Entzündliche Darmerkrankungen werden durch Stress beeinflusst
Vor gut 2.500 Jahren schrieb Hippokrates den Satz: „Der Darm ist der Vater aller Trübsal.“ Heute wissen Forschende, dass es durchaus auch umgekehrt ist. Das Trübsal, hier gleichgesetzt mit Stress, kann einen immensen Einfluss auf die Darmgesundheit haben. So vor allem bei Menschen, die an entzündlichen Darmerkrankungen wie Morbus Crohn und Colitis ulcerosa leiden.
In Deutschland leiden mehr als 320.000 Menschen an solchen chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen (CED). Tendenz steigend. Typische Symptome: Schubweise heftige Bauchkrämpfe, Durchfall und Fieber. Bei manchen Menschen verläuft die Krankheit mild, bei anderen so stark, dass sie sogar lebensbedrohlich sein kann.
Bei der Behandlung werden psychische Faktoren oft vernachlässigt
Haben Betroffene einen Entzündungsschub, gibt es zwei Herangehensweisen. Das Mittel der Wahl sind Glukokortikoide, besser bekannt als Kortison. Das Kortison mildert die akute Entzündung ab. Sprechen die Betroffenen nicht mehr auf Kortison an, bekommen sie so genannte Biologika. Das sind Antikörper - auch sie sollen den Entzündungsprozess stoppen.
Ein Aspekt wurde allerdings lange außer Acht gelassen, sagt Professor Christoph Thaiss, Mikrobiologe an der University of Pennsylvania in Philadelphia. Ihm und Kollegen war bei Untersuchungen immer wieder aufgefallen, dass bei Patientinnen oder Patientinnen, die über stressige Lebensumstände berichtet haben, wie beispielsweise die Trennung vom Partner oder einem Todesfall in der Familie, deutlich stärkere Entzündungsparameter des Darmes zu sehen waren.
Gehirn sendet bei Stress Signale an die Nebennieren
Diese Rückmeldung haben Thaiss und sein Team zum Anlass genommen, hier weiter zu forschen. Wie wirkt sich der mentale Status und der Faktor Stress auf Darmerkrankungen aus? Zunächst hat sich das Forscherteam angeschaut, was passiert, wenn dem Gehirn Stress signalisiert wird. In Tierversuchen mit Mäusen fanden die Forschenden heraus, dass das Gehirn nach einer Stresswelle Signale an die Nebennieren sendet. Die Nebenniere schüttet selbst köpereigenes Glukokortikoid, also Kortison, aus. Das wirkt zunächst schmerzstillend und entzündungshemmend, in der Medizin anti-inflammatorisch genannt.
Chronischer Stress kann Wirkung von Medikamenten beinflussen
Überraschend war für die Forschenden die Beobachtung, dass der entzündungsverstärkende Effekt über die Glukokortikoid-Hormone vermittelt wird. Eigentlich sind diese Glukokortikoide nämlich anti-inflammatorisch, also entzündungshemmend. Das sei eigentlich ein großes Paradox.
Bei chronischem Stress kehrt sich das System also offensichtlich um. Die Entzündung im Darm verstärkt sich, wenn zusätzlich Kortison als Medikament gegeben wird, während der Körper eigenes Kortison produziert.
Schnittstelle leitet Stresshormone an die Immunzellen weiter
Die Forschenden gingen zunächst davon aus, dass Kortison direkt auf die Immunzellen einwirkt. Es stellte sich jedoch heraus, dass es eine Art Schnittstelle gibt, die die Stresshormone an die Immunantwort weiterleitet: sogenannte (enterische) Gliazellen. Denn: Es gibt im Darm ein eigenes Nervensystem. Er ist das einzige Organ außerhalb vom Gehirn, das ein eigenes Nervensystem hat. Darin gibt es Neuronen und Gliazellen, die in der Darmwand sitzen und die normalerweise dazu beitragen, dass die Bewegungsfähigkeit des Darms gut funktioniert.
Stress beeinfusst Muskelregulation des Darms
Das heißt, das Essen und der Stuhl bewegen sich normal durch den Darm. Die Forscher fanden heraus, dass diese Gliazellen und die Neuronen im Darm die Stressmoleküle sehen, darauf reagieren und daraufhin die Immunantwort im Darm verändern können. Wenn die Zellen über längere Zeit in der Umgebung merken, dass dort Stress, also Glukortikoid-Hormone „im Darm sitzen“, beginnen sie, entzündliche Moleküle zu produzieren.
Diese aktivieren dann Immunzellen im Darm. Dadurch wird die Reaktion der Darmentzündung verschlimmert. Und auf der anderen Seite reagieren auch die Neurone im Darm auf die Glukortikoide und verlieren ihre Funktion der Muskelregulation. Das Essen verbleibt länger im Darm. Diese zwei Phänomene tragen dazu bei, dass sich die Darmerkrankung verschlimmert.
Walking, Yoga und Meditation können beim Stressabbau unterstützen
Die Forschenden sehen nun zwei Möglichkeiten, Patientinnen und Patienten mit chronischen Darmerkrankungen künftig besser helfen zu können. Christoph Thaiss von der University of Pennsylvania hält Stressreduktions-Strategien für sinnvoll. Das soll eine Verschlimmerung der Entzündung verhindern. Und die zweite Frage ist, ob diese Gliazellen die in der Studie als wichtiger Faktor identifiziert wurden, auch therapeutisch nutzbar sind.
Solange diese Frage noch nicht geklärt ist, empfehlen Expertinnen und Experten, Stress zu reduzieren! Dazu gehört ausreichend Schlaf und regelmäßiger Sport - etwa dreimal wöchentlich 30 Minuten Walken. Auch Entspannungsübungen wie Yoga, Meditation oder autogenes Training können den Stressabbau unterstützen.