Gesundheitsforschung

Wie Stress das Essverhalten beeinflusst

Stand
Autor/in
Constantia Bernhardt

Heißhunger auf Süßes und Fettiges – besonders Stress kann Gelüste nach ungesundem Essen verstärken. Eine neue Studie zeigt, wieso das so ist: Durch chronischen Stress wird im Gehirn die "Essbremse" blockiert.

Ob im beruflichen oder im privaten Bereich – Stressfaktoren sind vielfältig und lassen sich überall finden. Bei einigen Menschen gehört chronischer Stress sogar zum Alltag. Dabei kann Stress auf Dauer ernsthafte Erkrankungen zur Folge haben: Magen-Darm-Beschwerden, Hautausschläge, Herz-Kreislauf-Erkrankungen bis hin zu Burnout oder Depression.

Sogar die Knochenheilung bei einem Bruch kann Stress verzögern. Eine weitere Folge von Stress ist ein ungesundes Essverhalten. Während manche kein Hungergefühl mehr haben, entwickeln andere Personen Heißhunger auf Süßes und Fettiges und essen mehr, als für ein Sättigungsgefühl nötig wäre.  

Welche Rolle das Gehirn spielt 

Forschende des Garvan Institute of Medical Research in Sydney haben sich gefragt, wie sich Stress auf das Essverhalten auswirkt. Hierfür untersuchten sie in einer Studie, wie chronischer Stress das Fressverhalten bei Mäusen beeinflusst und welche Vorgänge dabei in ihren Gehirnen gestört werden. Die Studie veröffentlichten sie im Fachmagazin Neuron. Das Ergebnis zeigt: Bei Stress bleibt ein Stoppsignal aus einem bestimmten Hirnareal im Zwischenhirn, die sogenannte laterale Habenula, aus. 

Stress am Arbeitsplatz kann ein Auslöser für ein ungesundes Essverhalten sein.
Stress am Arbeitsplatz kann ein Auslöser für ein ungesundes Essverhalten sein.

Experiment mit Mäusen 

Für ihre Studie verglichen die Forschenden das Fressverhalten bei ungestressten und bei gestressten Mäusen. Als Stressfaktor wurden die Mäuse jeden zweiten Tag eine Stunde lang in einen Käfig mit kaltem Wasser statt Streu gesetzt. Die Nagetiere erhielten beliebig viel normales oder hochkalorisches Futter. Dabei zeigte sich, dass die gestressten Mäuse deutlich mehr von dem fettreichen Futter fraßen als ihre ungestressten Artgenossen.

Die Folge war eine doppelt so starke Gewichtszunahme bei gestressten Mäusen. Ähnliches zeigte sich auch in einem zweiten Test, in dem die Tiere zusätzlich zur fettreichen Kost auch unbegrenzt gesüßtes Wasser statt des normalen Wassers zu sich nehmen konnten. Auch dabei führte Stress zu erhöhtem Konsum. 

Bekamen die gestressten Mäuse nur normales Futter, verstärkte sich ihr Appetit weniger. Das deutet darauf hin, dass Stress nicht nur den Hunger verstärkt, sondern spezifisch die Lust auf süße, gehaltvolle Nahrung. Ein ähnliches Verhalten lässt sich bei gestressten Menschen beobachten. 

Botenstoff im Gehirn für Hunger verantwortlich 

Die laterale Habenula bildet eine schmale Verbindung zwischen dem Thalamus und der Zirbeldrüse. Sie ist daran beteiligt, das Belohnungssystem zu dämpfen und so vor einem Überessen zu bewahren. "Fettreiche, süße Nahrung ist sehr schmackhaft, wenn man die auf die Zunge bekommt", erklärt Endokrinologe Christian Kasperk. "Das wird vom Gehirn als Belohnung bei Mäusen wie bei Menschen empfunden, und das wird gehemmt durch die Aktivität der lateralen Habenula durch die Sekretion vom Neuropeptid Y." 

