Warum sich bei der Wahl viele erst spät entscheiden
SWR1: Woran liegt es aus Ihrer Sicht, dass sich viele erst spät entscheiden?
Uwe Jun: Wir sehen, dass die Parteibindungen abgenommen haben. Viele Wählerinnen und Wähler haben kaum eine Parteibindung. Und da das eben so ist, lassen sie sich bis zum Schluss Zeit. Sie überlegen noch, wo sie sinnvollerweise ihr Kreuz machen können. Das liegt daran, dass die Spätentscheider keine unwichtige Rolle im Wahlkampf spielen.
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Spitzenkandidaten der Bundestagswahl eher unpopulär
SWR1: Positionieren sich die Kanzlerkandidaten nicht richtig und begeistern sie zu wenig?
Jun: Das kann man sagen. In der Tat haben wir selten so unpopuläre Spitzenkandidatinnen und -kandidaten gehabt, wie bei dieser Bundestagswahl. Alle vier Kandidaten haben bisher die Wählerinnen und Wähler nicht überzeugt. Und sie haben schlechte Werte. Das war eben in der Vergangenheit anders, wie bei Angela Merkel, Gerhard Schröder und anderen. Selbst Olaf Scholz hatte beim letzten Mal deutlich bessere Werte.
In der Tat haben wir selten so unpopuläre Spitzenkandidatinnen und -kandidaten gehabt, wie bei dieser Bundestagswahl.
SWR1: Motivieren die Kanzlerkandidaten im Moment nur ihre eigenen Leute?
Jun: Das kann man auch so in etwa sagen. Wir sehen ein bisschen einen Vorteil bei Robert Habeck mit Blick auf die Frauen. Da zieht Robert Habeck ganz gut. Bei allen anderen sehen wir tatsächlich, dass sie in ihrer Wählergruppe bleiben und darüber hinaus nicht stark wirken.
Das ist etwas, was natürlich ungewöhnlich ist. Denn der Kandidatenfaktor ist gerade bei den Spätentscheidern häufig wichtig gewesen. Sie haben wenig Parteibindung und sind kaum Parteiidentifiziert. Bei ihnen spielten in der Vergangenheit dann die Kandidaten eine wichtige Rolle.
Prognose von Prof. Jun für die Wahlbeteiligung
SWR1: Wie ist Ihre Prognose? Wie viele dieser Unentschlossenen gehen am Ende gar nicht zur Wahl?
Jun: Das werden ein paar sein. Da dieser Wahlkampf relativ stark politisiert ist, werden wir durchaus viele sehen, die zur Wahl gehen. Ich rechne mit einer ähnlich hohen, vielleicht sogar höheren Wahlbeteiligung als beim letzten Mal.
Summa summarum: Wenn 80 Prozent zur Wahl gehen, hätten wir etwa 20 Prozent derjenigen, die dann am Ende nicht an der Wahl teilnehmen. Das wäre relativ gut, im Vergleich der letzten Jahre und den letzten Bundestagswahlen. Wie gesagt, da dieser Wahlkampf recht politisiert ist und wir einen Rechts-Links-Gegensatz erkennen, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass die Wahlbeteiligung am Ende relativ hoch sein wird.
SWR1: Eine ähnliche Wahlbeteiligung also, weil die Menschen die Wahl als wichtig ansehen?
Jun: Wir hatten 2013 den bisherigen Tiefpunkt, was die Wahlbeteiligung betrifft. Seitdem sehen wir wieder leicht ansteigende Wahlbeteiligungsraten. Ich rechne damit, aufgrund der Politisierung dieses Wahlkampfs, dass wir den Wert von 2021 mindestens erreichen und wahrscheinlich leicht übertreffen werden.
Motivation zum Wählen
SWR1: Wie kann man die Wahlmuffel noch motivieren?
Jun: Es muss den Wählerinnen und Wählern verdeutlicht werden, dass von ihrer Entscheidung viel abhängt. Heißt also, Wirksamkeit ist sehr wichtig. Viele Wählerinnen und Wähler, die nicht zur Wahl gehen, die vermissen genau diese Selbstwirksamkeit. Wenn das für diejenigen sichtbar wird, dass sie mit ihrer Stimme etwas bewirken können, dass ihre Stimme vielleicht sogar wichtig ist, dann ist die Motivation zur Wahl zu gehen, höher.
Es muss den Wählerinnen und Wählern verdeutlicht werden, dass von ihrer Entscheidung viel abhängt.
Herkunft der Nichtwähler bei der Bundestagswahl
SWR1: Kann man denn sagen, wer diese Menschen sind, die nicht zur Wahl gehen?
Jun: Wir haben eindeutig zwei wichtige Faktoren. Wir haben erstmal das Politikinteresse und dann haben wir den sozialen Status. Der wird auch gemessen am Haushaltsnettoeinkommen und am Bildungsabschluss.
Wir können insbesondere feststellen, dass diejenigen weniger an Wahlen teilnehmen, die mit einem geringen formalen Bildungsabschluss ausgestattet sind und ein geringeres Haushaltsnettoeinkommen haben. Das heißt, in den Wohnlagen, wo der soziale Status prekärer ist, ist die Wahlbeteiligung in der Regel etwas geringer.