Die Bundesregierung aus SPD, Grünen und FDP ist zerbrochen. Albrecht von Lucke, Politikwissenschaftler und Redakteur der Monatszeitschrift "Blätter für deutsche und internationale Politik", hat so etwas noch nicht erlebt.
Scheitern der Ampelkoalition "historisch"
SWR1: Die gegenseitigen Vorwürfe nach dem Aus der Ampel vor allem zwischen Bundeskanzler Olaf Scholz und Finanzminister Christian Lindner sind harsch. Haben Sie so etwas schon mal erlebt?
Albrecht von Lucke: Nein, bisher noch nie. Das ist auch ein einzigartiger Vorgang, dass eine Koalition nach drei Jahren platzt. Worum es jetzt geht, ist das große Schwarze Peter-Spiel, in dem der eine dem anderen die Verantwortung für dieses historische Scheitern zuschiebt.
Bundeskanzler Olaf Scholz hat Konsequenz gezogen
SWR1: Hatte es Lindner mit seinen Forderungen nach einer Wirtschaftswende darauf angelegt?
von Lucke: Ja, absolut. Er musste damit rechnen, dass er mit diesem 18 Seiten starken Papier die Koalition gegen die Wand fährt. Er hätte aber mit Sicherheit nicht mit dieser Schärfe des Bundeskanzlers gerechnet, der natürlich eine harte Abrechnung gemacht hat – mit dem Umstand, dass letztlich Lindner diese Koalition erpresst hat.
Dieses "Scheidungspapier" war ein Erpressungspapier, weil er damit gesagt hat, friss oder stirb, ihr müsst das annehmen, was ich vorschlage. Andernfalls geht es nicht weiter. Der Kanzler hat die Konsequenz gezogen und gesagt, dass es so nicht weitergehen kann, um den Gesichtsverlust nicht in den eigenen Reihen zu erleiden.
Wann wird es Neuwahlen geben?
SWR1: Scholz will die Vertrauensfrage Mitte Januar stellen. Warum eigentlich nicht früher?
von Lucke: Das ist die ganz große Frage. Und darüber wird jetzt der Streit losgehen. Denn natürlich ist es völlig fraglich, wer die Mehrheiten für diese Minderheitskoalition liefern soll. [...] Wer soll dazu bereit sein? Die FDP ersichtlich in weiten Teilen nicht mehr. Bei vielen Projekten wird sie nach ihrer Entlassung nicht mehr positiv mit abstimmen.
Und ob die CDU/CSU bereit sein wird, diese Rolle zu übernehmen, steht doch sehr in Zweifel. Friedrich Merz hat nur ein Interesse: Er will schnelle Neuwahlen. Und insofern spricht vieles dafür, dass wir schon früh vor Mitte Januar zu Neuwahlen schreiten können.