Fußball | Meinung

Waldemar Anton hat vieles richtig gemacht

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Autor/in
Michael Richmann
SWR Sport-Redakteur Michael Richmann

Waldemar Anton verlässt den VfB Stuttgart und wechselt zu Borussia Dortmund. Viele VfB-Fans fühlen sich betrogen. Dennoch hat Waldemar Anton vieles richtig gemacht, meint SWR Sport-Reporter Michael Richmann.

Waldemar Anton verlässt den VfB Stuttgart. Und ich sage: nachvollziehbar. Sicher, mein Herz als Fußball-Fan blutet ein bisschen. Auch, wenn mir als Bayer-04-Aficionado eigentlich egal sein könnte, was in Stuttgart passiert. Trotzdem wünscht sich der Fußball-Romantiker in mir, dass all die Liebesbekundungen und die Treueschwüre in dem Business doch noch irgendetwas zählen. Schließlich ist das emotionale Video, in dem "Euer Waldi" den damals sehr verliebten VfB-Fans verkündet hat, "weiter gemeinsam im Brustring kämpfen und fighten" zu wollen, nur ein paar Monate alt.

Es ist großartig, was der VfB Stuttgart vergangene Saison aufgebaut hat - dieses Team, dieser rasante Offensiv-Fußball, diese Fans, diese Euphorie. Am Ende sprang sogar die Vizemeisterschaft dabei heraus. Was hätte daraus alles entstehen können? Nicht nur eine spannende Champions-League-Saison. Vor meinem geistigen Auge wähnte ich den VfB Stuttgart schon in einem spannenden Dreikampf um den Titel - mit Bayer und den Bayern.

Waldemar Anton ist kein Fußball-Fan

Fans führen mit ihrem Verein häufig eine Art Liebesbeziehung. Eine britische Studie will vor ein paar Jahren herausgefunden haben, dass Fans ihren Vereinen sogar treuer sind, als ihren Partnerinnen und Partnern. Und wenn ein so wichtiger Spieler wie Waldemar Anton plötzlich den Verein verlässt, fühlen sie sich betrogen. Darum stellen sie Anton jetzt als unmoralischen Söldner, widerlichen Lügner und toxischen Herzensbrecher hin. Aus Fan-Logik sicherlich verständlich.

Doch Waldemar Anton ist kein Fußball-Fan. Er ist in erster Linie Spitzensportler und Arbeitnehmer. Und als solcher folgt er einer komplett anderen Logik. Die Rechnung des Arbeitnehmers Waldemar Anton ist relativ einfach: Laut VfB-Sportvorstand Fabian Wohlgemuth kann Anton "seine wirtschaftliche Situation derart signifikant verändern", dass es fast fahrlässig wäre, das Angebot von Borussia Dortmund nicht anzunehmen.

Die VfB Stuttgart 1893 AG ist auch nur ein Arbeitgeber

Und sorry, liebe Fußball-Fans: Aber nach Arbeitnehmer-Logik tauschen Fußballer ihre Leistung gegen Geld. Demnach ist der VfB Stuttgart als Arbeitgeber genauso einzustufen, wie die Landesbank, Bosch, oder die Postbeamtenkrankenkasse - nur dass die VfB Stuttgart 1893 AG keine Werkzeuge oder Finanzdienstleistungen verkauft, sondern Zeitvertreib, Emotionen, Heimat und Identifikation.

Freilich ist Geld nicht alles. Sportlicher Erfolg, Legendo-Status oder der Spaß am Zocken in einem coolen Team sind ebenso verfolgenswerte Ziele.

