Zum dritten Mal weltweit konnte ein HIV-Patient mithilfe einer Stammzelltransplantation und im Falle des sogenannten "Düsseldorfer-Patienten" auch von einer damit zusammenhängenden Leukämie geheilt werden. Das berichten nun Mediziner des Universitätklinikums Düsseldorf im Fachmagazin Nature Medicine. Zu Ihnen gehört Guido Kobbe von der Uniklinik Düsseldorf, der von der Therapie mit den genetisch mutierten Stammzellen berichtet und erklärt, warum nicht von einer neuen Standardtherapie von HIV ausgegangen werden darf.
Was heißt das genau, dass der Patient geheilt wurde? Ist er richtig gesund, der Krebs verschwunden und das HI-Virus auch?
Guido Kobbe: Ja, so kann man das sagen. Der Patient ist jetzt schon über sehr lange Zeit sowohl frei von Leukämiezellen als auch vom HI-Virus, und zwar ohne HIV-Medikamente seit 2018, also über mehrere Jahre.
Und warum gibt es erst jetzt diese Nachricht, also Jahre nach dem Eingriff, weil man so lange warten musste, um sicher gehen zu können?
Kobbe: Für den Patienten stand zunächst die Leukämie im Vordergrund, als unmittelbar lebensbedrohliche Erkrankung. Und die Transplantation selbst hatte noch einige Schwierigkeiten und Komplikationen, so dass der Gedanke, die HIV-Medikamente dann auch abzusetzen, erst kam, nachdem es klar war, dass die Leukämie weitgehend erfolgreich behandelt ist.
Und dann haben wir über längere Zeit den Patienten sehr intensiv gemonitort, also nach dem Absetzen der Medikamente. Und erst als wir uns dann nach längerer Zeit sicher sein konnten, dass jetzt keine Reaktivierung oder ein wieder erwachendes HI-Virus mehr zu erwarten ist, haben wir überhaupt an die Publikation gedacht.
Es gab einige Fälle aus der Vergangenheit gab, wo genau das passiert ist, dass nach einer gewissen Zeit wieder HIV nachweisbar war und dann, wenn man ganz ehrlich ist, kam auch noch Corona dazwischen. Das heißt, die Virologen, die sehr entscheidend an diesem Fall beteiligt waren, hatten über eine gewisse Zeit sehr viele andere Dinge zu tun.
Kann man sagen, wie nachhaltig die Wirkung der Stammzellentherapie ist, also wird sie ein Leben lang halten Oder muss man das wiederholen?
Kobbe: Nein, die Transplantation funktioniert ja so, dass man die komplette Blutbildung des Patienten und auch das Immunsystem austauscht. Durch das System eines passenden Spenders und aus den Stammzellen werden im Patienten dann ein Leben lang neue Blutzellen und Immunzellen gebildet, die alle dann die Spender-Eigenschaften tragen.
Was haben diese Stammzellen mit der Genmutation genau bewirkt? Können Sie das für für den Laien nochmal erklären?
Kobbe: Also, man muss sich das so vorstellen, das haben wir ja bei Corona auch gesehen: Das Virus braucht immer eine Stelle, an der es in die Zellen hineinkommen kann. Nur dann kann es Zellen befallen und diese auch zerstören. Und beim HI-Virus – wo ja das Charakteristikum ist, dass es die Immunzellen befällt – ist es eine gewisse Stelle auf diesen Immunzellen, die es braucht, um in die Zelle hineinzukommen.
Und jetzt gibt es mit einer Frequenz von etwa einem Prozent in der europäischen Bevölkerung eine Mutation dieses sogenannten CCR5 Co-Rezeptors, der es HIV erschwert oder gar unmöglich macht, in die Zellen hineinzukommen. Also diese Menschen haben eine natürliche Resistenz gegen HIV.