Querschnitt des Gehirns
Die laterale Habenula ist daran beteiligt, das Belohnungssystem zu dämpfen. Sie bildet eine schmale Verbindung zwischen dem Thalamus und der Zirbeldrüse.

Nähere Analysen ergaben, dass der Ausfall des natürlichen Stoppsignals eng mit der Ausschüttung des Neuropeptids Y im Gehirn zusammenhängt – einem chemischen Botenstoff, der bei Stress von der Amygdala produziert wird. Die Amygdala ist eine Gehirnstruktur, die bei emotionalen Prozessen eine wichtige Rolle spielt. Dockt dieser Botenstoff an der lateralen Habenula an, hemmt dies ihre Aktivität. Bei den gestressten Mäusen blieb das dämpfende Signal aus und die vom Belohnungssystem angefachte Lust auf Befriedigung des Süß- und Fetthungers erhalten. Die gestressten Mäuse fraßen weiter und reagierten nicht mehr auf die regulatorischen Sättigungssignale.  

Stress greift in die Regulation ein 

Die Ergebnisse der Studie zeigen, dass Stress einen großen Einfluss auf die Regulation von Hormonen und Botenstoffen des Gehirns hat. "Der Hypothalamus ist nun mal die zentrale Verarbeitungsstelle für Emotionen jedweder Art und alles, was unser Hormonkostüm anbetrifft, wird im Endeffekt vom Hypothalamus reguliert und damit unweigerlich beeinflusst", führt der Mediziner Kasperk aus. "Ein Ansturm von Emotionen oder Stress in den Hypothalamus bedeutet eine fundamentale Modulation des Endokriniums, und davon sind eigentlich alle hormonellen Systeme gleich betroffen."

Das Studienergebnis deckt sich mit bisherigen Forschungsergebnissen. "Die Studie passt wunderbar in das bisherige Verständnis über die Rolle von Stress, Lebensführung, und Veränderungen von Fett-, Energie- und Zellstoffwechsel allgemein", stellt Kasperk fest. "Insofern ist diese Arbeit ein wichtiger Beitrag, so dass man noch besser versteht, wie die Befindlichkeit die neuronale Verschaltung beeinflusst und damit auch den Energiestoffwechsel, sprich den Zucker- und Fettstoffwechsel."

Bei Stress ist der Heißhunger auf süßes oder fettiges Essen besonders groß.
Bei Stress ist der Heißhunger auf süßes oder fettiges Essen besonders groß.

Warum Energie in Stresssituationen nötig ist 

In Stresssituationen muss der menschliche Körper seine Energiereserven mobilisieren, um reagieren zu können. Bei dieser Mobilisierung von Kräften werden die beiden Stresshormone Cortisol und Adrenalin ausgeschüttet. Cortisol stimuliert auch die Nahrungsaufnahme. Aus diesem Grund kann bei Stress ein erhöhtes Hungergefühl entstehen. Viele Menschen haben unter Belastung Appetit nach kohlenhydratreichen Lebensmitteln, die der Körper schnell in Energie umwandeln kann. Dieser Mechanismus funktioniert schon seit Jahrtausenden und half Menschen damals in einer Gefahrensituation, sich zu verteidigen oder schnell wegzulaufen. „Die Zufuhr von hochenergetischen Nahrungsmitteln in kurzzeitig einsetzenden Stresssituationen ist positiv, zum Beispiel vor irgendwelchen Verteidigungsaktivitäten“, führt Kasperk aus. „Aber bei chronischem Stress verwandelt sich die fehlende Hemmung des Appetits und die Bevorzugung hochkalorischer Nahrung in eine chronisch inadäquate Energiezufuhr, in eine Mast.“ 

Aktivierung des Belohnungszentrums 

Außerdem erhöht das schmackhafte, hochkalorische Essen die Dopaminfreisetzung. Dopamin ist ein Nervenbotenstoff. Im Gehirn vermittelt er bei der Kommunikation mit Nervenzellen positive Gefühlserlebnisse, sodass es einen Belohnungseffekt auslöst. Dopamin gilt als Glückshormon, das eine längerfristige Motivationssteigerung und Antriebsförderung bewirkt.

