Nach schweren Vorwürfen

DTB räumt ein: Es gab "wohl weiterhin Verfehlungen" nach Tabea Alts Brief

Stand
Autor/in
Johann Schicklinski

Die Missbrauchsvorwürfe am Turn-Bundesstützpunkt in Stuttgart schlagen weiter hohe Wellen. Der Deutsche Turner-Bund (DTB) zeigte nun gegenüber SWR Sport Verständnis dafür, dass die Sportlerinnen sich an die Öffentlichkeit gewandt haben und bekräftigte, einen Veränderungsprozess eingeleitet zu haben.

Es war ein echtes "Beben", das vor knapp einer Woche über den Turn-Bundesstützpunkt in Stuttgart und über den DTB hereinbrach. Mehrere aktuelle und ehemaligen Auswahl-Turnerinnen, darunter Tabea Alt, Kim Bui und Michelle Timm, prangerten Missstände öffentlich an. Beklagt wurden etwa "systematischer körperlicher und mentaler Missbrauch" sowie "katastrophale Umstände".

Stuttgart, Deutschland

Erste personelle Konsequenzen Turnerinnen erheben schwere Vorwürfe - Wie ist der aktuelle Stand? Wie geht es weiter?

Die schweren Vorwürfe gegen die Verbände DTB und STB sowie den Stützpunkt Stuttgart erschüttern das deutsche Turnen. Nun wurden Medienberichten zufolge erste personelle Konsequenzen gezogen und zwei Personen vorläufig freigestellt. SWR Sport gibt einen Überblick über den aktuellen Stand der Dinge (03.01.).

SWR Aktuell Baden-Württemberg SWR BW

Seitdem ist einiges passiert. Zunächst hatten sich der DTB und der Schwäbische Turnerbund (STB) am 31.12.2024 in Stellungnahmen zu den Vorwürfen der Turnerinnen geäußert. Der STB bestätigte an Neujahr auf Anfrage von SWR Sport zudem, dass der Trainingsbetrieb für alle Turnerinnen und Turner am Kunst-Turn-Forum in Stuttgart am Donnerstag, 2.1. wieder starten würde. Dazu sollen laut STB Turn-Bundestrainer Gerben Wiersma und Nachwuchsbundestrainerin Claudia Schunk ab dem 7.1. Trainingseinheiten übernehmen.

Es wurden auch erste personelle Konsequenzen gezogen und zwei Personen bis zum 19.1. vorläufig freigestellt. Außerdem forderten der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) und das Kultusministerium Baden-Württemberg eine genaue Aufarbeitung der erhobenen Vorwürfe.

DTB wusste seit Juli 2024 von Vorwürfen

Auf Anfrage von SWR Sport hat nun der DTB bestätigt, bereits seit längerem von Vorwürfen am Bundesstützpunkt in Stuttgart Kenntnis gehabt zu haben. "Die ersten Meldungen haben uns über die Anlaufstelle 'Anlauf gegen Gewalt' im Juli 2024 erreicht", heißt es vom Verband. "Diese waren vollständig anonym. Die meldenden Personen wollten keinen Kontakt zum DTB. Im Oktober 2024 hat sich dann eine Person direkt mit einer Meldung an uns gewendet und ein Interventionsverfahren wurde gestartet."

DTB: "Die Trainer werden mit den Vorwürfen konfrontiert"

In diesem Interventionsverfahren würden "weitere beteiligte Personen befragt, die Trainer mit den Vorwürfen konfrontiert und Veränderungsprozesse eingeleitet", so der DTB, der aus "rechtlichen Gründen" diesbezüglich nicht konkreter werden will.

Tabea Alt mit schwerwiegenden Vorwürfen

Man habe zudem auf einen Brief von Tabea Alt an den DTB im Jahr 2021 frühzeitig reagiert, heißt es vom Verband weiter: "Die von Tabea Alt 2021 in einem Brief an ihre Trainer - den einzelne Verantwortliche des DTB und des STB zur Kenntnis bekommen haben - vorgebrachten Anschuldigungen wurden von beiden Verbänden für Veränderungen und Maßnahmen zur Verbesserung der Rahmenbedingungen für Athletinnen und Athleten genutzt."

