partner, der sie prügelte, demütigte, kontrollierte. Im Frauenhaus fand sie Schutz, Hilfe und wieder zu neuem Selbstbewußtsein

Häusliche Gewalt

Wenn man dann irgendwann nicht mehr kann, wenn man nur noch eingeschüchtert ist und Angst hat, dann sitzt man nur noch da wie ein Häufchen Elend und sagt dann gar nichts mehr. Man lässt einfach alles mit sich machen. Man spürt dann nichts mehr von sich.

Amalia*, auch ihr Name wurde geändert, erlebte fast jeden Tag wie ihr Vater ihre Mutter bedrohte und fast zu Tode quälte. Erst nach vielen Jahren konnte sich die Mutter von ihrem Ehemann trennen. Doch in dieser Zeit fühlte sich Amalia verantwortlich für ihre Mutter und ihre drei Geschwister. Denn sie alle lebten in ständiger Todesangst.

Häusliche Gewalt

Ich war so ein Teenager, Kind, was nie geschlafen hat, weil ich immer gewartet hab' bis er nach Hause kommt. Und dann wollte ich ihn abfangen und wissen, wie er drauf ist. Würde er Mama hauen, würde er sie nicht hauen.


Die gefährlichste Situation ist unmittelbar nach der Trennung

Die gefährlichste Situation ist unmittelbar nach der Trennung, erklärt Katja Grieger vom Bundesverband für Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe. In Deutschland waren im vergangenen Jahr rund 250.000 Menschen Opfer häuslicher Gewalt. Davon über 70 Prozent Frauen. Die Dunkelziffer ist weit höher.

155 Femizide in Deutschland im vergangen Jahr – ein Rekordwert

Das Bundeskriminalamt verzeichnete 155 Femizide, also Morde an Frauen, weil sie Frauen sind. Ein trauriger Rekordwert.

femizid

Ja, wir haben tatsächlich 2023, die höchste bisher gemessene Zahl an Tötungen durch Partner oder Ex-Partner, insgesamt 155. Wir haben allerdings , seit das in den letzten sechs Jahren erhoben wird,  jedes Jahr über 300 Tötungsversuche. Und ob da eine Frau letztlich wirklich getötet wird oder knapp überlebt, ist ja manchmal auch vom Zufall abhängig.

Doch Frauenhäuser und Beratungsstellen für Frauen sind chronisch unterfinanziert und das Gewalthilfegesetz lässt auf sich warten. Nach monatelangen Diskussionen hat Bundesfamilienministerin Paus das sogenannte Gewalthilfegesetz vorgelegt. Es soll einen rechtlichen Anspruch auf Schutz und Beratung garantieren. Gleichzeitig soll sich der Bund über zehn Jahre an den entstehenden Kosten beteiligen. Der deutsche Frauenrat forderte in einem Brandbrief die Bundesregierung auf, das Gewalthilfegesetz endlich zu verabschieden. Darunter sind auch konfessionelle Organisationen wie die Arbeitsgemeinschaft katholischer Frauenverbände, das Aktionsbündnis muslimische Frauen in Deutschland oder Evangelische Frauen in Deutschland.

Autonome Frauenhäuser

Das Gewalthilfegesetz darf am Ampel-Aus nicht scheitern

Doch nach dem Aus der Ampel ist die Frage: Bleibt das Gewalthilfegesetz jetzt auf der Strecke? Steht Schutz und Hilfe für gewaltbetroffene Frauen trotz dramatisch steigender Zahlen weiter hinten an?  Diese Sorge teilt Katja Grieger.

Das Gewalthilfegesetz wäre wirklich ein Meilenstein für die Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen, weil es zum ersten Mal tatsächlich gesetzlich absichern würde, dass es überhaupt diese Unterstützungseinrichtungen geben muss. Die sind im Moment komplett freiwillig, finanziert meistens von Ländern und Kommunen und es würde auch regeln, dass Betroffene ein Recht darauf haben, unterstützt zu werden. (…) Und jeder Tag, der vergeht, an dem dieses Gesetz nicht weiter vorangebracht wird, sinkt die Wahrscheinlichkeit, dass es in dieser Legislatur noch kommen kann. Und es wäre eine absolute Katastrophe für diesen gesamten Themenbereich und für alle Betroffenen.

In Deutschland herrscht ein absoluter Notzustand, sagt Asha Hedayati. Die Familienrechtsanwältin lehrt an der Alice-Salomon-Hochschule für Soziale Arbeit in Fächern wie Familienrecht oder Kinder- und Jugendhilferecht. „Es bedarf mehr Präventionsangebote, um ein patriarchales Rollenverständnis zu hinterfragen, und das beginnt bereits im Kindergarten“, erklärt sie.

Mehr Präventionsangebote und geregelte Täterarbeit

Vor einem Jahr wurde ihr Buch „Stille Gewalt, wie der Staat Frauen allein lässt“ veröffentlicht. Darin beschreibt sie, wie patriarchal die Strukturen innerhalb von Justiz und Polizei immer noch sind und es Frauen zusätzlich schwer machen, der Partnerschaftsgewalt zu entkommen. Häufig werde die männliche Gewalt, die sie erfahren, nicht ernst genommen, erzählt sie aus Gesprächen mit Mandantinnen.

Dass ihnen so etwas gesagt wurde wie: „Machen Sie doch mal eine Eheberatung oder Eheprobleme haben wir ja alle, Warum haben Sie ihm denn die Tür geöffnet? Warum sprechen Sie denn nicht mal mit ihm, wenn er ihnen auflauert?“ Solche permanenten Verantwortungsverschiebungen, die aber in allen staatlichen Institutionen stattfinden, also der Blick auf die Frau, die alles richtig machen soll und am Ende aber nichts richtig machen kann

heimliches Handzeichen Häusliche Gewalt
Eine emporgestreckte Hand mit sich langsam schliessender Faust: Ein heimliches Handzeichen mit dem Opfer häuslicher Gewalt auf sich aufmerksam machen können.

Gewalt gegen Frauen wird immer noch verharmlost, auch medial

Gewalt gegen Frauen werde meist als Privatsache, als Einzelschicksal gesehen, Femizide häufig verharmlost, auch medial. Trennungstötungen gelten als „Ehedrama“ oder „Familientragödie“, sagt Familienrechtsanwältin Asha Hedayati, anstatt sich zu fragen, warum müssen in unserer Gesellschaft so viele Frauen Gewalt erleben und warum nimmt die Gewalt jedes Jahr zu? Warum ist Täterarbeit noch immer ein Randthema und wie steht es um verbindliche Fortbildungen für Polizei und Justiz im Umgang mit gewaltbetroffenen Frauen?

Asha Hedayati, Familienrechtsanwältin und Autorin
Asha Hedayati, Familienrechtsanwältin und Autorin

Ja, es ist enorm wichtig, das Gewalthilfegesetz. Aber es reicht definitiv nicht aus. Es wäre ein erster Schritt in die richtige Richtung. Nur selbst das kriegt ja Deutschland nicht hin. Und (…) das ist gar kein Versagen mehr, sondern das ist eine Entscheidung, die den Tod und die Gesundheitsgefährdung von Frauen in Kauf nimmt, weil alle ja die Zahlen kennen und genau wissen, dass die Zahlen seit Jahrzehnten steigen und da kann man nicht mehr von Fahrlässigkeit sprechen.

Stand
Autor/in
Susanne Babila