Depressionen, Alzheimer, Übergewicht

Wie das Mikrobiom unsere Gesundheit beeinflusst

Stand
Autor/in
Dagmar Stoeckle
Onlinefassung
Lena Schmidt

Die Mikroben in unserem Darm entscheiden maßgeblich darüber, ob wir gesund oder krank, schlank oder dick, glücklich oder depressiv sind. Doch die Forschung dazu steht noch am Anfang.

So einzigartig wie ein Fingerabdruck

Sie sind unsichtbar und sie sind viele. Sehr viele. 30 bis 100 Billionen um genau zu sein. Das ist jedenfalls die Durchschnittszahl der Mikroben in unserem Darm. Sie sind für die Zerlegung unserer Nahrung und die Versorgung mit Nährstoffen verantwortlich.

Jeder Mensch hat ein individuelles Mikrobiom - genauso einmalig wie ein Fingerabdruck. Das Mikrobiom bekommt ein Baby schon bei der Geburt durch die Mutter mit. Auch später beim Stillen und Kuscheln mit den Eltern vermehrt sich das Mikrobiom eines Kindes. Es macht rund ein bis zwei Kilo des Körpergewichts aus, wobei sich 99 Prozent aller Mikroben im Darm befinden.

Autorin Dagmar Stoeckle mit Stuhlprobe
Mit der Analyse einer Stuhlprobe kann das eigene Mikrobiom zumindest teilweise entschlüsselt werden.

Mikroben sind der Schlüssel zum Verständnis von Krankheiten

Mediziner und Medizinerinnen gehen davon aus, dass das Mikrobiom Erkrankungen wie Allergien, Asthma, Diabetes mellitus und Fettleibigkeit sowie Depressionen und Autismus beeinflusst. Forschende auf der ganzen Welt versuchen deshalb, dem Mikrobiom seine Geheimnisse zu entlocken.

Mit Hilfe einer aufwendigen Untersuchung im Labor, der so genannten DNA-Sequenzierung, kann man sein Mikrobiom zumindest zum Teil entschlüsseln lassen. Doch im Moment sind diese Untersuchungen noch nicht so aussagekräftig, wie viele Internetanbieter von Selbsttests behaupten. Prof. Nisar Malek von der Universität Tübingen sagt, die Forschung sei noch nicht so weit, als dass sie detaillierte personalisierte Analysen liefern könnte.

Wir sind ganz kurz davor, in ein zwei Jahren kann das schon der Fall sein. Im Moment haben wir erst einen Teil der Mikrobenstämme im Darm identifiziert und wissen noch zu wenig über ihre genaue Funktion. Doch klar ist, dass das Mikrobiom eine essenzielle Bedeutung hat.

Mikroben aus hunderten Stämmen bevölkern unseren Darm
Im Darm leben mehrere Billionen Mikroben.

Undercover: Mikroben schleusen heimlich Informationen ins Gehirn

Forschende der Uni Erlangen haben einen spannenden Mechanismus entdeckt. Bislang ging man davon aus, dass der Darm vor allem über den Vagusnerv mit dem Gehirn kommuniziert. Dieser verbindet das sogenannte enterische Nervensystem in der Darmwand mit den Hirnnerven. Hierbei spielen auch die Mikroben eine zentrale Rolle. Denn sie regen die Produktion von Botenstoffen an, die über den Vagusnerv als Signal an das Gehirn gesendet werden. Dieser Austausch wird auch als Darm-Hirn-Achse bezeichnet.

Doch die Mikroben haben anscheinend noch einen anderen Weg gefunden, um Informationen ins Gehirn zu schleusen. Die Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen um Prof. Claudia Günther entdeckten, dass die Mikroben sogenannte Transportvesikel entwickelt haben. Eine Art Transportblase, die sie mit ihren Informationen füttern und die - geschützt durch die Hülle - über das Blut quasi unerkannt in andere Organe des Körpers gelangen kann. "Das haben die Bakterien sehr clever gemacht", sagt Günther. Sie würden im Darm bleiben, "da wo sie sich wohlfühlen und senden alle Informationen an das Gehirn, ohne dass sie das Sofa verlassen müssen."

Blut-Hirn-Schranke wird überwunden

Damit könnte es sein, dass die Mikroben durch die Vesikel sogar die Blut-Hirn-Schranke überwinden. Diese schützt die empfindlichen Nervenzellen des Hirns vor beispielsweise Krankheitserregern oder Schadstoffen. Und das ist problematisch. Denn es gibt nicht nur gute Bakterien im Darm, sondern auch schlechte Mikroben.

