Zwei Tage nach dem Aus für die Ampelkoalition dreht sich das Spekulationskarussell deutlich schneller. Stellt der Kanzler die Vertrauensfrage? Wer regiert Deutschland möglicherweise im nächsten Jahr? Wir haben mit dem Politikwissenschaftler Prof. Uwe Jun von der Uni Trier über mögliche Szenarien gesprochen.
Nach Ampel-Aus: Wann Neuwahlen?
SWR1: Es gibt Forderungen, dass Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) die Vertrauensfrage früher, zum Beispiel nächste Woche nach der Regierungserklärung stellen soll. Neuwahlen wären dann Mitte Januar möglich, sagt Oppositionsführer Friedrich Merz (CDU). Ist das realistisch?
Prof. Uwe Jun: Das ist realistisch, sagt jedenfalls auch die Bundeswahlleiterin. Das könnte man einrichten. Die Vorbereitungen diesbezüglich wären auf diesen Zeitraum zu beschränken. Denkbar wäre das. Aber es geht natürlich nur, wenn der Bundeskanzler die Vertrauensfrage stellt. Denn ohne diese Vertrauensfrage ist eine Neuwahl überhaupt nicht möglich.
Nach Ampel-Aus: Scholz und die Vertrauensfrage
SWR1: Ist denn denkbar, dass Olaf Scholz mit Blick auf eine Vertrauensfrage erst Mitte Januar hartnäckig bleibt?
Jun: Wir kennen Olaf Scholz schon als jemanden, der eher hartnäckig ist und der sich wenig von außen beeindrucken lässt. Insofern ist es durchaus nicht unmöglich, vielleicht sogar wahrscheinlich, dass Olaf Scholz an diesem Zeitplan festhält.
Mögliche Neuwahlen: Wissing skeptisch
SWR1: Ein Argument, warum Verkehrsminister Volker Wissing (parteilos) die Ampel nicht platzen lassen wollte, deshalb aus der FDP ausgetreten ist und sein Amt behält, ist, er sagt, Neuwahlen bringen nicht unbedingt etwas und stärken am Ende die Ränder. Stimmt das?
Jun: Die Wahrscheinlichkeit ist, dass die CDU/CSU stärkste Partei wird und dass wir eine andere Regierungskonstellation bekommen. Möglich ist das Argument von Volker Wissing, dass eben tatsächlich auch AfD und BSW stärker werden. Das ist nicht auszuschließen. Wissing war immer ein Freund der Ampelkoalition und auch Begründer dieser Konstellation in Rheinland-Pfalz.
Aber ganz richtig ist seine Aussage nicht. Denn die Wahrscheinlichkeit, dass CDU/CSU eine neue Bundesregierung anführen kann, ist sehr hoch. Dann könnte man schon sagen, eine solche Neuwahl hat etwas gebracht.
SWR-ExklusivinterviewAmpel-Aus: Wissing bleibt Verkehrsminister
SWR1: Ist es denkbar, dass Olaf Scholz als SPD-Kanzlerkandidat ins Rennen geht? Laut ARD-Deutschlandtrend ist eine Mehrheit der SPD-Anhänger dagegen.
Jun: Ja, aber die Parteivorsitzende Saskia Esken (SPD) und auch ihr Pendant Lars Klingbeil (SPD) haben sich dafür ausgesprochen. Ich sehe niemanden in der SPD, der eine offene Palastrevolution gegen den Kanzler anzetteln möchte.
Von daher ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass Olaf Scholz, der in der Tat nicht sehr populär ist, bei der Bevölkerung, was eine Schwierigkeit für den SPD-Wahlkampf darstellt, wieder als Kanzlerkandidat ins Rennen geht.
Mögliche Neuwahlen – Bleibt Lindner Finanzminister?
SWR1: FDP-Chef Christian Lindner hat mehrfach betont, dass er in einer neuen Regierung wieder Finanzminister werden möchte. Er ist also auch direkt im Wahlkampfmodus.
Jun: Das ist ein Thema, was Christian Lindner liegt. Er war immer ein erfolgreicher Wahlkämpfer und er wird sich dafür starkmachen, dass die FDP in eine Koalition mit der CDU eintreten kann.
Christian Lindner und die FDP werden, falls die Wählerinnen und Wähler nicht möchten, dass die CDU mit einer Partei links von ihr koalieren muss, als Alternative bereitstehen.