Geburtsmedizin

So entdeckten Forschende die Ursache von Übelkeit in der Schwangerschaft

Stand
Autor/in
Nina Kunze
Nina Kunze ist Reporterin und Redakteurin bei SWR Wissen aktuell
Onlinefassung
Elisabeth Theodoropoulos

Schwangerschaftsübelkeit ist meist lästig, aber meistens harmlos. Doch bei etwa einem Prozent der Frauen kann sie bis ins Krankenhaus führen. Eine neue Studie macht Hoffnung.

Heißhungerattacken und morgendliche Übelkeit – das sind zwei typische Symptome, die Schwangeren nachgesagt werden. Die Übelkeit ist bei den meisten Schwangeren zwar lästig, aber harmlos und legt sich nach den ersten Wochen wieder.

Doch bei etwa einer von 100 Schwangeren bleibt die Übelkeit über längere Zeit bestehen und ist dabei so schlimm, dass die Betroffenen kaum Nahrung zu sich nehmen können. Ein prominentes Beispiel ist die britische Herzogin Kate, die während ihrer Schwangerschaften sogar ins Krankenhaus musste.

Betroffene werden oft nicht ernst genommen

Über die Gründe für die extreme Übelkeit und wie man sie verhindern kann war bislang kaum etwas bekannt – doch eine neue Studie macht Betroffenen jetzt Hoffnung.

Bei mir war es so, dass ich ziemlich von Anfang der Schwangerschaft an eine ganz starke Übelkeit hatte und mich viele Male pro Tag erbrechen musste, und das wurde auch nicht besser. Das heißt, ich habe bis in den fünften Monat, bis ich ein Medikament bekommen habe, abgenommen. Ich war total dehydriert, ich war ganz schwach. Ich konnte kaum arbeiten, ich konnte kaum aufstehen. Das hat mich wahnsinnig beeinträchtigt. Es ging mir auch psychisch dadurch wirklich, wirklich schlecht.

Das berichtet eine anonyme Betroffene, nennen wir sie Nicole. Was Nicole hier beschreibt, hat einen Namen: Hyperemesis gravidarum – zu Deutsch: unstillbares Schwangerschaftserbrechen. Eine Krankheit, die etwa ein bis zwei Prozent aller Schwangeren betrifft. Doch häufig werden ihre Beschwerden als normal abgetan – immerhin leiden etwa zwei Drittel aller Schwangeren im ersten Trimester an Schwangerschaftsübelkeit. Nicole findet Hilfe in den sozialen Medien.

Es hat lange gedauert, bis ich den Begriff das erste Mal gehört habe und dann habe ich, weil ich mich so alleine gefühlt habe, ganz classy angefangen auf Social Media zu suchen und habe festgestellt, dass es Selbsthilfegruppen gibt für Schwangere, denen das so geht. Und dass es Leute gibt, denen es genauso geht wie mir, und dass es Leute gibt, denen es noch viel schlechter geht als mir leider auch. Es hat mich so unglaublich erleichtert festzustellen, dass das nicht nur bei mir so ist, weil das auch niemand in meiner Umgebung verstanden hat.

Ein Schicksal, das auch Marlena Schoenberg Fejzo kennt. Die US-Amerikanerin mit österreichischen Wurzeln musste Ende der 90er Jahre wegen extremer Schwangerschaftsübelkeit ins Krankenhaus – und verlor dabei ihr zweites Kind. Verständnis für ihre Erkrankung von Seiten der Ärzte bekam sie nicht.

Mein Arzt sagte mir, dass ich mir das alles nur einbilde und nur die Aufmerksamkeit meiner Familie wolle.

Erbgutanalyse zeigt Zusammenhang zwischen einem Hormon und der starken Übelkeit

Das will Fejzo nicht auf sich sitzen lassen. Als Forscherin beschließt sie, sich auf die Suche nach dem wahren Grund für ihre Erkrankung zu machen. Zunächst ist es schwierig, Geld für ihre Forschung zu bekommen.

Deshalb tut sich Fejzo mit 23andMe zusammen, einem Unternehmen, das Erbgut-Analysen für Privatpersonen anbietet. Wer sein Erbgut dort untersuchen lässt, kann sich dafür entscheiden, die Daten für Forschungszwecke zur Verfügung zu stellen. So wird Fejzo auf ein bestimmtes Hormon aufmerksam:

2016 bekam ich das Ergebnis der Erbgutanalyse. Es zeigte sich, dass es eine genetische Variation gab, im Bereich eines Gens für ein Hormon namens GDF-15. Und es gab einen sehr starken Zusammenhang zwischen diesen Variationen und der starken Übelkeit.