Jeff Chabot in seinem ersten Testspiel für den VfB Stuttgart.
Jeff Chabot kommt vom 1. FC Köln. Dort überzeugte der 1,95 Meter große und wuchtige Abwehrspieler in der vergangenen Saison vor allem mit seiner Zweikampfstärke und als "Mentalitätsmonster". Sein Trainer schätzt auch Chabots Führungsqualitäten: "Jeff ist ein Spieler, der auf jeden Fall direkt Präsenz hat. Er hat auch gleich angefangen zu coachen", sagte Sebastian Hoeneß. Er könnte der neue Abwehrchef des VfB Stuttgart werden. Bild in Detailansicht öffnen
Fabian Rieder im Trikot der Schweizer Nationalmannschaft
Fabian Rieder ist für die kommende Saison vom französischen Erstligisten Stade Rennes ausgeliehen. Der 22-jährige offensive Mittelfeldspieler bringt reichlich internationale Erfahrung mit: Mit Rennes und Bern spielte Rieder zwölfmal in der Europa League (zwei Tore, zwei Vorlagen). Hinzu kommen sechs Champions-League-Spiele (ein Tor, eine Vorlage) mit dem Schweizer Hauptstadt-Klub. Mit den Eidgenossen war er zudem bei WM 2022 in Katar und bei der EURO 2024 in Deutschland. Bild in Detailansicht öffnen
Schafft Innenverteidiger Ramon Hendriks beim VfB Stuttgart den Sprung in die Bundesliga?
Ramon Hendriks kommt von Feyenoord Rotterdam, war in den vergangenen beiden Spielzeiten jedoch an den FC Utrecht und Vitesse Arnheim ausgeliehen. In der abgelaufenen Saison absolvierte er 31 Spiele für Vitesse. In Utrecht wurde er von einem Kreuzbrandriss ausgebremst. Dennoch traut VfB-Sportdirektor Fabian Wohlgemuth den Innenverteidiger den Sprung in die Bundesliga zu, "gleichzeitig sehen wir bei ihm weiteres Entwicklungspotenzial". Bild in Detailansicht öffnen
Yannik Keitel, Neuzugang des VfB Stuttgart
Yannik Keitel kommt vom SC Freiburg. Er galt dort als Riesentalent und war sogar Kapitän der U21-Nationalmannschaft. Sein aktueller Marktwert beträgt fünf Millionen Euro (laut transfermarkt.de). Dennoch konnte sich der defensive Mittelfeldspieler beim Sport-Club nicht dauerhaft durchsetzen. Das hatte vor allem Verletzungsgründe. Inzwischen ist Yannik Keitel aber topfit: "Ich fühle mich sehr gut, bin auch gut in die Vorbereitung gestartet", sagte er. Bild in Detailansicht öffnen
VfB-Neuzugang Nick Woltemade beim Testspiel gegen Hollenbach
Nick Woltemade kam ablösefrei von Werder Bremen zum VfB Stuttgart. Trainer Sebastian Hoeneß beschreibt ihn als "hochspannenden Spieler" mit einer "unglaublichen Erscheinung". Als Guirassy-Ersatz dürfe man den 1,98 Meter großen Neuzugang aber nicht sehen. "Er ist nicht der klassische Stoßstürmer wie Serhou." Er lasse sich auch mal nach hinten fallen. "Am liebsten spiele ich auf der Zehn", sagt Woltemade. Bild in Detailansicht öffnen
Linksverteidiger Frans Krätzig soll beim VfB Stuttgart reifen.
Frans Krätzig kommt vorerst für ein Jahr vom FC Bayern München zum VfB Stuttgart. Dem Vernehmen nach sicherten sich die Schwaben auch eine Kaufoption. Der 21-Jährige gilt als Spieler mit starker Mentalität, ist dabei auch ausgesprochen flexibel: Linksverteidiger, offensiver Außenbahnspieler, zentraler Mittelfeldspieler. Frans Krätzig ist vielseitig verwendbar. Er gilt als spielintelligent und technisch stark. Ein solider Backup für Linksverteidiger Maximilian Mittelstädt. Bild in Detailansicht öffnen
Offensiv-Talent Justin Diehl soll sich beim VfB Stuttgart entwickeln.
Justin Diehl kommt vom 1. FC Köln und gilt als eines der größten Offensiv-Talente seines Jahrgangs (2004). Mit nur 1,74 Metern Körpergröße ist der 19-Jährige keine furchteinflößende Erscheinung, dafür ist er umso hungriger auf Tore. Diehl hat auch schon erste Bundesliga-Erfahrung; Neunmal lief er für den 1. FC Köln in Deutschlands Elite-Liga auf. In der Rückrunde stoppten den linken Flügelspieler jedoch mehrere Verletzungen. Bild in Detailansicht öffnen
Torwart Stefan Drljaca kam von Dynamo Dresden und hütete im Testspiel gegen den FC Luzern das Tor des VfB Stuttgart.
Torwart Stefan Drljaca kam von Dynamo Dresden. Der 25-Jährige war lange Zeit Stammkeeper der Sachsen, zog sich im Januar jedoch einen Muskelbündelriss zu und war seitdem nicht mehr im Kader. Bei den Schwaben komplettiert er das Torhüter-Quartett um Stammkeeper Alexander Nübel, Stellvertreter Fabian Bredlow und dem talentierten Dennis Seimen, der mit der zweiten Mannschaft des VfB Stuttgart den Aufstieg in die 3. Liga geschafft hat. Bild in Detailansicht öffnen
Neuzugang Ermedin Demirovic im Training des VfB Stuttgart.
Ermedin Demirovic ist der neue Rekord-Transfer des VfB Stuttgart. Der 26-jährige Stürmer kommt für kolportierte 21 Millionen Euro vom FC Augsburg. 33 Spiele, 15 Tore, zehn Vorlagen - die Leistungsdaten aus der abgelaufenen Bundesliga-Saison sind beeindruckend. Er soll den zu Borussia Dortmund abgewanderten Serhou Guirassy ersetzen und entweder im Wechsel oder an der Seite von Deniz Undav für die Schwaben auf Torejagd gehen. Bild in Detailansicht öffnen
Deniz Undav im VfB-Trikot.
Deniz Undav ist eigentlich kein Neuzugang, schließlich war der 27-Jährige vergangene Saison bereits mit 18 Treffern und zehn Vorlagen an der Vizemeisterschaft des VfB Stuttgart beteiligt. Allerdings war Undav von Brighton & Hove Albion lediglich ausgeliehen. Doch nach einen langen Transferpoker gelang es dem VfB Stuttgart den Nationalspieler für kolportierte 27 Millionen Euro bis Juni 2027 an sich zu binden. Bild in Detailansicht öffnen

