Ein knapp dem Abstieg entronnener Zweitligist gegen einen ungeschlagenen Deutschen Meister. Eigentlich hat der 1.FC Kaiserslautern gegen Bayer Leverkusen nicht den Hauch einer Chance. Eigentlich...
Sie mögen mich vielleicht für völlig daneben oder gar verrückt erklären, aber ich behaupte: Es gibt genügend Gründe, warum der FCK am Samstagabend den DFB-Pokal in die Pfalz holt.
1. Fußball ist nicht logisch
Nein, den abgedroschenen Satz vom Pokal mit seinen eigenen Gesetzen, den mag ich hier nicht aufführen. In einer Serie von zehn Spielen würde Leverkusen zwar vermutlich gegen den FCK neun Mal gewinnen. Aber in nur einer Partie? Ist für mich alles möglich. Fußball ist keine Wissenschaft und nicht berechenbar, entzieht sich allen Gesetzen der Logik. Zumal in diesem Fall der sogenannte "Kleine" als Zweitligist gegen einen Erstligisten gar nicht so klein ist.
Die Geschichte zeigt, dass gerade K.O-Spiele einfach nicht zu entschlüsseln sind. Wie sonst wären legendäre DFB-Pokal-Triumphe von "Amateur-Zwergen" aus Eppingen, Vestenbergsgreuth oder Weinheim in der Vergangenheit, oder jüngst Saarbrücken gegen die Bayern erklärbar?
2. Überheblichkeit
Wann hat Bayer das letzte Mal in der Bundesliga verloren? So richtig kann sich keiner mehr daran erinnern, auch ich nicht. Irgendwann vor mehr als einem Jahr gegen Bochum war's gewesen. Seither ist die Werkself im nationalen Fußball ungeschlagen, wurde ohne Niederlage Deutscher Meister, stellte neue Rekorde auf, zog ins DFB-Pokalfinale und ins Europa-League-Finale ein.
Und jetzt Kaiserslautern, ein Zweitligist aus den hinteren Reihen? Jedes noch so kleine sportpsychologische Handbuch spricht in diesem Fall von der großen Gefahr der Arroganz und Überheblichkeit beim übermächtigen Favoriten. Auch wenn man es selbst nicht wahrhaben mag, vehement dagegen ankämpft. Während der "Kleine" alles reinwirft, lassen sich beim "Großen" gewisse Nachlässigkeiten im Hinterkopf einfach nicht vertreiben.
SWR Sport | 03.11.2024 SWR Sport mit FCK-Trainer Markus Anfang
Vom Stadion ins Studio: Moderatorin Lea Wagner begrüßt am Sonntag den Trainer des 1. FC Kaiserslautern, Markus Anfang, bei SWR Sport. Los geht es um 21:45 Uhr.
3. Müdigkeit und Enttäuschung
Jetzt ist es also doch passiert. Mittwochabend wurde aus "Neverlosen" doch wieder ein normales Leverkusen. Die erste Pflichtspielniederlage nach unglaublichen 52 Partien, ein ernüchterndes 0:3 im Europa-League-Finale gegen Bergamo. Bayer unsichtbar statt unbesiegbar. Bayer entzaubert?
Die Reise nach Dublin und das Endspiel jedenfalls haben viel Kraft und Konzentration gekostet. Dazu die bittere Enttäuschung der ersten Niederlage seit mehr als einem Jahr zum komplett falschen Zeitpunkt. Mitten in die emotionale Leere der Bayer-Profis geht es jetzt sofort wieder in den Flieger nach Berlin zum nächsten Finale. Wie viele Körner sind noch drin im Leverkusener Tank, oder ist sogar Flasche leer?
4. Lauterns Klassenerhalt
Ganz anders die euphorische Gefühlswelt beim FCK, der sich im Überschwang des Klassenerhalts in der 2. Liga beim 5:0 gegen Braunschweig ohne Druck wunderbar hat warmschießen können, sich die ganze Woche über komplett befreit von allen Ängsten ungestört auf sein Finale vorbereiten kann. Die Lauterer sind topfit in Kopf und Körper, haben nichts zu verlieren, weil kaum einer was erwartet. Im Gegensatz zu Leverkusen. Droht Bayer die zweite, in diesem Fall in Berlin eher peinliche Final-Pleite?