Und wir haben jetzt für den Patienten einen Spender oder eine Spenderin in diesem Fall gefunden, die nicht nur so übereinstimmt, dass man die Transplantation durchführen kann – denn das ist ja erst mal das Wichtigste bei einer Transplantation –, sondern eben auch diese seltene Mutation trägt, die es dem Virus nicht ermöglicht, in die Zellen einzudringen.
Man muss sich das jetzt so vorstellen, dass in den Monaten und Jahren nach der Transplantation das neue Immunsystem alle alten blutbildenden Zellen und Immunzellen des Patienten langsam zerstört und dabei das Virus nicht in das neue Immunsystem eindringen kann.
Die Zelle wird praktisch geschlossen, sie schottet sich ab?
Kobbe: Genau, das Virus kann nicht eindringen, zumindest nicht in diesem Stadium der HIV-Infektion. Und die Hoffnung ist natürlich dann, dass das ausreichend ist, mit einer parallel dazu durchgeführten Therapie, dass irgendwann kein infektiöses Virus mehr im Patienten ist.
Das Tolle finde ich ja, dass die Genmutation des Spenders, die das Immunsystem des Patienten sozusagen dominiert, also dass das übernommen wird, diese Genmutation.
Kobbe: Ja, der Patient hat gar kein eigenes Immunsystem mehr. Sie müssen Sie sich das vorstellen. Er hat ja eine Spenderin. Und wenn Sie jetzt die Blutzellen dieses Menschen untersuchen, das sind das alles weibliche Immunzellen. Es sind keine alten Zellen des Patienten mehr da. Die sind vollständig ausgetauscht durch die Zellen der Spenderin.
Wie gefährlich ist so eine Stammzellentherapie oder welche Nebenwirkungen sind möglich?
Kobbe: Es gibt zahlreiche Nebenwirkungen. Im Vordergrund stehen vor allem Anpassungsstörungen zwischen altem und neuem Immunsystem. Je nachdem, wie alt der Patient ist, wie gut der Spender ist, muss man schon mit einer Rate von zehn bis 15 Prozent von schweren oder tödlichen Nebenwirkungen rechnen.
Deshalb ist die Blutstammzelltransplantation auch eigentlich eine Behandlung, die man nur dann durchführt, wenn man mit anderen Therapien, also sprich einer normalen Chemotherapie, die Erkrankung nicht ausreichend behandeln kann.
Und wäre diese Stammzellentherapie, wie Sie sie durchgeführt haben, nur sinnvoll bei HIV-Infizierten, die auch eine oder mehrere Krebserkrankungen haben oder auch bei HIV-Infizierten, die die normale Standardtherapie erhalten haben und die auch angeschlagen ist?
Kobbe: Nein, auf keinen Fall, weil heute kann ja mit einer HIV-Standardtherapie der Betroffene sehr lange und mit einer sehr guten Lebensqualität leben. Es ist wirklich – und das unterstreicht ja auch die geringe Anzahl der Menschen, die es bisher gibt, bei denen das gelungen ist – diese seltene Kombination zwischen einer bösartigen Bluterkrankung und HIV notwendig, um diesen Trick mit dem neuen Immunsystem wirklich durchzuführen. Man würde das also aufgrund der Gefährlichkeit und der Stärke des Eingriffs bei einem alleinig HIV-Infizierten nicht machen.
Zeigt dieser Fall letztlich auch, dass so eine Therapie, also das Muster dieser Therapie auch für andere Krankheiten angewendet werden könnte in Zukunft?
Kobbe: Ja, das zeigt das schon. Vor allem ist es wichtig, dass wir nochmal zeigen konnten, dass wirklich dieser Eintritt in die Zellen eine ganz besonders kritische Phase ist für das Virus und es gibt ja andere denkbare Verfahren, wie man das Virus daran hindern könnte. Und das ist im Wesentlichen dieser Proof of Principle, also nochmal zu zeigen, dass das wirklich ein Ansatzpunkt ist, der funktioniert, der dann vielleicht auch nutzbar ist für die breite Masse der HIV-Patienten.