Waldemar Anton hat sportlich alles richtig gemacht

Da kommt die Logik des Spitzensportlers zum Tragen: Der will das Beste aus sich herausholen und strebt nach dem maximal möglichen Erfolg. Auch nach dieser Logik hat Anton mit seinem Wechsel sehr viel richtig gemacht. Klar, der VfB Stuttgart ist Vizemeister, und Borussia Dortmund ist als Tabellenfünfter gerade so in die Champions League gestolpert. Aber das war im Mai.

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Das hatte sich alle Beteiligten anders vorgestellt. Während seine vermeintlich neuen Dortmunder Kollegen am Donnerstag ins Teamtraining einsteigen, kehrt Serhou Guirassy zurück nach Stuttgart.

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Im Juli hat der VfB Stuttgart Hiroki Ito an den FC Bayern München verloren. Serhou Guirassy wechselt ebenfalls zu Borussia Dortmund. Deniz Undav ist aktuell bei Brighton & Hove Albion unter Vertrag, und bei Nationalspieler Chris Führich ist nicht hundertprozentig klar, ob er nach der EURO 2024 wieder an den Neckar zurückkehrt oder ebenfalls ein höheres Gehalt anstrebt.

Waldemar Anton hat einen Arbeitsvertrag gekündigt

Zwar sind mit Alexander Nübel, Angelo Stiller und allen voran Trainer Sebastian Hoeneß wichtige Stützen der Erfolgssaison geblieben und Sportvorstand Fabian Wohlgemuth scheint solide eingekauft zu haben. Doch angesichts des personellen Ausverkaufs wird sich der Überraschungserfolg des VfB Stuttgart nur schwer wiederholen lassen. Die Chancen Antons, als Nachfolger von Abwehrchef Mats Hummels dauerhaft in der Champions League gegen die Crème de la Crème des europäischen Fußballs anzutreten und sogar mal einen Pokal in Händen zu halten, sind in Dortmund deutlich höher als in Stuttgart - vor allem nach der Transferoffensive des BVB.

Ich nehme es Waldemar Anton ab, dass diese Entwicklung noch nicht absehbar war, als er seinen Vertrag im Winter beim VfB Stuttgart verlängert hatte. Jetzt hat er seine Situation neu bewertet und seinen Arbeitsvertrag gekündigt. It is as easy as that. Denn ein Arbeitsvertrag ist schließlich kein Eheversprechen.

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Das Fan-Herz ist nachtragend

An Antons Stelle würde ich jedoch mal über meine Eigen-PR nachdenken. Denn nach Arbeitnehmer- und nach Spitzensportler-Logik war es eigentlich absehbar, dass all die Liebesschwüre und Treuebekundungen sofort nach hinten losgehen, sobald er ein lukratives Angebot annimmt. Denn das Fan-Herz reagiert bei Liebesentzug immer sehr empfindlich - und es ist nachtragend.

Und wenn sich "Euer Waldi" in einem der ersten Instagram-Posts als Spieler von Borussia Dortmund so sehr freut, "endlich Teil von euch zu sein" und künftig "Siege vor der gelben Wand feiern" zu dürfen, ist der Schmerz der verschmähten VfB-Fans besonders groß. Von daher hat Waldemar Anton nicht alles, aber sehr vieles richtig gemacht.