Urmenschen: Faustkeil und Jagd erfordern Denkvermögen
Es ist keine Frage, ob, sondern was man ohne Sprache denken kann. Wenn wir in der Menschheitsgeschichte zurückgehen, dann hat sich Sprache, wie wir sie heute kennen, frühestens vor etwa 200.000 Jahren entwickelt. Da waren unsere direkten Vorfahren noch alle in Afrika; und in Europa waren schon die frühen Neandertaler unterwegs.
Aber bereits Millionen Jahre vorher haben die Urmenschen Werkzeuge benutzt, die sie selber hergestellt haben, allen voran natürlich die Faustkeile. Um einen Faustkeil herzustellen, muss man schon ein bisschen was denken. Die frühen Menschen haben auch schon in Gruppen Tiere gejagt. Auch dabei mussten sie systematisch vorgehen; das erfordert ebenfalls Denken.
Auch Babys denken. Aber was genau?
Man kann sich der Frage nähern, wenn man sich statt der frühen Menschheit die frühe Kindheit ansieht: Wir alle würden vermutlich einem kleinen Baby, auch wenn es erst ein paar Monate alt ist und nicht sprechen kann, zubilligen, dass es irgendetwas denkt; dass irgendetwas in seinem Kopf vorgeht. Die Frage ist eben: Was?
Schnürsenkel binden: erfordert Grips, aber keine Sprache
Oder betrachten wir uns einmal selbst: Was denken wir denn so den lieben langen Tag lang? Wir denken viel in Bildern und Vorstellungen, die eigentlich keine Sprache benötigen. Wenn Sie an Ihren Urlaub zurückdenken, werden Sie das nicht in Worten tun, sondern in Bildern. Es gibt auch komplizierte Gedanken, bei denen die Sprache herzlich wenig taugt. Das wird schnell klar, wenn Sie sich vorstellen, Sie müssten jemandem nur mit Worten erklären, wie man einen Schnürsenkel bindet oder wie man auf dem Fahrrad das Gleichgewicht hält. Solche Dinge erfordern Grips, aber nicht unbedingt Sprache.
Die hohe Form der Abstraktion
Andererseits gibt es natürlich bestimmte Formen des Denkens, bestimmte kognitive Leistungen, die ganz klar an Sprache gebunden sind. Das betrifft alles Abstrakte, alles, was man eben nicht in Bildern denken kann, und damit natürlich auch einen großen Teil von wissenschaftlichem Denken.
Wir können also davon ausgehen, dass kleine Kinder auch ohne Sprache eine Art intuitive Physik haben: Sie wissen und lernen zu verstehen, dass ein Schnuller, den man loslässt, auf den Boden fällt. Dazu brauchen sie keine Sprache. Sprache ist aber nötig, um aus diesem oder ähnlichen Vorgängen eine Gravitationskraft oder etwas noch Komplizierteres wie einen Energieerhaltungssatz abzuleiten. Denn Wörter wie Kraft und Energie sind hochabstrakte Begriffe. Abstrakt heißt dabei: Wir stellen Analogien her. Und da hilft uns die Sprache ganz wesentlich, indem sie uns die Möglichkeit gibt, z.T. ganz unterschiedliche Phänomene wie heißes Wasser oder die Bewegung von Körpern mit den gleichen Begriffen zu beschreiben – in dem Fall "Energie" – und auf diese Weise Beziehungen zwischen Dingen herzustellen, die wir sonst nie in Verbindung bringen würden. Das ist die hohe Form der Abstraktion.
Bildliche Verneinung eines Sachverhalts ist nicht vorstellbar
Man kann aber auch viel einfacher bei der ganz elementaren Logik ansetzen. Schließen Sie die Augen und stellen Sie sich folgenden Satz vor Ihrem geistigen Auge vor: "Ich fahre heute nicht mit dem Auto zur Arbeit." Was sehen sie vor ihren Augen? Vermutlich sich selbst, wie Sie mit dem Auto zur Arbeit fahren. Wir können uns einen Sachverhalt bildlich vorstellen, aber wir können uns nicht die Verneinung eines Sachverhalts vorstellen. D.h. um so einen einfachen logischen Vorgang wie Negation "denken" zu können, scheinen wir die Sprache dann doch zu gebrauchen.
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