Umwelteinflüsse haben einen Ausfluss auf unsere Gene. Wie tief dringen die Einflüsse von außen in unsere Gene ein, wie sehr verändern sie hier Informationen? Genau das ist bislang schwer zu messen. Eine Forschungsgruppe aus Berlin um die deutsch-amerikanische Forscherin Laurel Raffington will das ändern.
Epigenetik erforscht den Einfluss äußerer Faktoren wie Ernährung oder Stress auf unsere Gene
Wie wir aufwachsen, die Luftqualität, die Ernährung, der Stress in der Familie - das alles hat einen Effekt auf unsere Gene, auf die menschliche Entwicklung. Raffington zeigt in ihrer aktuellen Studie, dass besonders Kinder aus sozial benachteiligten Familien von diesen Auswirkungen auf die Gene betroffen sind, weil sie in der Regel unter schwierigeren Bedingungen heranwachsen:
Epigenetische Profile ermöglichen Prognosen über Gesundheit im Erwachsenenalter
Raffington leitet seit 2022 die Forschungsgruppe mit dem besonderen Namen "Biosozial | Biologie, soziale Unterschiede und Entwicklung" am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung in Berlin. Sie fand in ihrer aktuellen Studie Hinweise darauf, dass man soziale Ungleichheit in den Genen sehen kann - mit Hilfe sogenannter epigenetischer Profile.
Diese fallen laut Raffington bei Kindern aus sozial benachteiligten Familien "schlechter" aus. Im Grunde, sagt Raffington, könne man aus diesen Profilen bereits eine Art Vorhersage über den Gesundheitszustand der Kinder im Erwachsenenalter machen, weil sie beispielsweise ein höheres Risiko haben, dick zu werden:
Äußere Faktoren beeinflussen, wie Gene abgelesen werden
Zu erklären, was epigenetische Profile eigentlich sind, wird schnell kompliziert. Auch weil bei dieser Methode spezielle Algorithmen verwendet und Ergebnisse aus anderen Studien herangezogen werden. Kurz zusammengefasst kann man sagen: Raffington sammelte gemeinsam mit anderen Forschenden Speichelproben von mehr als 3.200 Kindern und Jugendlichen im Alter von acht bis 18 Jahren und erstellte daraus pro Kind ein epigenetisches Profil.
Theoretisch könne man aus diesen Profilen der Kinder bereits eine Art Vorhersage machen über deren Gesundheitsrisiken im Erwachsenenalter, was empirisch aber noch nicht untersucht wurde.
Die Epigenetik liefert im Grunde wichtige Informationen, die den Aktivitätszustand von Genen bestimmen, also Veränderungen an der DNA beschreiben. Es geht darum, welche Gene abgelesen werden und welche nicht. Ob die Zelle zum Beispiel eine Haut- oder eine Nervenzelle wird.
Äußere Einflüsse wie Stress, Krankheit oder Ernährung können Einfluss auf das epigenetische Programm der Zellen nehmen. Rauchen verändert beispielsweise das Epigenom von Lungenzellen, Gene können so krankheitstreibende Eigenschaften bekommen:
Disposition für Fettleibigkeit steckt schon in den kindlichen Genen
Raffington schaute sich für ihre Studie aber nicht einzelne Gene an, sondern das gesamte Genom der Kinder, da Umwelteinflüsse in der Regel immer mehrere Gene betreffen und Effekte so besser sichtbar gemacht werden können. Und sie nutzte zur Auswertung ihrer Daten Informationen aus anderen Forschungsarbeiten mit dem Ergebnis:
Die Kinder weisen bereits jetzt schon epigenetische Profile auf, die in früheren Studien bei Erwachsenen mit einem schlechteren Gesundheitszustand in Verbindung stehen. Zum Beispiel hatten diese Erwachsenen ein höheres Risiko fettleibig zu werden oder schneller zu altern. Diese Veränderungen in den Genen kann man, so Raffington, also bereits als Kind "sehen".
Das ist also die Theorie des langen Atems der Kindheit, dass das, was in der Kindheit, in der frühkindlichen Entwicklung, der Jugend passiert, langfristige Effekte auf die Gesundheit hat - viel später im Leben.
Frühzeitige Intervention zur Verhinderung späterer Krankheiten notwendig
Eine Schlussfolgerung dieser Arbeit sei, so Raffington, dass eine Intervention zur Verbesserung der Gesundheit und Langlebigkeit möglicherweise schon Jahrzehnte vor dem Beginn altersbedingter Krankheiten geplant werden müsse.
Das ist die gute Nachricht dieser Forschung: Man kann und sollte etwas tun, kann ein epigenetisches Profil verändern, es ist nicht auf immer festgelegt trotz vielleicht schwierigerer Startbedingungen. Vieles ist hier aber noch unerforscht.
Wie groß diese Effekte später im Leben im Vergleich zu frühkindlichen Erfahrungen seien, ist nach Einschätzung der Genforscherin noch nicht ganz klar. Also, wie viel man am Ende noch positiv verändern oder kompensieren kann, wenn man zum Beispiel erst als Erwachsener beginnt, sich gesünder zu ernähren oder sich mehr zu bewegen.
20 Jahre länger leben mit gesundem Lebensstil
In einer sogenannten Interventionsstudie in den USA wird die Entwicklungspsychologin Raffington nun weiter untersuchen, inwiefern diese epigenetischen Profile, die Genaktivität, beeinflussbar sind. Hierfür werden an Mütter, die an oder nahe der Armutsgrenze leben, sechs Jahre lang Geldgeschenke ausgeteilt, um bestimmte Stressfaktoren zu minimieren - in der Hoffnung, dass es sich positiv auf die epigenetischen Profile der Kinder auswirkt.
Denn das ist Raffingtons großes Forschungsziel, dass sich aus ihrer Arbeit auch sozialpolitische Maßnahmen ergeben und sie so zu einer besseren Entwicklung von Kindern und Jugendlichen beitragen kann.