Wenn es hier zu Veränderungen im Mikrobiom kommt, dann kann das auch unser Emotionszentrum im Gehirn beeinflussen. Und damit positiv oder negativ.

Die Forschenden gehen davon aus, dass so auch schädliche Informationen ins Gehirn gelangen und dort Krankheiten wie Alzheimer, Multiple Sklerose oder Parkinson auslösen. Je schlechter ein Mikrobiom aufgestellt ist, desto mehr dieser Transportbläschen können tatsächlich in die Blutzirkulation gelangen, dann ins Gehirn und dort letztendlich krank machen. Deswegen sollte man sein Mikrobiom pflegen und für eine gute Balance sorgen, damit immer genug hilfreiche Mikroben im Darm vorhanden sind.

Emulgatoren und Zusatzstoffe in der Nahrung schädigen unser Mikrobiom

Dazu ist es auch wichtig, die Darmschleimhaut zu schützen. Unser Darm ist vom Rest des Körpers abgeschottet durch die Darmwand. Die wiederum ist ausgekleidet mit dem Mukus, der Darmschleimhaut. In unserem Magen-Darm-Trakt leben Mikroben, die die Schleimbildung anregen, und solche, die Schleim abbauen oder durch einen erhöhten pH-Wert verflüssigen. Dazu kommen schädliche Erreger wie z. B. Durchfallkeime. Auch Stress und Medikamente wie Antibiotika oder Aspirin beschädigen die Darmschleimhaut.

Doch immer mehr rücken Emulgatoren und Zusatzstoffe in unserer Nahrung in den Fokus. Emulgatoren sind Zusatzstoffe in Lebensmitteln, die beispielsweise Joghurt cremig und Supermarktbrot länger haltbar machen, Fertigkuchen lange feucht halten. In Mausversuchen konnte nachgewiesen werden, dass Emulgatoren aus menschlicher Nahrung die Darmschleimhaut der Mäuse deutlich schädigten. Die Schutzbarriere wurde durchlässig für schädliche Keime.

Dr. Benoit Chassaing vom Institut Cochin der Universität Paris erforscht seit Jahren die schädliche Wirkung von Emulgatoren:

Emulgatoren sind nicht grundsätzlich schlecht. Aber sie werden viel zu viel und unkontrolliert verwendet. Außerdem gibt es schädliche, wie Carrageen oder Xanthan. Wir gehen davon aus, dass künstliche Emulgatoren weltweit chronisch entzündliche Darmerkrankungen sowie das metabolische Syndrom, also Fettsucht – fördern. Mittlerweile ist unsere Forschung so weit, dass wir die Ergebnisse aus den Mausversuchen auf den Menschen übertragen können.

Ein schlechtes Mikrobiom macht die Darmwand durchlässig für Keime
Emulgatoren wie Carrageen oder Xanthan schädigen unser Mikrobiom.

Gesundes Essen für die Mikroben und uns

Ernährungsmedizinerin Dr. Viola Andresen ist bekannt aus der Sendung Die Ernährungsdocs. Für eine Mikrobiom freundliche Ernährung empfiehlt sie möglichst viele Ballaststoffe. Die sind besonders häufig in Gemüse enthalten. Andresen rät: "Als Faustregel sollte man sich pro Woche den Verzehr von 25 verschiedenen Gemüse- und Obstsorten vornehmen, wobei der Fokus auf dem Gemüse liegen sollte".

Drei Tipps für eine Ernährung, die hilfreiche Mikroben unterstützt:

  1. Kartoffeln und Reis sollte man nach dem Kochen 24 Stunden abkühlen lassen, damit sich resistente Stärke bilden kann – ebenfalls ein Ballaststoff.
  2. Grüne Bananen enthalten deutlich mehr resistente Stärke als gelbe.
  3. Fermentierte Lebensmittel wie Kefir, Naturjoghurt, aber auch das klassische Sauerkraut und Kimchi nach koreanischer Art sind sehr wichtig fürs Mikrobiom.

Und die Don'ts: Alkohol, Rauchen, Zucker, Weißmehl und zu viel rotes Fleisch.

Fermentierte Lebensmittel sind gut fürs Mikrobiom
Fermentation – eine alte Technik für gesunde Lebensmittel.

Linktipp:

Artikel über die Erforschung des Mikrobioms, Mit-Autorin ist unsere Expertin Dr. Viola Andresen

Lesetipp:

Schnelles Grünzeug – Fermentiertes Gemüse in der Alltagsküche

Autor: Olaf Schnelle

Verlagsangaben: Dumont Verlag, Köln 2023, ISBN 978-3-8321-6924-1

190 Seiten, 28,- Euro

Mehr zum Thema Darmgesundheit:

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