Neue, wissenschaftliche Erkenntnisse wissen weiterhin zu begeistern und sorgen in diversen Fachrichtungen für Fortschritt: Die mRNA-basierten Corona-Impfstoffe oder die Aufnahmen des James Webb-Teleskops sind zwei Beispiele.
Doch wie eine aktuelle Studie von Forschenden der University of Minnesota zeigt, ist die Zahl an Entdeckungen, die wirklich bahnbrechend sind, deutlich zurückgegangen. Es gibt weniger Forschungsergebnisse, die alte Theorien über den Haufen werfen oder Wissenschaft und Technologie in ganz neue Richtungen lenken – und das, obwohl die Zahl an Veröffentlichungen und Papern an sich zugenommen hat.
Die Forschenden werteten ungefähr 45 Millionen Fachartikel der Jahre 1945 bis 2010 aus und weitere 4 Millionen Patente, die im Zeitraum von 1980 bis 2010 eingereicht worden sind. Ihre Ergebnisse veröffentlichten sie in der Fachzeitschrift Nature.
Neues Zeitalter der Wissenschaft
Die Autorin und die Autoren der Studie sprechen auf Basis ihrer Ergebnisse sogar von einem neuen Zeitalter der Wissenschaft, in dem Wissen vor allem vertieft wird. Sie haben beobachtet, dass in den Aufsätzen und Patenten viel häufiger auf bereits etabliertes Wissen verwiesen wird.
Um festzustellen, wie innovativ ein Fachartikel oder ein Patent ist, hat das Forschungsteam einen Innovationsscore berechnet. Dieser fällt schlechter aus, wenn sich die Forschenden wiederholen und nur auf ältere Studien verweisen. Immer häufiger stehe in den Forschungsaufsätzen dann auch das Wort „verbessern“. Sie sprechen insgesamt von einer Konsolidierungsphase. Vieles wird gerade spezialisiert und verfeinert. „Was ja auch wichtig ist“, sagt Pascal Kiss aus der SWR Wissenschaftsredaktion, „gerade in der Biotechnologie.“
Wenig interdisziplinäre Forschung
In der Analyse der Paper und Patente fällt außerdem auf, dass selten unterschiedliche Wissensbereiche mit einander verknüpft werden, die Fragestellungen werden immer spezialisierter. Das heißt, Forschung über mehrere Disziplinen hinweg findet kaum statt und als Wissenschaftlerin oder Wissenschaftler verlasse man dadurch die eigene Bubble kaum – was aber eine Grundvoraussetzung für Innovation wäre, so Kiss. Dennoch muss es nicht automatisch schlecht sein, wenn Wissen eher vertieft werde.
Auch kleine Fortschritte zählen
Die Forschung geht momentan also eher in die Tiefe als in die Breite. Dass Ansätze langsam weiterentwickelt werden, kann auch Fortschritt bedeuten. Ein Beispiel sei laut Kiss die mRNA-Technologie, die bereits bei einigen Corona-Impfstoffen zum Einsatz gekommen ist. Der Ansatz ist auch für die Forschung zu Krebstherapien vielversprechend. Und auch die Forschung zu Wasserstoff als nachhaltige Alternative zu Gas steckt in der Vertiefungsphase. Vor allem in Japan und auch in Deutschland, sogar in Baden-Württemberg, wird dazu geforscht.
Natürlich wäre es unvorteilhaft, wenn es gar keine Innovation mehr gäbe – aber dem sei nicht so, sagt Kiss. Die Durchbrüche seien nur eben seltener geworden.
In einigen Bereichen wird fehlende Innovationskraft allerdings zum Problem. Das ist zum Beispiel anhand der steigenden Anzahl an Antibiotikaresistenzen zu beobachten. Gerade im Arzneibereich, aber auch in der Informationstechnologie fehle es an Innovationen, sagen die Forschenden.
Vieles ist noch ungelöst
Neben alten Baustellen, die wie die Bakterien wieder akut werden, warten in der Zukunft auch neue Herausforderungen, auf die noch keine Antworten gefunden wurden. So zum Beispiel Anpassungen an den Klimawandel oder – im Moment viel diskutiert – die Entwicklung neuer, umweltfreundlicher Möglichkeiten, Energie zu gewinnen oder einzusparen. An Herausforderungen mangelt es der Wissenschaft also nicht.
Doch was ist dann der Grund für die Innovationsbremse? Das sei schwer zu ermitteln, erklärt Kiss. Es könnte zum Beispiel daran liegen, dass Forschungsteams immer größer werden. Es gibt Hinweise, dass bahnbrechende Ideen eher in kleinen Teams entstehen – bei allen Vorteilen, die große Teams trotz dessen bieten. Das deutet eine Studie an, die bereits 2019 im Fachmagazin Nature erschienen ist.
Qualität statt Quantität
Außerdem sei der Druck gestiegen, möglichst schnell und viel zu publizieren. Darunter leide auch die Qualität, was vor allem auch junge Forschende betreffe. Es könnte sein, dass ich als junger Forscher den Druck verspüre, unter Zeitdruck publizieren zu müssen – auf Kosten der gründlichen Recherche, der Kreativität und der Freiheit, mal über den Tellerrand hinaus zu blicken, beschreibt der Wissenschaftsjournalist. Um kreativ zu sein, braucht es Zeit zum Ausprobieren. Und die fehle häufig.
Auch das Forschungsteam schlägt in der Studie vor, vor allem junge Forschende noch mehr an der Qualität der Forschung zu Messen als an der Masse der publizierten Beiträge. Doch das ist oft nicht der Fall. Wenn es um Fördermittel geht, zählt meistens dann doch eher die Quantität.