5. Der Funkel-Effekt
Die Älteren unter uns werden sich noch erinnern. An jenen Pokal-Finaltag am 26. Mai 1985. Als der krasse Aussenseiter Bayer Uerdingen in Berlin dem neuen Meister Bayern München um Lothar Matthäus ein Schnippchen schlug und sensationell mit 2:1 gewann. Damals vor 39 Jahren mittendrin: Friedhelm Funkel, Mittelfeldmotor der siegreichen Uerdinger. Ganz sicher wird der Trainer-Altmeister seinen Pfälzer Jungs vom damaligen Coup sals Spieler erzählen, wie man die ganz Großen in einem Finale schlägt. Funkel, inzwischen runde 70 und mit allen Trainer-Wassern gewaschen, hat's erlebt und weiß wie Final-Überraschung geht.
6. Der Pokalsieg 1996
Aber auch der FCK selbst weiß, wie man als krasser Außenseiter ein Pokalfinale gewinnt. Am 25. Mai 1996 war es gewesen, als die Pfälzer, gerade tränenreich aus der Bundesliga abgestiegen, nur eine Woche später dem hochfavorisierten UEFA-Cup-Team des Karlsruher SC um Winnie Schäfer und Icke Häßler im Berliner Olympiastadion einheizten. Der Absteiger Kaiserslautern triumphierte dank Martin Wagners Tor durch die Beine von KSC-Keeper Reitmaier mit 1:0 und holte sich völlig unerwartet den Pott.
Damals im Lautrer Team: Der heutige Geschäftsführer Thomas Hengen. Auch er weiß also, wie es geht. Der unerwartete Pokalsieg war übrigens der Beginn einer einzigartigen Fußball-Geschichte: Kaiserslautern, mit frischem Mut gesegnet, kehrte ein Jahr später unter Otto Rehhagel zurück in die Bundesliga und wurde 1998 als Aufsteiger Deutscher Meister. Sowas gab es nie wieder.
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7. Die "rote Wand"
Nicht nur eine ganze Stadt, ein ganzes Bundesland fiebert mit dem FCK. Und auch die neutralen Fans in Berlin werden sich auf die Seite des Underdogs schlagen, werden dem FCK gegen Leverkusen die Daumen drücken und auf die Sensation hoffen. 50.000 Pfälzer fluten am Samstag die Hauptstadt. Die knapp 25.000 FCK-Fans im Olympiastadion werden die berühmte Betzenberg-Atmosphäre ins Olympiastadion transportieren und das Stadion in ihren Grundfesten erschüttern. Sie werden wie eine "rote Wand" in der Kurve hinter Friedhelm Funkels Jungs stehen. Das sorgt auch auf dem Rasen für einen weiteren Energieschub. Bei allem Respekt vor den Bayer-Fans, die Lautrer werden Leverkusen niederbrüllen.
8. Das Spiel des Lebens
Und sind wir doch mal ehrlich. Wie oft in ihrer Karriere werden die FCK-Spieler wie Jean Zimmer, Marlon Ritter, Kevin Kraus oder Jan Elvedi, alle um oder über 30, noch einmal in einem DFB-Pokalfinale stehen? Die Chance auf den Coup ihres Lebens haben, ganz Deutschland vorspielen dürfen? Wenn wir ehrlich sind, vermutlich nie wieder. Entsprechend werden die Lautrer Routiniers rennen und brennen, ihre jungen Nebenspieler mitziehen und Geschichte schreiben wollen. Mentalität besiegt in den meisten Fällen Talent, sagen die Experten. Auch am Samstag im Berliner Olympiastadion?
Es gibt also genügend gute Gründe für einen zugegeben überraschenden FCK-Pokalsieg. Auf geht's.