Bundestagswahl 2025

Minderheitsregierung – eine Möglichkeit für Deutschland?

Stand

Von Autor/in Anja Braun

Die scheidende Regierung aus nur noch SPD und Grüne ist faktisch eine Minderheitsregierung. Doch würde solch ein Modell auch nach der Bundestagswahl gut gehen?

Am 23. Februar ist in Deutschland Bundestagswahl und die Erfahrungen aus den letzten Wahlen zeigen, dass sich die Regierungsbildung zunehmend komplizierter gestaltet – auf Bundes- wie auf Länderebene. Die Parteien streiten sich erbittert und scheinen sich auch inhaltlich immer weiter voneinander zu entfernen.

Wenn sich die politischen Lager keine Zusammenarbeit in Form einer Koalition vorstellen können, aber auch keine Mehrheit auf die Beine stellen können – dann gibt es noch die Möglichkeit einer Minderheitsregierung. Zumindest in Nordeuropa keine Seltenheit.

Ehemalige Ampelkoalition aktuell auch eine Minderheitsregierung

Wie sich eine Minderheitsregierung anfühlt, können wir bis zur Bundestagswahl mit der Rest-Koalition aus SPD und Grünen gut betrachten, sagt der Konstanzer Politikwissenschaftler Sven Jochem. Und natürlich ist dieses Modell auch nach der Bundestagswahl möglich. Allerdings sei es nicht ganz so einfach umsetzbar: “Wir in Deutschland denken immer, ja, man kann mal da und mal woanders nach Mehrheiten suchen. Das geht selbstverständlich, aber das ist ja zeitaufwändig, das ist ja unsicher.”

Robert Habeck (links) und Olaf Scholz (rechts) sitzen nebeneinander im Deutschen Bundestag
Die aktuelle Ampelregierung ist zumindest faktisch eine Minderheitsregierung. Nachdem die FDP nicht mehr Teil der Koalition ist, müssen sich Grüne und SPD Mehrheiten im Bundestag suchen.

Minderheitsregierungen sind in Nordeuropa häufig

Das Regierungsmodell einer Minderheitsregierung ist bisher vor allem in den nordeuropäischen Ländern zu finden. Dort gibt es ein eingespieltes Prozedere, wie man mit Minderheitsregierungen umgeht. Allerdings unterscheiden sich nicht nur die institutionellen Voraussetzungen, sondern auch der Umgang der Parteien miteinander deutlich vom deutschen System. Der Politikwissenschaftler Sven Jochem nennt Beispiele:

“Gerade wenn man (…) Dänemark, Norwegen und Schweden betrachtet, die haben die Minderheitsregierungen sehr stark formalisiert. Das heißt, die Unterstützungsparteien haben vorher ein Tolerierungsabkommen unterzeichnet.” Dieses Abkommen bedeutet, dass eine Unterstützungspartei den Gesetzesvorhaben der Minderheitsregierung nicht unbedingt zustimmt, aber sie eben toleriert.

Plenarsitzung im Bundestag in Berlin.
Eine Minderheitsregierung in Deutschland müsste sich für jedes Gesetzesvorhaben auf die Suche nach einer Mehrheit im Bundestag machen.

Eine Minderheitsregierung in Nordeuropa kann leichter von anderen Parteien toleriert werden

Der Konstanzer Politikwissenschaftler Jochem erklärt, warum das in Nordeuropa einfacher ist als in Deutschland: “ Es gibt dort den diesen negativen Parlamentarismus (…) Das heißt, sie müssen nicht die absolute Mehrheit an Ja-Stimmen bekommen. Es reicht aus, wenn nicht die absolute Mehrheit an Nein-Stimmen gegen einen regiert. "

In Nordeuropa gibt es bessere Voraussetzungen für Minderheitsregierungen

Der negative Parlamentarismus bedeutet, die Unterstützungsparteien müssen einem Gesetzesvorhaben der Minderheitsregierung nicht zustimmen, sondern sich nur enthalten. Der negative Parlamentarismus ist für die Unterstützungspartei damit ganz attraktiv. Wie das funktioniert, könne man zur Zeit ganz gut in Schweden erkennen, sagt Politikwissenschaftler Jochem: "Dort regiert eine bürgerliche Koalition mit Minderheit und die Unterstützungspartei, das sind die autoritären Nationalisten: die Schweden-Demokraten. Und natürlich versuchen die Schweden Demokraten ihre programmatischen Profile in die Regierungspolitik einfließen zu lassen.

Sie haben aber gleichzeitig die Möglichkeit, sich immer wieder zu enthalten und dann so zu tun, als ob sie das ganz anders machen würden. Also in der Öffentlichkeit als weiterhin Oppositionspartei aufzutreten. Das bedeutet, die Unterstützungspartei kann sich ein bisschen aus der Verantwortung verabschieden."

Ulf Kristersson ist seit 2022 Ministerpräsident in Schweden und unterhält eine Minderheitsregierung. Die Schwedendemokraten bilden für ihn die Unterstützungspartei.
Ulf Kristersson ist seit 2022 Ministerpräsident in Schweden und unterhält eine Minderheitsregierung. Die Schwedendemokraten bilden für ihn die Unterstützungspartei. Wäre so ein Modell auch in Deutschland denkbar?

In Deutschland wäre eine Minderheitsregierung nicht stabil

In Deutschland aber gibt es den positiven Parlamentarismus, da muss die Mehrheit des Parlaments mit "Ja" stimmen um ein Gesetz zu verabschieden. Deshalb ist es bei uns nicht attraktiv, eine feste Unterstützungspartei einer Minderheitsregierung zu werden. Eine Minderheitsregierung in Deutschland müsste sich also immer Mehrheiten im Parlament suchen. Sie wäre eine unsichere Kandidatin für ihre Partner in der Außen und Sicherheitspolitik wie auch in der Europapolitik. 

Minderheitsregierungen können auch genötigt werden

Nicht zuletzt könnte eine Minderheitsregierung auch von der Opposition genötigt werden, warnt Jochem mit Blick auf Erfahrungen der nordischen Länder: “In Dänemark waren es in den 80er und 90er Jahren glaub ich über 100 Gesetze, die von der Opposition verabschiedet und der Regierung aufgenötigt wurden.”

In Deutschland haben Minderheitsregierungen keine EXIT-Strategie

Zudem hätte eine Minderheitsregierung in Deutschland keine Instrumente, so eine Situation zu beenden, so Jochem weiter: “In Dänemark und Schweden kann man dann als ultima Ratio der Minderheitsregierung sagen: Wenn ihr mir immer Gesetze vorschreibt, also die Opposition immer Gesetze vorschreibt, dann löse ich die Koalition einfach auf und führe Neuwahlen her. In Deutschland ist das eben nicht so.”
Minderheitsregierungen sind also schwierig umzusetzen und stoßen gerade in Deutschland auf ziemliche Hürden.

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