Das ist ein weiterer Grund, warum gestresste Menschen gerne zu ungesunden Snacks greifen. Es macht im Allgemeinen durch die erhöhte Dopaminausschüttung glücklich. Ein weiterer Grund für Stressessen ist, dass unter Stress leidende Personen die süßen oder fettigen Snacks oft als Trost oder Ausgleich empfinden und sich damit belohnen wollen. „Diese Belohnung über Essen und Trinken, die gönnt man sich natürlich, wenn man in einer Problemsituation ist“, findet Kasperk. 

Die betroffenen Personen haben bei Anspannung häufig selbst dann Appetit, wenn ihr Körper gar keine Nahrung benötigt. Der Grund dafür ist, dass bei einer dauerhaften Einnahme von zu viel Süßem und Fetthaltigem, die Konzentration der beiden die Nahrungsaufnahme zügelnden Hormone Leptin und Insulin nicht mehr richtig wahrgenommen wird.

 

Mit fehlendem Sättigungsgefühl und Heißhunger essen viele gestresste Personen mehr als nötig.
Mit fehlendem Sättigungsgefühl und Heißhunger essen viele gestresste Personen mehr als nötig.

Ein Teufelskreis aus Heißhunger und Stress 

Vor allem bei langanhaltendem Stress führt das Stressessen zu Übergewicht, denn der Körper speichert überschüssige Energie in Fettdepots. Außerdem ist diese Form der Stressbewältigung oft ein Teufelskreis: Weil dem Körper durch die unausgewogene Ernährung wichtige Mineralstoffe und Vitamine fehlen, neigen gestresste Personen zu Heißhungerattacken. Diese wiederum führen zu noch mehr Übergewicht und weiterem Stress. „Das ist ein Aspekt, der häufig nicht wirklich beachtet wird“, meint der Hochschullehrer an der medizinischen Fakultät der Universität Heidelberg. „Die Behandlung der Depressionen geht häufig mit einer Gewichtszunahme einher, was die Depression wieder verstärkt.“ Außerdem können langfristig Stoffwechselerkrankungen entstehen. Die dauerhafte Cortisolausschüttung schränkt die Insulinwirkung ein, was das Risiko für Diabetes erhöhen kann. 

Was gegen die Lust auf Snacks helfen kann 

Der Stoffwechselexperte empfiehlt bei Stress, dessen Ursachen zu identifizieren und zu vermeiden. „Stress ist ein generelles Phänomen. Und wir müssen trotzdem versuchen die Lebensführung so zu gestalten, dass wir nicht in Depressionen verfallen“, sagt Kasperk. Das Wichtigste sei ein normaler Lebensrhythmus. „Die Stressreduktion, ein normaler Schlafrhythmus auch das reguliert viele Hormonsysteme“, erklärt er. Außerdem sei sicherzustellen, dass die Hormonfunktionen beziehungsweise die Hormonsysteme normal funktionieren.  

Ungesundes Essen bei Stress kann zu einer Gewichtszunahme führen.
Stressbedingter Heißhunger auf Süßes und Fettiges kann auf Dauer zu einer Gewichtszunahme führen.

„Dann kann man versuchen, sich mit den üblichen Tricks abzulenken“, meint er weiter.  „Man kann versuchen, auf niederkalorische Dinge umzustellen oder den Kühlschrank nicht voll zu haben, sodass man nicht in Versuchung kommt, sich diesem Belohnungsstreben des Gehirns zu beugen und dem nachzugehen.“ Geregeltes Essen, sich auf wenige Mahlzeiten konzentrieren und die permanente Verfügbarkeit von Nahrung, also beispielsweise Snacks, am Arbeitsplatz und in den Komfortzonen verhindern, könne ebenfalls helfen, so der Endokrinologe.

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Constantia Bernhardt