Am 27. Mai 2024 rettete Andreas Luthe den VfL Bochum im Elfmeterschießen der Relegation vor dem Abstieg in die 2. Bundesliga. Nach diesem emotionalen Höhepunkt beendete der 37-Jährige seine Profi-Karriere.
Am vergangenen Wochenende stand erneut ein Torwart des VfL Bochum im Fokus. Grund waren die Vorkommnisse beim Spiel Union Berlin gegen den VfL Bochum (1:1). Gegen Ende der Begegnung kam es zum Wurf eines Feuerzeugs aus dem Publikum. Bochums Torwart Patrick Drewes wurde von dem Geschoss am Kopf getroffen und nach medizinischer Behandlung ausgewechselt. Nach einer längeren Spiel-Unterbrechung wurden die letzten Minuten der Partie noch durchgeführt. Ein echtes Spiel kam aber nicht mehr zustande.
SWR Sport: Andreas Luthe, Sie haben die Vorkommnisse von Berlin aus der Distanz beobachtet. Wie blicken Sie als ehemaliger Torwart beider Klubs auf die Geschehnisse und die anschließenden Diskussionen?
Andreas Luthe: Die Situation ist vielschichtig. Man kann sie von vielen Seiten aufrollen. Es geht zum einen darum, dass es in Stadien eigentlich nicht passieren sollte, dass Gegenstände aus dem Publikum geworfen werden. Es geht außerdem darum, wie das Schiedsrichterteam mit der Situation umgegangen ist. Es gab diese Diskussionen beider Teams, die in den Katakomben stattfanden mit der Entscheidung, dann per Nichtangriffspakt weiterzuspielen.
Mir geht es aber um den Menschen Patrick Drewes. Er geriet ja danach etwas in die Kritik wegen seines Umgangs mit der Situation. Ich selbst wurde als Torwart auch schon mit Gegenständen beworfen und kann mich gut in Patrick Drewes hineinversetzen. Es ist nicht fair, im Nachgang von außen den Menschen Drewes zu verurteilen. Es ist eine absolute Ausnahmesituation. Da fliegen Gegenstände, da ist viel Adrenalin im Spiel. Ich hoffe, dass er vor allem mental gut aus dieser Situation herauskommt, dass er Stärke findet und sportlich wieder eingreifen kann.
Wie sind Sie während Ihrer Karriere mit ähnlichen Situationen umgegangen?
Es kann je nach Situation variieren, was da in einem vorgeht. Auch der ruhigste und ausgeglichenste Mensch kann in einer bestimmten Lage aus der Haut fahren. Es gibt Beispiele, wo Spieler aggressiv werden, zu den Fans gehen und schreien. Ich selbst habe immer versucht, eine Distanz zu finden, auch wenn es schwierig war. Ich habe die Feuerzeuge meist hinter die Linie geworfen. Innerlich sah es anders aus, auch wenn ich äußerlich ruhig war. Innerlich brodelte es, weil ich grundsätzlich nicht verstehen kann, wie man dieses Risiko eingehen kann, Menschen zu verletzen. Die Tribünen sind so hoch gebaut, dass bei solchen Wurfgeschossen aus 20 oder 30 Metern die Schwerkraft wirkt. Also, ich hatte kein Verständnis, aber konnte mich meist im Zaum halten.
SWR Sport | 22.12.2024 SWR Sport mit Ex-FCK-Torwart Andreas Luthe und dem "Sporthelden 2024"
Andreas Luthes Blick auf den Fußball und aufs Leben war schon immer geweitet. Wir analysieren mit dem 37-Jährigen das Bundesliga-Finale 2024. Außerdem: Die Ehrung des "SWR Sporthelden".
Nicht nur Patrick Drewes stand zuletzt im Fokus, auch die Nationaltorhüter Oliver Baumann (TSG Hoffenheim) und Alexander Nübel (VfB Stuttgart). Zuletzt patzten beide - Baumann im DFB-Pokal, Nübel in den vergangenen beiden Bundesliga-Spielen. Hat der Druck für beide zugenommen?
Das ist schwierig, von außen zu bewerten. Fakt ist: In solchen Ausnahmesituationen, wenn der Druck wächst und der Kopf eingeschaltet wird, neigen Sportler eher dazu, mal nicht bei 100 Prozent zu sein. Ich denke, es ist ein Anpassungsprozess. Sobald sich der Mensch in einer Ausnahmesituation befindet, erfolgt ein solcher Anpassungsprozess. Dieser kann mal kürzer und mal länger dauern. Profisportler sind grundsätzlich darin trainiert, körperlich und mental das nächste Level zu erreichen, sich schnell anzupassen und damit umzugehen. Baumann und Nübel wollten beide in diese Phase ihrer Karriere kommen. Sie haben ihr Leben lang genau darauf hingearbeitet.
Ihre Zeit als Torwart ist vorbei. Während Ihrer Profikarriere haben Sie verschiedene Studiengänge absolviert und sich auf die Zeit nach dem Sport vorbereitet. Heute verknüpfen Sie als Keynote-Speaker und Coach ihrer Erfahrungen aus dem Profifußball mit den Methoden der Wirtschaftspsychologie. Wie ist Ihnen dieser nahtlose berufliche Übergang gelungen?
Ich habe diesen Prozess längerfristig vorbereitet. Es war ein nahtloser Übergang, da ich während der Endphase meiner Profi-Karriere bereits Projekte außerhalb des Fußballs angenommen habe. Das waren Projekte in den Bereichen, in denen ich jetzt tätig bin.
Sie haben Ihren beruflichen Übergang von langer Hand geplant. Sind Sie damit eine Ausnahme im Profifußball?
Ich sehe in meinem Umfeld tatsächlich ganz viele Spieler, die am Ende ihrer sportlichen Karriere stehen, die aber gedanklich und von der Vorbereitung her auf eine berufliche Alternative noch meilenweit weg sind. Das halte ich für ein großes Problem.
Diese Phase nach der Karriere wird gern verharmlost oder gar ausgeblendet. Es gibt zwar gute Angebote von privaten Coaches oder von der Spielergewerkschaft VdV, aber sie werden kaum genutzt. Das liegt aber vor allem an den Spielerinnen und Spielern selbst.