Das Hormon GDF-15 ist kein unbekanntes. Auch in der Krebsforschung gibt es Hinweise, dass es mit starkem Gewichtsverlust in Zusammenhang steht – ähnlich wie bei der Schwangerschaftsübelkeit. Außerdem ist bereits bekannt, dass das Hormon während der Schwangerschaft von der Plazenta produziert wird.

Junge Frau übergibt sich in einen Eimer.
Bei etwa einer von 100 Schwangeren bleibt die Übelkeit über längere Zeit bestehen und ist dabei so schlimm, dass die Betroffenen kaum Nahrung zu sich nehmen können und manchmal sogar im Krankenhaus künstlich ernährt werden müssen.

Ein starker Anstieg des Hormons im Zuge der Schwangerschaft führt zu Übelkeit

Ein Verdächtiger war also gefunden. Weitere Studien bestätigen, dass GDF-15 gerade bei den Schwangeren vermehrt vorkommt, die an starker Übelkeit leiden. Doch es fehlt an Beweisen, dass das Hormon tatsächlich die Übelkeit auslöst und nicht etwa eine Folge davon ist.

Fejzo macht sich auf die Suche und arbeitet mit einer Forschungsgruppe aus Cambridge in Großbritannien zusammen. Dem Team fällt etwas auf: Manche Schwangere haben zwar normal viel GDF-15 in ihrem Blut, leiden aber trotzdem an starker Übelkeit.

Bauch einer jungen Frau.
Über das Hormon GDF-15 ist auch aus der Krebsforschung bekannt, dass es mit einem starken Gewichtsverlust in Zusammenhang steht – ähnlich wie bei der Schwangerschaftsübelkeit.

Und es gibt eine mögliche Erklärung dafür: Denn Veränderungen im Erbgut sorgen bei manchen Frauen dafür, dass sie vor der Schwangerschaft nur wenig GDF-15 im Blut haben. Kommt es dann aufgrund der Schwangerschaft zu einem starken Anstieg des Hormons, reagieren diese Frauen heftiger als andere.

Es ist also die Kombination aus einem niedrigen Wert vor der Schwangerschaft und einem höheren Wert während der Schwangerschaft, die darüber entscheidet, wie stark die Schwangerschaftsübelkeit ausfällt.

Nachweis der Ursache offenbart Behandlungsmöglichkeiten

Es verhält sich also ähnlich wie bei scharfem Essen: Menschen, die regelmäßig scharf essen, macht erst extrem scharfes Essen etwas aus. Menschen, die nicht an scharfes Essen gewöhnt sind, haben dagegen schon mit leicht schärferem Essen Probleme.

Eine scharfe Currywurst wird vor das Foto von Flammen gehalten.
Ähnlich wie man sich an scharfes Essen gewöhnen kann, kann der Körper in der Schwangerschaft sich auch an das Hormon GDF-15 gewöhnen, also desensibilisiert werden.

Um diese Theorie zu überprüfen, machten die Forschenden genau das – sie gewöhnten Mäuse an GDF-15, um dann zu beobachten, wie sie auf eine hohe Dosis reagieren.

Das war mein Lieblingsexperiment. Ich hatte Tränen in den Augen, als ich das Ergebnis sah. Wenn man Mäusen eine hohe Dosis GDF-15 gibt, ähnlich wie während einer Schwangerschaft, zeigen sie Gewichts- und Appetitverlust, genau wie Menschen mit extrem Schwangerschaftsübelkeit. Aber wenn man ihnen vorher schon eine niedrige Dosis gibt, zeigten sich diese Reaktionen nicht. So konnten sie also desensibilisiert werden.

Damit war bewiesen: Der starke Anstieg des Hormons GDF-15 löst die Schwangerschaftsübelkeit aus – und es gibt Behandlungsmöglichkeiten. Für Betroffene wie Nicole eine enorme Erleichterung:

Ich hab tatsächlich als ich das gelesen habe, geweint. Weil ich mich so freue, für alle Personen, die in Zukunft noch schwanger werden und das möglicherweise haben, dass sie da behandelt werden können, dass sie vielleicht sogar vorher schon behandelt werden können, damit es gar nicht erst auftritt.

Neben einer Gewöhnung an das Hormon vor der Schwangerschaft kommen als Behandlung auch Strategien in Frage, die das Hormon blockieren oder mit Antikörpern abfangen. Entsprechende Studien sind laut Fejzo bereits geplant. Bis Schwangere von den Ergebnissen profitieren können, wird es allerdings noch einige Jahre dauern.

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