Nach schweren Vorwürfen gegen Trainer und Funktionäre

DTB sucht Gespräche mit Turnerinnen: Gemischte Reaktionen bei Sportlerinnen

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Autor/in
Johannes Seemüller
Johannes Seemüller, SWR-Sportjournalist

Der Deutsche Turnerbund (DTB) hat sich in einem Schreiben bei Turnerinnen wie Tabea Alt und Janine Berger "für das entstandene Leid" entschuldigt und lädt sie ein, beim Aufarbeitungsprozess mitzuwirken. Die Reaktionen gehen von "kein Interesse" bis "nehme dankbar an".

Der Deutsche Turnerbund (DTB) hat angekündigt, die massiven Vorwürfe etlicher aktueller und ehemaliger Spitzenturnerinnen über gravierende Missstände im deutschen Turnen aufzuarbeiten. Am 6. Januar verschickten der DTB-Vorstandsvorsitzende Kalle Zinnkamm und Eva Reinschmidt, Referentin Safe Sport im DTB, ein Schreiben an diejenigen Turnerinnen, die mit ihren Statements und Posts an die Öffentlichkeit gegangen waren. In dem Brief, der unserer Redaktion vorliegt, heißt es: "Wir bedauern, dass du diese Erlebnisse, die im kompletten Gegensatz zu unseren Werten und Zielen stehen, machen musstest. Als Verband und auch stellvertretend für den organisierten Turnsport entschuldigen wir uns bei dir und allen betroffenen Turnerinnen für das entstandene Leid."

Der DTB setze eine Untersuchung zur Aufarbeitung der geschilderten Sachverhalte auf, die sich sowohl mit Fehlverhalten einzelner Personen als auch mit Missständen des Leistungssportsystems auseinandersetzen werde. Der Verband würde es begrüßen, wenn die Sportlerinnen im Rahmen dieser Untersuchung für Gespräche zur Verfügung stehen und ihre Sichtweisen und Anregungen in diesen Prozess einbezogen werden könnten.

Tabea Alt: "Jede andere Reaktion wäre nicht vertretbar gewesen"

Die Reaktionen der Sportlerinnen könnten gegensätzlicher nicht sein. Tabea Alt, 24-jährige ehemalige Spitzenturnerin aus Ludwigsburg, die 2021 ihre Karriere wegen mehrerer langwieriger Verletzungen beenden musste, nahm im SWR-Interview das Schreiben des DTB grundsätzlich positiv auf. "Ich sehe die Kommentare und den Willen, dass man uns jetzt hört und auf uns zukommt. (…) Man möchte von Seiten des DTB mit uns sprechen, um das aufzuarbeiten. Das sind die richtigen Signale. Es ist auch zwingend notwendig, jede andere Reaktion wäre nicht vertretbar gewesen. Und demnach nehme ich das erst mal dankend an und bin gespannt, was sich daraus entwickelt und wie es weitergeht."

Tabea Alt sprach Missstände an

Alt hatte sich bereits vor einigen Jahren in einem ausführlichen Brief an ihre Trainer, die damalige Bundestrainerin Ulla Koch, den DTB-Präsidenten Alfons Hölzl, den Teamarzt und an weitere Verantwortliche gewendet und auf Missstände hingewiesen und Lösungsvorschläge unterbreitet und ihre eigene Unterstützung angeboten. Sie sei aber ignoriert worden.

Nun fordert die WM-Bronzemedaillen-Gewinnerin von 2017 einen kompletten Strukturwandel im deutschen Turnen und verweist dabei auf den Nachbarn Schweiz: "Es braucht ein professionelles Konzept. Die Schweiz hat da ein sehr gutes Modell. Sie hatten dort eine ähnliche Situation vor einigen Jahren. Dieses Konzept wurde zum Schutz minderjähriger Athleten aufgebaut. So etwas wünsche ich mir auch für Deutschland." Man brauche eine rechtliche Organisation, die über dem Verband stehe. "Dann könnten Vorfälle dort gemeldet werden und nicht beim Stützpunkt, wo alles verschluckt oder nicht gehört wird." Eine solche Organisation müsse das Recht haben, Untersuchungen durchzuführen. Es gehe auch darum, dass man etwas melden dürfe, wenn man etwas Problematisches sehe. "Man muss nicht zwingend selbst betroffen sein."

Janine Berger plant keinen Kontakt zum DTB

Alts Turnkollegin Janine Berger, Olympia-Vierte 2012 in London, kann mit dem Schreiben des DTB hingegen nicht viel anfangen. Sie ist überzeugt, dass die Entschuldigung nur "aufgrund des öffentlichen Drucks" erfolgt sei. Die 28-jährige Turnerin des SSV Ulm 1846 musste während ihrer sportlichen Karriere zu viele negative Erfahrungen mit Trainern und Funktionären machen. Dem SWR sagte sie: "Ich habe oft Gespräche mit den Verantwortlichen geführt und Missstände zurückgemeldet. Als es schwierig wurde und nicht mehr weiterging, habe ich meinen Eltern etwas gesagt. Die haben auch zahlreiche Gespräche geführt. Es hat im Endeffekt nichts gebracht."

Berger ist an einem internen, vertrauensvollen Gespräch mit dem DTB "nicht mehr interessiert." Diese Gespräche habe es jahrelang gegeben. Sie sei erst bereit, bei der Erstellung eines neuen Konzepts mitzuwirken, "wenn jemand Externes" dabei sei. "Erst wenn sie mir vorlegen, wir haben jemand Externes, der nicht im Zusammenhang mit dem Verband steht, bin ich bereit, mitzuarbeiten. Aber dieser Wille ist in meinen Augen gar nicht da."

Die nächsten Wochen und Monate werden zeigen, wie reformwillig der Verband tatsächlich ist - und ob die Worte der Turnerinnen dieses Mal Gehör finden und positive Auswirkungen haben.