Jedes Jahr im Herbst geht es los: Zwischen Oktober und März häufen sich die hustenden Kinder in den Kinderarztpraxen und -kliniken, die sich mit dem Respiratorischen Synzytial-Virus (RSV) infiziert haben. Bis zum Ende des zweiten Lebensjahrs erwischt es laut Robert Koch-Institut fast jedes Kind, die meisten schon als Baby.
Und gerade bei den ganz Kleinen kann es gefährlich werden: In Deutschland müssen jedes Jahr etwa 25.000 Säuglinge im Krankenhaus wegen einer RSV-Infektion behandelt werden - bei Kindern über zwei Jahren und Erwachsenen ist das nur sehr selten der Fall. Erst im höheren Alter steigt das Risiko wieder deutlich an.
RS-Virus-Welle bringt Gesundheitssystem an die Grenze
"Sowohl in der Kinderarztpraxis als auch in der Kinderklinik ist die jährliche RSV-Saison eine riesige Herausforderung", sagt Johannes Liese, Leiter der pädiatrischen Infektiologie und Immunologie am Universitätsklinikum Würzburg. "Während der starken Infektionswelle kommt das Gesundheitssystem tatsächlich zum Teil an die Grenze der Belastung."
Vor allem in den zwei Wintern nach der Pandemie sei das Infektionsgeschehen so groß gewesen, dass nicht alle Kinder in den Kinderkliniken aufgenommen werden konnten, die man hätte behandeln müssen.
Eine Therapie, die speziell gegen dieses Virus wirkt, gibt es nicht. Bisher bekamen nur besonders gefährdete Kinder eine passive Immunisierung. Das heißt: Frühgeborene oder Babys mit einer Herz- oder Lungenerkrankung erhielten einen Antikörper mit dem Namen "Palivizumab". Der kann das Virus erkennen und unschädlich machen.
Das Problem: Dieser Antikörper hält nicht lange, die Kinder mussten jeden Monat neu immunisiert werden - den ganzen Winter lang, bis die RSV-Saison vorbei war. Für alle Neugeborenen eines Jahrgangs wäre das kaum umsetzbar.
Schutzwirkung von sechs Monaten durch Antikörper
Seit vergangenem Jahr gibt es jedoch einen weiteren Antikörper auf dem Markt: "Nirsevimab". Der erkennt ebenfalls Strukturen auf der Membran des RS-Virus. Sein großer Vorteil: Er ist deutlich stabiler, eine einzige Gabe im Herbst reicht für die ganze Saison.
"In den Studien konnte gezeigt werden, dass über den Zeitraum von sechs Monaten eine Schutzwirkung von ungefähr 75 Prozent besteht", sagt der pädiatrische Infektiologe Liese.
Außerdem könne man auf die Daten aus Spanien, Frankreich und den USA zurückgreifen, die bereits im vergangenen Jahr begonnen haben, Nirsevimab zu verabreichen. Liese: "Das sind die überzeugendsten Daten, die wir haben. Denn sie zeigen, dass tatsächlich diese Wirksamkeiten aufgetreten sind." Die schweren Erkrankungen in den ersten Lebensjahren seien in den Ländern mit breiten Impfprogrammen um 70 bis 80 Prozent zurückgegangen. Außerdem sei der Preis pro Immunisierung seit dem vergangenen Herbst deutlich gesunken.
Auch habe sich gezeigt, dass die Behandlung sehr sicher sei: Man habe kaum schwerere Nebenwirkungen gefunden, so die Ständige Impfkommission (STIKO). In den meisten Fällen beschränkten sich diese auf eine Schwellung und Rötung der Einstichstelle.
Empfehlung der STIKO: Immunisierung für alle Neugeborenen und Säuglinge
Nach der Analyse der vorhandenen Daten habe sich die STIKO jetzt entschieden, eine neue Empfehlung herauszugeben, erklärt Julia Tabatabai vom Universitätsklinikum Heidelberg. Sie ist seit diesem Jahr Mitglied der STIKO. Die neue Empfehlung wurde jetzt im Epidemiologischen Bulletin veröffentlicht.
Demnach sollen alle Säuglinge vor oder in ihrer ersten RSV-Saison gegen das Virus immunisiert werden. "Das Ziel ist es, Säuglinge und Neugeborene vor schweren Atemwegserkrankungen zu schützen. Das kann auch dazu beitragen, stationäre und ambulante Versorgungsengpässe im Winter zu vermeiden", so Tabatabai.
Kinder, die zwischen April und September geboren wurden, sollen den Antikörper Nirsevimab im Herbst vor Beginn ihrer ersten RSV-Saison erhalten. Kinder, die während der Saison zur Welt kommen, sollen möglichst bald immunisiert werden. "Das könnte vor der Entlassung aus der Geburtseinrichtung sein. Dazu bietet sich die Vorsorgeuntersuchung U2 am dritten bis zehnten Lebenstag an, die sehr häufig noch in den Einrichtungen stattfindet", erklärt die Kinderärztin Tabatabai von der Uniklinik Heidelberg.
Passive Immunisierung: Wirkt sofort, hält nicht lang
Die Empfehlung gilt für alle Kinder, unabhängig davon, ob sie zu einer Risikogruppe gehören oder nicht.
Denn zwar würden die 3,5 Prozent der neugeborenen Kinder, die besondere Risikofaktoren aufweisen, 20 Prozent der RSV-Fälle stellen, die im Krankenhaus behandelt werden müssen. "Aber da bleiben 80 Prozent der Kinder mit schweren Infektionen, die zuvor eigentlich gesund sind. Und damit sind sie mengenmäßig der größere Anteil der Kinder, den wir in den Kinderkliniken sehen und behandeln“, so STIKO-Mitglied Tabatabai.
Damit empfiehlt die STIKO das erste Mal eine sogenannte passive Immunisierung für alle Neugeborenen in Deutschland. Passive Immunisierung heißt: Der Körper baut keine eigenen Immunschutz auf, wenn die gegebenen Antikörper verschwinden, verschwindet auch der Schutz. Eine aktive Impfung kann länger, zum Teil ein Leben lang schützen. Jedoch dauert es eine gewisse Zeit, bis der Körper diese Immunität nach der Impfung aufgebaut hat.
Eine passive Impfung hält zwar nicht so lange, jedoch wirkt sie direkt ab dem Zeitpunkt der Injektion. Da die Gefahr schwer an RSV zu erkranken für die ganz kleinen Kinder besonders hoch ist, könnte dies ein Vorteil sein.