Die ehemalige Vorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland hat mit uns über ihre Gefühle zu Weihnachten gesprochen.
Margot Käßmann: Warnung vor Harmonie-Inszenierung
SWR1: Sie warnen vor einer sogenannten "Harmonie-Inszenierung" an Weihnachten. Warum?
Margot Käßmann: Ich möchte einfach gerne den Druck ein bisschen herausnehmen, das alles ganz perfekt sein soll. Lauter glückliche, schöne Menschen – wie in der Werbung. Das macht Druck. Wenn es in der Familie dann nicht so ist, weil es doch Streit gibt und Spannungen. Und die jungen Leute wollen was anderes als die alten. Ich rate dazu, ein bisschen gelassener mit diesem schönen Fest umzugehen.
Wie soll Weihnachten ablaufen – einfach mal drüber reden
SWR1: Man könnte ja sagen, die sollen sich ruhig mal ein bisschen Mühe geben. So, dass es gut läuft…
Käßmann: Mühe geben, würde ich auch sagen. Aber das kann ja heißen, lasst uns doch verabreden, wie wir es gerne hätten, damit es für alle gut ist. Dieser Druck, du musst Oma und Opa besuchen, es soll ganz herrlich sein und wir müssen alle "Oh du fröhliche" unter Weihnachtsbaum singen.
Ich rate dazu, vorher mal zusammenzusitzen und zu fragen, wie wollen wir es veranstalten? Genauso wie letztes Jahr oder wollen wir vielleicht auch was ganz anderes machen? Muss es eine Gans sein oder reicht uns auch eine Pizza? Also mehr Gelassenheit und weniger Druck, damit es dann doch gut werden kann.
SWR1: Wie erklären Sie sich diesen Druck, dass alle ausgerechnet an Weihnachten alles perfekt und reibungslos haben wollen?
Käßmann: Das hat mit der Weihnachtsgeschichte jedenfalls nichts zu tun. Wenn man in die Bibel guckt, müssen alle zur Volkszählung über die Berge von Bethlehem nach Nazareth. Dann finden sie keine Unterkunft. Keine Frau würde gerne in einem Stall ein Kind zur Welt bringen. Dann kommen noch diese "abgerissenen" Hirten vorbei. Das möchte auch keiner kurz nach der Geburt, und irgendwelche Fremden aus dem Morgenland kommen dazu.
Das war eher chaotisch, aber die Liebe hat gestimmt. Ich finde, das ist doch das Wichtigste, dass wir sagen, was unsere wichtigen Beziehungen sind. Darum geht es. Der Druck, dass alles wunderbar weihnachtlich ist, wird durch die Werbeindustrie erzeugt.
Leute SWR1 Leute mit Margot Käßmann und Andreas Helm
Was für eine Liebesgeschichte! Der Begriff "Liebesgeschichte" wäre ihnen zu schnulzig. Deutschlands bekannteste Theologin - Margot Käßmann - und Andreas Helm sind ein Paar. Wieder.
SWR1: Das wirkt aber alles auf die Menschen ein. Die Weihnachtsgeschichte an sich ist weit weg und der Sinn dahinter für viele auch. Wie kann man das hinkriegen, dass die Menschen sich wieder darauf besinnen? Dass sie das spüren und vielleicht auch fühlen?
Käßmann: Ich finde es natürlich schön, an Weihnachten in einen Gottesdienst zu gehen. Für mich ist kein Weihnachten, wenn ich nicht "Stille Nacht" und "Oh du fröhliche" singen kann. Vielleicht kann man mancher Familie auch raten: Lest doch diese alte Geschichte mal nach und unterhaltet euch darüber, was das heute bedeuten kann. Und ich würde auch raten – es kann ganz schief und krumm klingen – aber versucht zusammen zu singen.
SWR1: Hatten Sie schon mal so ein richtig unperfektes Weihnachten erlebt?
Käßmann: Ja. Sie können sich vorstellen, bei so einem Pfarr-Haushalt mit drei Gottesdiensten und vier Kindern im Haus war es doch oft eher chaotisch. Aber manchmal mussten wir auch wirklich lachen. Ich habe auch die Pizza vor dem Gottesdienst vorbereitet, damit alles schnell geht bis zum nächsten Gottesdienst.
Und wenn dann etwas so richtig schief ging und der Hund die ganzen Kekse weggegessen hat, haben wir auch einfach gelacht. Wir haben gesagt, so ist das Leben. Und an Weihnachten sind wir keine anderen und perfekteren Menschen als sonst im Jahr.
Ich finde, ein bisschen Humor tut allen gut. Also weniger Perfektionsdruck, mehr Humor und lass der Liebe freien Lauf.
Das Interview führte SWR1 Moderator Michael Lueg.