Wie Konflikte beim Vererben eines Hauses vermieden werden können, weiß Mediator Dr. Gerhart Flothow aus Mainz. Er hat jahrzehntelang als Immobilienmediator gearbeitet und sich dann auf das Thema Konfliktberatung beim Vererben von Immobilien spezialisiert.
SWR1: Der Bruder will das Elternhaus unbedingt behalten. Die Schwester will verkaufen. Was macht der Mediator?
Dr. Gerhart Flothow: Die Interessen der Beteiligten klären, ob es gemeinsame Interessen gibt. Der Mediator unterscheidet dadurch, dass er immer versucht, die Gemeinsamkeiten nach vorne zu stellen. Die Gemeinsamkeit beim Elternhaus ist immer: Man hat seine Kindheit dort verbracht. Es gibt aber auch keine Gemeinsamkeit: Sie haben nicht dieselbe Erinnerung. Die einen haben positive, die andere negative Erinnerungen. Der Fall, den Sie schildern, ist deshalb besonders schwierig, weil der Wertzuwachs der Immobilien so gigantisch ist, dass ein Erben den anderen Erben auf Basis seines Erwerbseinkommen oft nicht auszahlen kann.
SWR1: Ich habe den Verdacht, dass vieles in Ihrem Gewerbe sich gar nicht unbedingt um die Immobilie dreht, sondern um Konflikte, die sowieso schon lange in der jeweiligen Familie schwelen. Ist der Verdacht berechtigt?
Flothow: Der Verdacht ist berechtigt, es ist ein Volltreffer. Gerade deshalb ist das Thema Erbe so ein schweres, weil die gesamten Konflikte in der Familie bei der Gelegenheit aufgespült werden. Bedürfnisse nach Anerkennung, nach Wertschätzung, aber auch glückliche Kindheit. All diese Konflikte werden in einem auf den Tisch gelegt. Und das überfordert die meisten Menschen.
SWR1: Haben Sie des Öfteren den Eindruck, ich komme eigentlich zu spät? Ich hätte 30 oder 40 Jahre früher eingreifen müssen.
Flothow: Das ist so. Den Eindruck habe ich immer. Ich werbe dafür das Thema offensiv anzugehen. Da es aber die meisten nicht tun, komme ich immer zu spät und darf das dann in vielen Sitzungen aufarbeiten. Ich gehe mit meinen Konfliktparteien tatsächlich im Wald spazieren, um zu erfahren, was hinter dem vermeintlichen Sachkonflikt steht. Welche Bedürfnisse? Sie können halt Bedürfnisse nach Anerkennung, nach Wertschätzung nicht durch Immobilien ausgleichen.
SWR1: Offensiv angehen heißt auch, dass die Eltern noch zu Lebzeiten da Regelungen treffen? Warum machen das so wenige?
Flothow: Etwa drei Prozent der Bevölkerung regeln ihr Erbe tatsächlich so, wie sie es wollen und rechtswirksam. Das liegt daran, dass die Menschen einfach Angst haben. Sie haben Angst davor, dass alle die Konflikte, die Sie beschrieben haben, auf einmal kommen. Nämlich die Fragen "Waren meine Eltern gute Eltern?", "Ist das Lebenswerk, was meine Eltern hingestellt haben, auch in meinen Augen ein Lebenswerk?". Das ist das erste Mal, wo Kinder mit ihren Eltern hundertprozentig auf Augenhöhe sind. Das fällt vielen Eltern schwer, weil Sie wollen das letzte Wort haben. Deshalb – drei Prozent, der Rest regelt es nicht.
SWR1: Was raten Sie Eltern, um die ganze Sache zu entschärfen?
Flothow: Auf die Kinder zugehen. Es ist so einfach und so schwierig zugleich: miteinander reden, die Kinder mit ihren Bedürfnissen und ihre Lebenssituation ernst nehmen. Es ist einer der wichtigsten Punkte. Wenn Eltern heute 100 Jahre alt werden und das Kind dann mit 75 Jahren erbt, das ist halt eine andere Situation als vor 100 Jahren. Wenn man die Kinder mit ihrer Lebenssituation und ihren Bedürfnissen ernst nimmt, wird man es regeln können. Wenn man es tatsächlich zu emotional hat, dann hilft es, den Konflikt zu neutralisieren und jemanden externen dazuzunehmen. Das kann ein Mediator sein, es kann aber auch ein guter Freund der Familie sein.
Das Gespräch führte SWR1 Moderator Hanns Lohmann.