Alt hatte in einem "ausführlichen Brief" an ihre Trainer, die damalige Bundestrainerin Ulla Koch, den DTB-Präsidenten Alfons Hölzl und den Teamarzt geschrieben. "Darin habe ich die Missstände hier in Stuttgart und im deutschen Frauenturnen im Allgemeinen an meinem Beispiel klar benannt und bekannt gemacht", schrieb sie bei Instagram. Sie habe zudem Lösungsvorschläge gemacht und wollte sich selbst einbringen. Doch Alt musste "mit Bedauern feststellen, dass es erfolglos war und zu nichts geführt hat. Es wurde ignoriert oder einfach nicht ernst genommen".

DTB: Es gab "wohl weiterhin Verfehlungen" nach Tabea Alts Vorwürfen

Der DTB erklärte nun, dass Alts damalige Vorwürfe durchaus ernst genommen worden seien. Die Erkenntnisse seien etwa sowohl in den DTB Kultur- und Strukturprozess "Leistung mit Respekt" als auch in die konkrete Aufarbeitung am Bundesstützpunkt Stuttgart eingeflossen. "Zahlreiche Veränderungen seien die Folge gewesen", heißt es vom Verband, der eingesteht: "Am Bundesstützpunkt Stuttgart kam es aber nach nun vorliegenden Hinweisen wohl weiterhin zu Verfehlungen, wodurch sich bei Tabea Alt verständlicherweise der Eindruck verfestigte, dass es seit ihrer Zeit keinerlei Veränderungen gegeben habe. Dies aufzuklären, wird in den kommenden Wochen Aufgabe der beiden Verbände sein."

Bereits nach Alts Brief im Jahr 2021 habe es Konsequenzen gegeben, so der DTB weiter: "Ja, es wurden Veränderungen in Verantwortlichkeiten und Zuständigkeitsbereichen vorgenommen und einzelnen Trainer*innen wurden individuelle Maßnahmen auferlegt."

DTB hat Verständnis fürs Öffentlichmachen der Turnerinnen

Für das kollektive und wohl konzertierte Öffentlichmachen der Turnerinnen über die Sozialen Medien zeigt man beim DTB Verständnis: "Athletinnen wie Tabea Alt und Kim Bui haben ihre schlechten Erfahrungen mit dem Leistungssportsystem in der Vergangenheit dem Verband auf unterschiedlichem Wege kundgetan. Die Verbände haben - da neue Anschuldigungen laut wurden - in ihren Augen nicht genug spürbare Konsequenzen gezogen, sodass die Athletinnen die sozialen Medien gewählt haben, um öffentlich Gehör zu finden. Wir erkennen diese Wahrnehmung und Vorgehensweise der Athletinnen an und nehmen sie zum Anlass für eine selbstkritische Reflektion."

Bislang haben sich nur Turnerinnen mit Vorwürfen an die Öffentlichkeit gewandt. Auch hierzu äußert sich der Verband: "Dem DTB liegen keine Hinweise von Turnern vor."

DTB will "Fehler der Vergangenheit nicht wiederholen"

Doch wie geht es nun aktuell weiter beim DTB? Der Verband erklärt, dass der "Interventionsfall um die nun weiteren bekannt gewordenen Informationen ergänzt und neu bewertet" werde. "Daraus können neue, weitergehende Maßnahmen entstehen. Der genaue Ablauf der Untersuchung ist zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht definiert, da der Verband sich hierzu noch mit Experten berät. Für uns steht fest, dass wir die Athletinnen einbinden möchten, um aus ihren Erfahrungen zu lernen und die Fehler der Vergangenheit nicht zu wiederholen."

Stand
Autor/in
Johann Schicklinski