Die ersten Kernkraftwerke wurden gebaut, ohne dass überhaupt daran gedacht wurde, wie man sie wieder abbaut. So auch das AKW Niederaichbach in Bayern, das 1973 in Betrieb ging und wegen technischer Probleme bereits 1974 wieder stillgelegt wurde. Es wurde als erste Atomanlage in Deutschland rückgebaut, was insgesamt 20 Jahre dauerte – zweieinhalb mal so lange wie die Bauzeit.
Das danach auf dem dortigen Gelände gebaute Kernkraftwerk Isar 2 wird Mitte April 2023 zusammen mit Emsland und Neckarwestheim 2 abgeschaltet. Kernenergie „Made in Germany“ ist damit Geschichte und der Abbau der Kraftwerke beginnt. Wie das abläuft, hat Wissenschaftsredakteur Stefan Troendle beim Karlsruher Institut für Technologie (KIT) und bei einem Hersteller von Spezialwerkzeug für den Rückbau von Atomanlagen nachgefragt.
Beim Rückbau von AKWs geht es vor allem um Mülltrennung
Ob Philippsburg, Mülheim-Kärlich oder Biblis – nach der Sprengung der nicht radioaktiven Kühltürme und der Beseitigung des Schutts fängt die richtige Arbeit beim Rückbau eines Kernkraftwerks erst an. In den meisten Fällen muss die dann folgende Dekontamination von Flächen und das Abfräsen von Wänden in Handarbeit erledigt werden.
Besonders wichtig ist eine umfassende Kontrolle, beispielsweise, ob radioaktives Material durch feine Risse in den Beton eingedrungen ist. Beim Rückbau geht es weniger um Recycling, sondern vielmehr darum, radioaktive Abfälle zu minimieren, erklärt Walter Hackel, Ex-Leiter des Kernkraftwerks Mülheim-Kärlich.
Freigabefähig heißt, dass der Müll auf einer gewöhnlichen Deponie entsorgt werden kann. Vom Stahlrohr bis zum kleinsten Betonbrocken muss alles, was ein Kernkraftwerk verlässt, vorher "freigemessen" werden, also auf Radioaktivität kontrolliert werden, wie Sascha Gentes vom KIT erklärt:
Der Rückbau dauert Jahre und kostet Milliarden
Ein entscheidender Kostenfaktor beim Rückbau von AKWs ist der Müll. Radioaktive Stoffe müssen ins Zwischenlager, zunächst auf dem Kraftwerks-Gelände, wie in Neckarwestheim. Danach sollen die schwach- bis mittelradioaktiven Abfälle in das Endlager Schacht Konrad bei Salzgitter.
Weil das viel Geld kostet, will ein internationales Forschungsteam am KIT diese Prozesse optimieren. Zum Beispiel das Schneiden von Metall, für das in sensiblen Bereichen oft ein Hochdruck-Wasserstrahl mit scharfkantigem Sand zum Einsatz kommt. In Karlsruhe wird eine Methode entwickelt, um Wasser, Schleifsand und radioaktive Metallspäne mithilfe von Magneten zu trennen, was letztlich weniger Müll bedeutet.
Enge Zusammenarbeit mit der Industrie
Das KIT arbeitet eng mit der Industrie zusammen. Jüngstes Beispiel ist auch eine Winkelfräse, mit der Innenkanten wesentlich einfacher abgeschliffen werden können als mit konventionellen Geräten. Im Kernkraftwerk Obrigheim wurden Praxisversuche durchgeführt und Partner aus der Praxis wenden die Entwicklungen dort bereits an, so Eric Rentschler vom KIT.
Eine große Fräse, die Beton und Stahl gemeinsam abschleifen kann, ging aus einer Kooperation mit dem Tunnelbauer Herrenknecht hervor. Bisher waren das getrennte Arbeitsgänge, die oft per Hand ausgeführt wurden – bei bis zu 150.000 Quadratmeter zu dekontaminierender Fläche extrem aufwendig.
Als eines von nur wenigen Unternehmen weltweit entwickelt auch die Firma Wälischmiller in Markdorf am Bodensee Spezialgeräte für den Rückbau von Kraftwerken. Der Betrieb mit 110 Mitarbeitenden entwickelt Greifarme, sogenannten Manipulatoren.
Die ferngesteuerten Greifarme braucht es, weil viele Arbeiten während des Rückbaus nur mit Abstand möglich sind. Denn auch wenn die Brennelemente entfernt sind, nimmt die Strahlung zu, je näher man dem Reaktorraum kommt.
Nach der Zerlegung per Roboter wird der schwach- bis mittelstrahlende Müll in Fässern verpackt und in ein Zwischenlager gebracht. Auch dort müssen regelmäßige Kontrollen durchgeführt werden. Um diesen Aufwand zu minimieren arbeiten die Forschungsgruppe am KIT auch an einer Kontrollanlage, die mit Laser automatisch Fotos von allen Seiten der Fässer macht. Interessenten gibt es bereits.